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Dass der Jazz in Europa nach 1945 gut angekommen war und in den einzelnen Ländern eigene Szenen entstanden, mit Musikern, die wie ihre amerikanischen Kollegen international bekannt und geschätzt wurden, weiß man mittlerweile. Und dennoch, aus hiesiger – deutscher – Sicht sind die einzelnen europäischen Szenen sehr unterschiedlich bekannt bis präsent. Belgien ist eines der Länder, das große Künstler beigesteuert hat, dessen aktuelle Künstler aber in Deutschland heute kaum zu hören sind. Das Label Igloo aus Brüssel gibt nun mit drei Publikationen aus 1983, 1988 und 1990 Anlass, einmal zurückzuschauen und zu erleben, was in unserem Nachbarland in Sachen Jazz passiert ist. Belgien ist sicherlich ein relativ kleines Land, das aber über eine sehr reiche Jazz-Vergangenheit und -Gegenwart verfügt. Natürlich gibt es die flämische und die wallonische Seite. Aber interessanterweise spielt dies bei dieser Musik, ihren Produzenten, Veranstaltern und Hörern so gut wie keine Rolle. Die beiden großen Labels, Igloo in Brüssel und De Werf in Brügge, produzieren die Projekte quer durch die Sprachgemeinschaften. Auf Festivals und in Clubs kann man ebenfalls alle ohne Grenzen erleben. Alle zwei Jahre fand bisher das Flämische Jazzmeeting in Brügge im Club De Werf statt, wo man natürlich auch Musiker wie Natalie Loriers zu hören bekam. Mit der diesjährigen Ausgabe ändert sich der Rahmen: Das Meeting heißt nun Belgisches Jazzmeeting und findet abwechselnd alle zwei Jahre in Flandern und der Wallonie statt. Wenn man sich über die aktuelle Situation einen Überblick verschaffen will, kann man die Homepage www.jazzinbelgium.com ansehen. Man wird erstaunt über die Größe und Vielfalt der Szene sein. Einen interessanten Einblick, auch in die Geschichte gibt, das Buch (im CD Format) „The Finest in Belgian Jazz“ von Jempi Samyn und Sim Simons, von De Werf 2002, im Jahr der europäischen Kulturhauptstadt Brügge, herausgegeben. Das Titelblatt trägt das Porträt des „Altvaters“ des belgischen Jazz, Toots Thielemans. Und wer erinnert sich noch an die sagenhafte Clarke-Boland Big Band, die zwar in Köln zuhause war, deren Komponist und Arrangeur (und Pianist) aber Francy Boland aus Belgien war. Fallen einem dann die Namen Philip Catherine oder Jacques Pelzer ein, ist man schon bei den drei Igloo-Aufnahmen. Es beginnt 1983 mit „Crystal Bells“, der Aufnahme mit dem Gitarristen Philip Catherine, dem Bassisten Jean-Louis Rassinfosse und Chet Baker. In den letzten Jahren seines Lebens war Baker oft in Europa, er starb 1988 in Amsterdam. Faszinierend immer wieder sein Beitrag, der oft wie Gesang klingt, in einem endlosen Fluss und dennoch voller Ausdruck. Seine Virtuosität ist unerreicht. Jean-Louis Rassinfosse knüpfte an einige wenige bekannte belgische Bassisten an wie Roger Vanhaverbeke, Paul Dubois oder Jean Warland, letzterer in hiesigen Regionen einigermaßen präsent. Interessant ist, dass Rassinfosse, Jahrgang 1952, durch seine Zusammenarbeit mit Chet Baker schlagartig bekannt wurde, zunächst im eigenen Land und dann darüber hinaus. Danach wollte jeder mit ihm spielen. Baker machte mit ihm in den zehn Jahren ihrer Zusammenarbeit insgesamt sechs Plattenaufnahmen. Und Philip Caterine gehört sicherlich zu der kleinen Zahl belgischer Musiker, die international in der Welt des Jazz angekommen sind. Weshalb dies so ist, beantwortet sein Auftritt auf dieser CD sehr deutlich. Schlagzeug-Ersatz, fließende