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Stan Getz:
Focus Als Stan Getz 1961 „Focus“ einspielte, hatte er fast drei Jahre in Europa verbracht – Jahre in denen herangereifte Saxophonisten wie Coltrane und Coleman Getz’ ganz anders geartete Kunst fast vergessen machten. Und wie Coleman Hawkins sich 1939 in einer ähnlichen Situation mit „Body and Soul“ unübersehbar zurückgemeldet hatte, so „fokussierte“ Getz nun die Aufmerksamkeit auf seine überlegenen improvisatorischen Talente – mit der „besten Platte, die ich je gemacht habe“. Die Herausforderung des experimentellen Zeitgeistes beantwortete er mit innovativem Third Stream. Der Chorus, die Improvisationseinheit des Jazz, ist abgeschafft, die gängige Rhythmusgruppe entlassen. Zugleich wurde „Focus“ geistig eine europäische Platte, freilich eine, die (ähnlich der Werke europäischer Exil-Regisseure) so nur in Amerika entstehen konnte. Getz beauftragte den unterschätzten Arrangeur Eddie Sauter, durch seine maßgeschneiderten Kompositionen für Benny Goodman bekannt, mit einer längeren Komposition. Sein einziger Wunsch: „Tu, was du für richtig empfindest“. Es entstanden 7 Miniaturen für 16 Streicher (mit Mitgliedern des Beaux-Arts Quartetts), Harfe, Bass (John Neves) und Schlagzeug (Roy Haynes), die in sich abgeschlossene Kompositionen darstellen, aber dem Solisten, der an nichts als seine Phantasie gebunden ist, jeglichen Freiraum lassen. Mehr noch: Sie sind nahezu vollständig, aber „unerlöst“ wie der Frosch im Märchen, der erst durch Stan Getz zum Prinzen wird. (Damit unterscheidet sich „Focus“ zentral von einem Album wie „Officium“ von Jan Garbarek und dem Hilliard Ensemble, wo es per se nichts zu erwecken gibt.) Mit hörbarer Orientierung an Komponisten wie De Falla, Ravel und Strawinsky schuf Sauter eine Partitur, die oft an Ballett und impressionistisch angehauchte Filmmusik gemahnt, aber weise jeder Opulenz enträt. Ein Segen, dass er als einer der wenigen damaligen Arrangeure Streicher nicht als Zuckersoße missversteht, sondern ihnen (oft durch pizzicato) auch tänzerische, rhythmisch impulsive Wirkungen abringt - zwischen Flamenco und gemildertem „Sacre“. Getz improvisiert mit einem erstaunlichem Einfallsreichtum und spontaner Konsequenz. Wie ein Komponist bei seiner motivischen Arbeit spinnt er Sauters Ideen weiter oder seine eigenen, wenn er zum Beispiel in „Once Upon a time“ immer wieder auf eine japanisch anmutende Phrase zurückgreift. Vom nervös getriebenen „I’m late, I’m late“ entstanden zwei so unterschiedliche und interessante takes, dass man sie einfach aneinanderfügen konnte, ohne dass sich beim Hörer der Eindruck einer Widerholung einstellt. Genial, wie knapp diese Musik in ihrer lyrischen Verzauberung und ihrer emotionalen Dramatik gelegentlich am Kitsch vorbeisegelt, ohne jemals die gefährliche Grenze zu überschreiten. Sie berührt sogar dort tief, wo die Oberfläche glatt zu sein scheint: Elegantes Eisballett auf sehr dünnem Eis, darunter bewegen sich Schatten von Seeungeheuern, die nur der Tänzer sieht. Indes harren sie vergeblich; wie im Märchen sind sie gebannt, solange die Musik spielt. Der schwerelose Tänzer rutscht nicht aus, bricht nicht ein. Dass „Focus“ nicht Getz berühmtestes wurde, verdanken wir seinen gleich im Anschluss eingespielten unzähligen Bossa-Aufnahmen. Wer entsinnt sich nach etlichen Wein-Krügen des zarten Aromas einer zuvor gekosteten Tasse Tees? „Focus“ ist in mehreren Ausgaben des Originallabels Verve erhältlich und trug im Original die Bestellnummer V6-8412). Auf Poll Winners Records PWR 27303 wird es mit dem 1960 erschienen Album „Cool Velvet“ gekoppelt. Getz spielte hierfür 1960 in Baden-Baden Standards zu Streicherarrangements des übrigens am 20. November 2011 im Neuseeländischen Kerikeri, verstorbenen Russell Garcia. Zunächst einmal scheint es