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Ein Rückblick in die Jazzgeschichte: Im Juni 1971 machten die beiden Jazzenthusiasten Matthias Winckelmann und Horst Weber aus einem Live-Konzert des amerikanischen Pianisten Mal Waldron im Münchner „Domicile“ eine Platte. Die Geburtsstunde von Enja Records, einem Label, das von der Isar aus bald internationale Größe erreichen und mit zahlreichen Veröffentlichungen große Namen des Modern Jazz an sich binden sollte. Als sich Horst Weber 1986 zurückzog, führte Winckelmann das Label alleine weiter und vollzog eine Kursänderung. Nach mittlerweile 40 Jahren Betrieb hat sich manches verändert, doch eines ist gewiss: Enja gehört zu den Legenden des Jazz. JazzZeitung: Herr Winckelmann, 1971, im Jahr, als Louis Armstrong, den Sie sehr verehren, starb, legten Sie mit Mal Waldrons „Black Glory“ den Grundstein für Enja Records. Wie wurden aus den Jazzfans Matthias Winckelmann und Horst Weber, Ihrem damaligen Partner, Unternehmer und Labelgründer? Matthias Winckelmann: Zunächst einmal brauchten wir dafür natürlich Geld. Wir gingen also zur Deutschen Bank und wurden dort von einer sehr netten Dame geradezu mütterlich in punkto Unternehmensgründung beraten. Am Ende fragte sie uns nach Sicherheiten, und wir schwärmten von den tollen und wertvollen LPs, die wir verkaufen wollten. Da sagte sie uns deutlich, dass sie unter Sicherheiten etwas anderes verstünde, und der Kredit war vom Tisch. Ich habe mir dann das Geld privat von meinem Vater geliehen, und schon nach zwei Jahren konnten wir ihm alles zurückzahlen. Überhaupt hatte mein Vater einen nicht unwesentlichen Anteil an dieser Entwicklung. Er wollte eigentlich, dass ich im Wirtschafts- und Finanzbereich Karriere mache, aber er hat sich auch immer sehr für Kunst interessiert. In einem Vater-Sohn-Gespräch hat er mir dann einmal nahegelegt: „Wenn dich etwas richtig bewegt, so dass du damit dein Leben verbringen willst, dann tu es, denn das ist viel wichtiger als Geld. Und wenn du gut bist, wirst du sowieso genug Geld damit verdienen.“ – Das empfand ich als sehr guten Rat. JazzZeitung: Hatten Sie damals keine Zweifel, ob es Ihnen als BWL-Student – mit zugegeben lange gereifter Jazzleidenschaft – gelingt, plötzlich den Jazzproduzenten zu geben, der wesentlich älteren und arrivierten Musikern sagt, wie die Dinge laufen sollen? Winckelmann: Ich habe mir nach dem Studium gedacht: „Mit dem Jazz muss man doch irgendwie seinen Lebensunterhalt verdienen können!“ Was das Selbstvertrauen betrifft: Ich kam von einer sehr freiheitlichen Schule, der Odenwaldschule, die ja erst kürzlich wegen der Missbrauchsfälle durch die Medien gegangen und mittlerweile von der Pleite bedroht ist – eine schreckliche Sache, die allerdings erst zehn Jahre nach meinem Abitur passiert ist. Diese Schule war aber unglaublich gut und hat einen zu enormer Selbständigkeit erzogen und darauf vorbereitet, das zu tun, was man wirklich wollte. JazzZeitung: …und der Respekt von den älteren Musikern? Winckelmann: …Wissen Sie, wenn ich damals in New York oder auch später im Domicile mit älteren Musikern – gerade Amerikanern wie Freddie Hubbard, Woody Shaw oder Tommy Flanagan – zu tun hatte, haben meine Frau und ich die erst mal gemütlich zu uns zum Essen eingeladen. Wenn die dann gemerkt haben, dass wir es ehrlich mit ihnen meinten, versuchten, auf Ihre Wünsche einzugehen und auch noch bereit waren, Geld dafür zu zahlen, bekamen wir sofort ein offenes Ohr. Das waren die amerikanischen Musiker gar nicht gewohnt und dementsprechend begeistert. Daraus hat sich viel Vertrauen entwickelt und mir langjährige Freundschaften gebracht wie mit Attila Zoller oder Chet Baker, mit dessen Familie ich heute noch Kontakt habe. JazzZeitung: Die Aufnahme zu Chet Bakers „The Last Great Concert“ ist ein ungeheurer Wurf für Enja gewesen, ein Meilenstein und sozusagen das „Köln Concert“ von Enja... Winckelmann: Ja, das könnte man so sagen. Eine geniale Aufnahme, mit der besten Version von „My Funny Valentine“, die man sich vorstellen kann! Die Platte hat uns international hoch gebracht – Italien, Frankreich, Spanien und so