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Jazzzeitung

2012/05  ::: seite 11

rezensionen

 

Inhalt 2012/05

Inhaltsverzeichnis

Sternlein STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazz-ABC: Billy Taylor no chaser: Silberglanz Farewell: Zum Tode von Günter Dische

Sternlein TITELSTORY: Kunst hält das System in Gang
Heinz Sauer zum 80. Geburtstag

Sternlein DOSSIER/GESCHICHTE -
Wenn Liebe die letzte Rettung ist
„Liliom“ vereinte Jazz der NDR Bigband mit der Melodik der Philharmoniker Hamburg
Dizzy lives!
Vor 20 Jahren verstarb Dizzy Gillespie
Der Gentleman des Swingpianos
Zum 100. Geburtstag von Teddy Wilson

Sternlein Berichte
Leipziger Jazztage //Regensburgs Jazzclub feierte sein 25. Jubiläum //St. Wendeler Jazztage 2012

Sternlein Portraits / Jubilee
Mulo Francel // Benedikt Jahnel//Manu Katché //Gitarrist Alex Machacek //Pianist Iiro Rantala //Caroll Vanwelden

Sternlein Jazz heute und Education
40 Jahre „Interessengemeinschaft Jazz Burghausen“ //Jazz und Ehrenamt // 50 Jahre Jazzkränzchen Immergrü // Dominik Seidler, der neue Projektleiter BuJazzo und „Jugend jazzt“ im Interview // Gespräch mit Thomas Zoller zum Thema Bigband-Leitung // 25 Jahre Landes-Jugendjazzorchester Bayern // Abgehört: Intim und wunderbar melodisch
Chet Bakers Solo über „In Your Own Sweet Way“

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

Botschafter seiner Musik

Neue englischsprachige Bücher zu New Orleans und Duke Ellington

Charles Suhor: Jazz in New Orleans – The Postwar Years Through 1970, The Scarecrow Press, Inc./Lanham, USA/329 Seiten

Charles Suhor, geboren (3.6.1935) und aufgewachsen in New Orleans, interessierte sich schon mit 10 Jahren für den Jazz seiner Heimatstadt und begann einige Zeit später, Schlagzeug zu spielen, unterstützt von seinem älteren Bruder Dan (Klarinette). In den 50er-Jahren trat er unter anderem mit Tom Brown, Al Hirt, Pete Fountain, Bill Huntington und der Loyola University Big Band auf. Seine anschauliche Beschreibung der Jazzszene von New Orleans zwischen 1945 und 1970 als Zeitzeuge ist aufschlussreich und korrigiert viele andere Darstellungen, die über Brass Bands, George Lewis und die Preservation Hall nicht recht hinauskommen. So werden wir veranlasst, uns mit Sharkey Bonano, Pete Fountain, Al Hirt und den Dukes of Dixieland zu beschäftigen, die alle sonst zumeist mit dem Attribut „kommerziell“ abgetan werden. Wir lernen Irving Fazola, Johnny Wiggs, Armand Hug und Raymond Burke kennen (den jüngeren Lesern vermutlich ganz unbekannt) und wir erfahren, dass es auch eine Bebop-Szene nach 1945 gab, die nicht nur aus Al Belletto bestand, und dass Lee Young, Joe Newman, Benny Powell, Vernel Fournier, Wallace Davenport und Ed Blackwell aus New Orleans stammen. Der Autor kritisiert die erstaunlich lang Zeit ablehnende Haltung der Stadtverwaltung gegenüber dem Jazz. So wurden noch 1968 (!) Verhandlungen mit George Wein wegen einer Mitarbeit beim damaligen Jazzfestival eingestellt, als der Bürgermeister von New Orleans feststellte, dass Wein mit einer Schwarzen verheiratet war!

Dank an Charles Suhor für ein wichtiges Buch.

Thomas W. Jacobsen: Traditional New Orleans Jazz – Conversations with the men who make the music, Louisiana State University Press/Baton Rouge, USA/244 Seiten

Dieses Buch ist so etwas wie eine Fortsetzung des zuvor besprochenen, denn es geht um Musiker, die heute in New Orleans sogenannten Traditionellen Jazz spielen (keine gute Bezeichnung, denn sie wird oft abwertend gebraucht). Dazu hat der Autor in den letzten 15 Jahren eine Reihe von Interviews gemacht (das Buch erschien 2011), die er in drei Gruppen einteilt: Interviews mit in New Orleans geborenen Musikern, mit solchen, die aus den USA zugezogen sind und mit solchen, die aus anderen Ländern stammen (darunter Trevor Richards, den älteren Jazzfans in Deutschland sicher noch in Erinnerung). Die meisten Musiker dürften vielen Lesern unbekannt sein. Sie alle, egal woher sie kommen, eint Verständnis und Liebe zu einer Musikform, die sie spielen, weil sie sie brauchen. Was sie nicht brauchen, ist ein Erlaubnisschein.