sinnvoll, beide Alben auf einem Album zu vereinen. Im Nachhinein wünschte man, „Cool Velvet“ nicht ausgerechnet nach „Focus“ zu hören, denn das Bessere ist des Guten Feind. Garcia standen zur Begleitung des Saxophonisten in Balladen wie „Early Autumn“, „Goodbye“ und „Nature Boy“ neben einem großen Streicherapparat die Harfe, Vibraphon, Bass, Schlagzeug und das von Jan Johansson gespielte Klavier zur Verfügung. Seine opulenten Arrangements sind handwerklich perfekt und überragen im Einfallsreichtum und Niveau Einiges in diesem Genre, aber sie sind eben doch nur sich hollywoodesk einschmeichelnde Backgrounds, noch dazu weniger swingende, nicht wie bei Sauter ein vielfältiges Gegenüber. Getz spielt auch nicht so befreit und inspiriert drauf los wie auf „Focus“, setzt dem Zuckernebel einfach die Wirkkraft seines betörenden Wohlklanges entgegen. Bill Evans:
Momentum Ein Album mit noch unveröffentlichten Aufnahmen des Bill-Evans-Trios ist immer ein Grund zum Feiern, und dies obwohl er als Toter in schöner Regelmäßigkeit mehr Alben „vorlegt“ als es die meisten lebenden Kollegen in ihren kühnsten Wünschen zu erträumen wagten. „Momentum“, der Mitschnitt eines Konzertes, das am 4. Februar 1972 in Groningen stattfand, ist nun wieder so ein Grund glücklicher Dankbarkeit, obgleich weder die Mitmusiker – die besonders präsent aufgenommenen Eddie Gomez (b) und Marty Morell (d) – noch das Repertoire Unerwartetes bieten, jedenfalls nicht wenn man die anderen Alben der Periode kennt (Die Aufnahmen entstanden wie „Live In Paris“ ein halbes Jahr nach „The Bill Evans Album“, ein Jahr vor „The Tokyo Concert“.) Am wenigsten bekannt ist noch „Sugar Plum“; Evans hatte es erst einmal eingespielt; hier belauscht ihn beim träumerischen Ausloten seines noch neuen Stückes. Die meisten Stücke („Nardis“, „Turn Out The Stars“, „Emily“) kennen wir aus Dutzenden Evans-Interpretationen, aber da sich auch diesmal bei „My Romance“ eine Gänsehaut einstellt und man bei „The Two Lonely People“ erneut feuchte Augen bekommt, „Who Can I Turn To“ mitreißend swingt, „Gloria’s Step“ und andere Songs Inspiration und Interaktion auf Höchstniveau vorführen, kann man „Momentum“ vorbehaltlos empfehlen, zumal auch Aufmachung und Begleittexte des Inhalts würdig sind. Und der ist wieder einmal pure Magie. Uschi Brüning / Ernst-Ludwig
Petrowsky: Kontraste Wer erinnert sich nicht an die LPs der DDR-Marke Amiga? 16,10 Mark kosteten sie, gerade ein Betrag, wie er vom Mindestumtausch gerne mal übrig blieb. Die Jazz-LPs konnte man fast blind kaufen, interessant war es allemal und diesseits der Grenze nicht sonderlich bekannt, was zu hören war, in einigen Fällen, zu denen „Kontraste“ zählt, extrem „abgefahren“. Seit Herbst 2012 feiern viele Amiga-Jazz-LPs, darunter Alben von Rolf Kühn, Conrad Bauer und Uwe Kropinksi, endlich wieder ein digitalisiertes Comeback. Auf die Frage, was ihr höchste Lust bereite, antwortete Uschi Brüning einmal „Gleichklang der Gefühle, wortloses Harmonieren und gemeinsame Höhenflüge mit den Musikern beim Singen.“ All dies und noch mehr bot das vermutlich abwechslungsreichste und abenteuerlichste Jazz-Duo, das je eine Sängerin im Duo (!) mit einem Holzbläser gebildet hat. Höchst lustvoll und – hier ist es kein Gegensatz – mitunter auch lustig, ist die Zwiesprache mit ihrem Mann Ernst-Ludwig Petrowsky (fl, cl, sopranino, as, bars, voc). Sie bewegen sich in einem namenlosen Neuland zwischen Bop, Free und xy, mit geradezu irrwitzigem Sprach- und Spielwitz unter Einbeziehung von Geräuschen, heftig im Ausdruck, frei im Waltenlassen ihrer Phantasie und doch so diszipliniert und präzise in der Umsetzung. Im Nachhinein denkt man: Wo 1987 so expressiv und explosiv ohne Rücksicht auf Grenzen gejazzt wird, kann der Fall der Mauer ja nicht mehr weit sein.
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