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Längst hat der Jazz die Hundert überschritten. Dass er sich trotz des stolzen fortgeschrittenen Alters oft so vital zeigt, hat mit der Neugier, der Offenheit, den Ambitionen und der Risikobereitschaft einiger seiner namhaften Protagonisten zu tun, aber auch mit den vielen Musikern, die ihn abseits einer großen Öffentlichkeit immer wieder neu erfinden wollen. Jazz ist und bleibt eine Versuchsanordnung. Dass diese auch die Möglichkeit des Scheiterns beinhaltet, gab Mario Steidl – neben seiner Frau Michaela Mayer einer der beiden Intendanten des Jazzfestivals im österreichischen Saalfelden – einige Monate vor der Veranstaltung auf einer Pressekonferenz auch unumwunden zu. Wo gibt es das noch, dass ein Festival nicht auf Nummer sicher gehen will und sich auf Wagnisse einlässt? Dafür ein großes Kompliment, gefolgt von einem kleinen Kritikpunkt: Vorab verteilte Tonträger deuteten manchen musikalischen Flop schon an. So konnte man sich sicher sein, dass etwa der Free-Jazz-Saxophonist David S. Ware in den letzten Jahren nicht groß dazugelernt hat. Und so kam es dann auch: Er spielte auf der Bühne im ausverkauften Congress eine Musik, die einfach anachronistisch wirkt – da kann sie noch so energetisch sein. Ob seine Power den türkischen Improvisatoren von „KonstruKt“, die sich um Marshall Allen, den einstigen Wegbegleiter Sun Ras verstärkten, etwas gebracht hätte? Kaum. Sie klangen so unsinnig wie unsinnlich. „Tsching Bummmm“, „Humba Humba Tätarä“, „Didl Dum Didl Dey“, „Holadiria Holadioh” stand in Riesenlettern auf den Plakaten, mit denen das Jazzfes-tival Saalfelden diesmal für sich warb. Die Musik der vier Festivaltage lief aber auf mächtig „Krawumm!“ hinaus. Lärm nämlich, oder neudeutsch „Noise“, ist ein Gestaltungsmittel, dem man Ende August am Steinernen Meer im Pinzgau kaum entkommt. Es war interessant anzuhören, wie unterschiedlich die eingeladenen Künstler damit umgingen: Während die akustischen Störmanöver in der Band der Violaspielerin Jessica Pavone so gewollt tönten wie der Rest ihrer unorganischen Musik, nutzten andere Formationen den Radau differenzierter: Die Bands des norwegischen Bassisten Ingebrigt Haker Flaten, des vietnamesisch-amerikanischen Trompeters Cuong Vu, des Gitarristen Nels Cline, die Gruppen Bushmen´s Revenge und Das Kapital setzten das infernalische Volumen als faszinierende Klangfarbe ein – auch wenn es eine besonders grelle ist… Dort, wo Rückkopplungen, Verzerrer oder Distortion-Pedale keine Anwendung fanden, spielte sich manche Gruppe mit Mitteln der Dynamik bis an die Lust bereitende Schmerzgrenze: so geschehen beim Auftritt des Pianisten Matthew Shipp. Ein kleiner, fast ironischer Wink an die Veranstalter dürfte aber gewesen sein, dass ausgerechnet eine klassisch anmutende, berührende, zarte, von Dissonanzen freie Ballade den größten Applaus des gesamten Festivals einbrachte: Gespielt wurde sie vom sonst auch nicht eben zart besaiteten Trio „The Bad Plus“, das sich mit dem Saxophonisten Joshua Redman einließ. Das Konzert gehörte zu den nicht wenigen Höhepunkten der Veranstaltung. Die hatte im Übrigen auch mal Musik für Feinsinnige zu bieten. Solche wurde im Eröffnungskonzert von Max Nagl gespielt, aber ebenso in Lorenz Raabs Allstar Quartett „Expanded“, im Trio des Schlagzeugers Jim Black oder im Quartett der Trommlerin Allison Miller. Es geht auch ohne Krawumm. Text und Foto: Ssirus W. Pakzad |
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