Begleitung, die ungeheuer farbenreich durch sein Spiel wird, eine an Baker nahtlos anschließende Virtuosität. Nach diesen Aufnahmen mit sechs perfekten Titeln kann man nachvollziehen, warum dieses Trio europaweit so beliebt war. Einen solch geschlossenen wie kreativen Sound erlebt man selten. Auch die Auswahl der Titel ist sehr gelungen, sei es der poetische Titelsong „Crystal Bells“ von Charlie Mariano, der sich in jenen Jahren ja auch oft in Belgien und den Niederlanden aufhielt. Jay Jay Johnsons „Lament“ bewegt genauso wie das temporeiche „Cherokee“. Ganz im Mittelpunkt des Geschehens steht Philip Catherine dann bei der Aufnahme „Oscar“ aus dem Jahr 1988.Zu seinem Trio gehören der niederländische Bassist Hein van de Geyn und der Schlagzeuger Drè Pallemaerts, letzterer heute noch einer der meist beschäftigten europäischen Jazzmusiker. Alle seine künstlerischen Qualitäten lässt Catherine hören, wechselnde Tempi, bildhafte musikalische Wanderungen, die hervorragend passen zu dem das Cover gestaltenden abstrakten Bild, dem man viele Hinweise auf den Verlauf der Musik einer Gitarre entnehmen kann. Bei etlichen Titeln gibt es deutliche Einflüsse des französischen Chansons, was man schon auf der ersten Aufnahme mit Chet Baker erleben konnte. Die meisten Titel stammen aus Catherines Feder, wobei bei „Piano Groove“ wie bei drei weiteren Titeln der Pianist Kevin Mulligan hinzukommt. Bei „Oostduinkerke“ mischen sich Joe Lovano und Trilok Gurtu ein, die interessanterweise das Klangbild nicht wesentlich verändern, allenfalls reicher und größer machen. Man kann auch sagen, sie passen sich an. Voller Poesie dann das Titelstück „Oscar“, wie ein nicht enden wollender Traum. Sehr kraftvoll Hein van de Geyns Schlussstück „Pendine“. Schließlich dann eine Aufnahme mit dem Saxophonisten Jacques Pelzer aus dem Jahr 1990, einem der sogenannte belgischen Urgesteine, der runde 50 Jahre in der Szene zu erleben war, zum Beispiel mit René Thomas oder Bobby Jaspar. Auch Ali Haurand aus der hiesigen Szene spielte längere Zeit mit ihm. Über Pelzer wird berichtet, dass er sich mit vielen großen amerikanischen Vorbildern beschäftigte, von Johnny Hodges zu Benny Carter, Lee Konitz, John Coltrane oder Steve Lacy, dass er aber nie zu „modern“ wurde. Große Ausdruckskraft kann man bei ihm erleben, der auch vermittelt, dass er alles konnte oder beherrschte, was mit diesen Instrumenten möglich war. Sein Pianist ist der damals noch sehr junge Eric Legnini, den man heute eigentlich zur französischen Szene zählt, auch wenn er eindeutig Belgier ist und an der Entwicklung der belgischen Szene der letzten zwei Jahrzehnte großen Anteil hatte. Bart de Nolf ist der Bassist und Micheline Pelzer, Jacques Tochter, spielt das Schlagzeug. Als Gäste kommen dann bei einigen Titeln Barney Wilen am Saxophon und Michel Graillier am Klavier hinzu. Insgesamt mit zehn sehr wechselvollen und bewegenden Titeln wie „Never let Me Go“, „My Foolish Heart“, „How Deep Is The Ocean“ oder „For Minors Only“ ein schöner Rückblick auf das Leben eines bedeutenden europäischen Jazzmusikers, an den heute noch ein gleichnamiger Jazzclub in seiner Heimatstadt Liège erinnert. Mit diesen drei Aufnahmen rundet das Label Igloo seinen über 200 Titel umfassenden Jazz-Katalog auf eindrucksvolle Weise ab. Die meisten Titel betreffen den Jazz aus Belgien der letzten zehn Jahre. (www.igloorecords.de) Hans-Jürgen von Osterhausen Diskografie
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