weiter. Das war ungeheuer wichtig für uns. Noch heute verkaufen wir von der Platte nicht unter tausend Stück im Jahr. Sollte man als Musikfreund im Schrank haben... JazzZeitung: Arbeiten die Künstler im Studio heute anders als die Sessionmusiker der 70er- und 80er-Jahre, als Arrangements noch häufig ad hoc zusammengezimmert wurden? Winckelmann: Die Musiker haben heute fester formulierte Ideen, klarere Vorstellungen von dem, was sie vorhaben. Manchmal sitzt man da wie ein Buchverleger. Es wird einem etwas angeboten und man sagt, „gefällt mir, kauf ich“. Aber oft kann ich als Produzent eben doch noch vernünftige Ratschläge geben. Was mir heute fehlt, ist die Spannung der alten Aufnahmen, als noch mit Zwei-Spur-Technik aufgenommen wurde und man nicht alles beliebig wiederholen konnte. Die Intensität ist damals oft eine andere gewesen. JazzZeitung: …auch unterstützt von diversen illegalen Substanzen... Winckelmann: Allerdings! Die Musiker damals waren ein anderer Schlag. Früher musste man ins Studio erst mal mehrere Sixpacks Bier mitnehmen, bevor irgendwas gespielt wurde, heute dreht sich alles um die Frage, ob die Musiker nun Wasser mit oder ohne Kohlensäure trinken wollen. JazzZeitung: In den 80er-Jahren hat sich Ihr Katalog radikal verändert. Der klassische Modern Jazz ist mehr in den Hintergrund getreten und hat anderen Einflüssen Platz gemacht. Ihre Künstler kamen seither nicht mehr nur aus Nordamerika, sondern zunehmend auch aus Europa oder Afrika. Zum Instrumenteninventar mischten sich plötzlich Exoten wie Oud oder Saz. Ein harter Schnitt, den Sie da vollzogen haben? Winckelmann: Mein Label sollte nie ein Bebop-Museum sein, das gibt’s ja auch und ist aller Ehren wert, ich finde das aber wahnsinnig langweilig. Ich wollte immer mehr auf die aktuelle Musikszene eingehen. Angefangen hat das in einem Plattenladen in der Münchner Sonnenstraße. Den gibt’s heute nicht mehr, aber damals konnte man sich da in Kabinen setzen und den ganzen Tag Platten hören. Die Verkäuferin hat mir einmal eine Scheibe in die Hand gedrückt und gesagt, „Hör dir das mal an, da fällst du aus den Socken!“. Das bin ich dann auch: Die Platte war von Abdullah Ibrahim, Dollar Brand, wie er damals noch hieß. Ein halbes Jahr später habe ich ihn bei einem Auftritt im Domicile kennengelernt und wir begannen unsere Zusammenarbeit. Das hat ein neues Fenster geöffnet. Auch Rabih-Abou Khalil kam früh zu uns. Der hat mir die arabische Musik nähergebracht. Inzwischen haben wir uns ja darauf ein wenig spezialisiert, das wird immer mehr. JazzZeitung: Mitunter hört man den Vorwurf, dass Enja durch diese Öffnung die klare Linie abhanden gekommen ist, die zu Zeiten von Chet Baker und Mal Waldron noch erkennbar war. Der Konsument weiß nicht immer, was drinsteckt, wenn Enja draufsteht... Winckelmann: Ja, das ist mir klar. Im Vergleich zu uns hat ECM zum Beispiel eine viel deutlicher erkennbare Linie, aber das ist eben deren Weg und wir machen das anders. Renaud García-Fons zum Beispiel hat gerade eine Solo-Kontrabass-Platte gemacht. Was hat das mit Jazz zu tun? Nichts, aber das ist völlig egal, denn was der da macht, das ist unglaublich. Da geht es uns mehr um Individualitäten als um Stilistiken. JazzZeitung: Bei ihrem Jubiläumskonzert im Gasteig wird neben Renaud Garcá-Fons auch Banda Cittá Ruvo di Puglia, ein Symphonisches Blasorchester aus Süditalien, spielen. Eigenartiges Line-Up für ein Jazzlabel-Jubiläum... Winckelmann: Viele Leute haben mich schon gefragt, ob ich spinne. Das war eben eine spontane Idee. Bei La Banda wird zwar nicht improvisiert, aber bei diesen 44 Mann ist solch eine Lebensfreude und Power drin – umwerfend! Für den Jazzteil gibt es ja noch unsere Künstler, die in der Unterfahrt spielen werden. Lee Konitz, Dusko Goykovich oder Anke Helfrich zum Beispiel, die dann sogar zum ersten Mal in München spielen wird. JazzZeitung: Wir freuen uns drauf und wünschen Ihnen viel Energie und Erfolg für die kommenden Jahrzehnte! Interview: Jörg Lichtinger Konzert-Tipps40 Jahre Enja in Zusammenarbeit mit dem Jazzclub Unterfahrt München
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