Horace Parlan: My little brown book – Seventy years of jazz life as told to Hans Barfad (mit vielen Fotos und einer Diskographie), Publ. by Saxart/Dänemark

Horace Parlan wurde am 19. Januar 1931 in Pittsburgh geboren. Mit fünf Jahren erkrankte er an Kinderlähmung, wodurch seine rechte Körperseite stark beeinträchtigt wurde. Seine Adoptiveltern (er war als Baby ausgesetzt worden) dachten, Klavierspiel könnte eine gute Therapie sein, und so erhielt er 8-jährig erstmals Unterricht. Es gelang ihm, eine Spielweise zu entwickeln, die vor allem die linke Hand und von der rechten nur einige Finger benützte, und das ohne hörbare Beeinträchtigung – eine bewundernswerte Leistung. Durch Platten und Radiosendungen kam er zum Jazz, als Begleiter wie als Solist gleichermaßen geschätzt. Die Zahl der Musiker, mit denen er auftrat, ist überwältigend. Seine Zeit bei Charles Mingus 1957-59 war das Sprungbrett für ihn. So konnte er schließlich 1972 nach Europa übersiedeln, wo genug Arbeit – ohne Rassenkonflikte – auf ihn wartete.

Er spielte überall, doch Dänemark wurde seine neue Heimat. 1983 zog er von Kopenhagen nach Süden aufs Land, wo er heute noch lebt. Seine freundliche Art machte ihn überall beliebt. Sie prägt auch das Erzählen seiner Lebensgeschichte. Dem Buch hätte allerdings ein Lektor gutgetan, der Schreibfehler von Namen und falsche Daten korrigiert. Bitte bei der nächsten Auflage nachholen – das Buch hat es verdient.

Harvey G.Cohen: Duke Ellington’s America, The University of Chicago Press, 688 Seiten

Eine vorzügliche Ergänzung zu dem Buch von Eddie Lambert (Duke Ellington – A listener‘s guide/siehe Jazzzeitung vom Sept. 2012). Wird dort die Musik anhand von Aufnahmen besprochen, so geht es hier um die Umstände und Bedingungen, unter denen sie entstand. Der Autor hat dazu in jahrelanger intensiver Arbeit alle verfügbaren Quellen ausgeschöpft (insbesondere den sehr umfangreichen Nachlass) und viele Interviews geführt, dazu bereits vorhandene hinzugezogen. Auch Duke Ellington selbst kommt in Zitaten immer wieder selbst zu Wort.

Die Bedeutung Ellingtons geht weit über die Musik hinaus. Er erreichte zusammen mit Louis Armstrong schon in den 20er- und 30er-Jahren weit mehr für die Anerkennung schwarzer Kunst als etwa die Harlem Renaissance eines Langston Hughes und anderer. Nicht Konfrontation, sondern die Umgehung von Problemen war seine Methode.

Das lag ihm mehr, und der Erfolg gab ihm Recht. Mit Eleganz überspielte er ständig die Vorurteile seiner weißen Kritiker. Dazu hatte er in Irving Mills einen weißen Manager, der zwar mehr nahm, als ihm zustand, den Ellington aber in einer so von Weißen dominierten Welt brauchte (aus demselben Grund arbeitete Armstrong mit Joe Glaser zusammen).

Duke Ellington fühlte sich schon früher als Künstler als die meisten seiner Kollegen, die dasselbe Recht gehabt hätten, aber nicht über sein Selbstbewusstsein verfügten. Für die Überwindung der Rassentrennung tat er viel mehr, als die meisten wissen. Er hatte schon in den 30er-Jahren mehr weißes Publikum als die anderen schwarzen Big Bands. Dass die Clubs am Broadway in New York Anfang der 40er-Jahre auch für schwarze Besucher geöffnet wurden, war ihm und seinem Orchester zu verdanken. Dabei war seine Musik nie leichte Kost. Nicht Anpassung an den weißen Musikgeschmack, sondern im Gegenteil die Betonung afro-amerikanischer Elemente prägten sie von Anfang an. Doch ging es ihm dabei nie um Abgrenzung („Ellington, from the 1940s forward, increasingly tried to find common ground between whites and blacks within his musical works“/S.218). Das bezeugen gerade auch seine späteren Suiten. Und auch seine vielen Tourneen sind hier zu nennen. Sie waren für ihn nicht einfach eine Aneinanderreihung von Gigs in ferne Länder. Er fühlte sich als Botschafter: seiner Musik, seines Orchesters, seines Landes.

Man hätte ihn für den Friedensnobelpreis vorschlagen sollen.

Joe Viera

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