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Jazzzeitung
2011/05 ::: seite 9
portrait
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Der Augsburger Schlagzeuger Walter Bittner überrascht mit einer
ausgewachsenen Suite für Jazzquartett. Gemeinsam mit Stephan Holstein,
cl, bcl, as, Daniel Mark Eberhard, p, acc, melodion, und Uli Fiedler,
b, entstand aus elf instrumentalen Stücken und zwei gesungenen „Interphases“ ein
Bild des Lebens, ein Bild auch unserer Zeit: „Imago – a modern
suite“. Neben dem klassisch besetzten Jazzsound setzt Bittner sehr
gezielt den Laptop ein, reichert mit elektronischen Soundfiles den musikalischen
Weg an, der abwechslungsreiche Blicke über den Tellerrrand hinaus
ermöglicht, kurzweilig, subtil, anders.
JazzZeitung: Es ist ja im Jazz nicht völlig ungewöhnlich,
aber doch eher unüblich, dass man eine umfangreiche, dreiteilige,
zusammenhängende Suite schreibt.
Walter Bittner: Als Musiker habe ich mich, seit ich mit 13 Jahren angefangen
habe zu spielen, in so ziemlich allen Gefilden getummelt, angefangen
von Rock über brasilianische Musik und freie Musik bis hin zum Jazz,
mit dem ich mich inzwischen schwerpunktmäßig befasse. Das
Album ist wie ein Tagebuch geworden, wie eine Art Autobiografie, die
verschiedene Phasen umfasst. Der erste Teil – „The Source“ – befasst
sich damit, wie man überhaupt zur Musik kommt. Da gibt es Kinderlieder,
Volkslieder, das ist wie eine Erinnerung an die Kindheit. Im zweiten
Teil – „Fractured Transitions“ – kommt dann so
eine Art musikalische Pubertät: Man beginnt, sich zu reiben, sucht
nach Vorbildern, nimmt Herausforderungen an. Für mich manifestiert
sich das an den drei Persönlichkeiten Monk, Mozart und Rudolf Diesel.
JazzZeitung: Wie passt der denn in die Reihe?
Bittner: Er passt insofern dazu, als alle drei auf der
einen Seite sehr erfolgreich waren, auf der anderen Seite in ihrem Leben
auch etliche
starke Brüche erleben mussten. Diesel kennt man als erfolgreichen
Erfinder. Aber in seinem persönlichen Leben gab es große Schwierigkeiten.
Sein Ende ist ja nach wie vor ungeklärt. Da gibt es einen richtigen
Mythos, ob da nicht jemand nachgeholfen hat. 2008 war sein 150. Geburtstag,
und die Stadt Augsburg und die MAN sind auf Stephan Holstein und mich
zugekommen, ob wir nicht zu diesem Anlass eine Komposition schreiben
könnten. Das war auch der Beginn meiner Zusammenarbeit mit Stephan.
Ich habe alte Dieselmotoren im Museum aufgenommen und gesampelt, dazu
haben wir gespielt und versucht, Diesels Persönlichkeit musikalisch
zu erfassen und auszudrücken. Mozart war einer der größten
Komponisten, aber auch bei ihm gibt es im Privatleben Krankheit, Probleme.
Monk hatte ebenfalls schwer zu kämpfen. Was uns gereizt hat, sind
die Brüche in den Personen.
JazzZeitung: Das kommt in den Stücken zum Ausdruck.
Bittner: Das Stück „Momo“ ist eigentlich die C-Dur-Sonate
von Mozart. Wir haben sie ein bisschen „monkifiziert“. So
eine Herangehensweise reizt mich sehr. Ich versuche das so authentisch
wie möglich rüberzubringen. Das ist eben diese musikalische
Adoleszenz, sich an sperrige Sachen heranzuwagen, sich daran abzuarbeiten,
Erfahrungen zu sammeln. Der dritte Teil – „Echoes of Home“ – ist
dann so etwas wie eine Zusammenfassung, eine Rückbeziehung auf die
eigene Tradition, angereichert durch das, was ich im Laufe meines Lebens
musikalisch, aber auch gesellschaftlich und persönlich an Erfahrungen
gesammelt habe. Im Laufe der Arbeit an diesen Stücken ist mir nach
und nach aufgefallen, dass das nicht nur einzelne Tracks sind, sondern
dass es eben auch eine innere Verbindung gibt, dass diese Stücke
sehr viel miteinander zu tun haben. Die CD ist für mich wie so eine
Babuschka-Puppe: „Urbanity“ zum Beispiel fängt an mit
indonesischen Jahrmarktgeräuschen, dann kommt ein Helikopter, der
fliegt einen nach Casablanca – daher ein Kurzzitat von „As
Time Goes By“ – bis zum Ende in der heutigen urbanen Gesellschaft.
Das ist fast wie eine Suite in der Suite. JazzZeitung: Da steckt viel Überlegung drin. Wie steht es mit der
Improvisation?
Bittner: Manche Teile sind klar strukturiert und vorgegeben,
andere sehr frei. In „The Fox“ zum Beispiel, das ist ja eigentlich „Fuchs
du hast die Gans gestohlen“, ist der Improvisationsanteil sehr
hoch. Es gibt arrangierte Eckpunkte; was dazwischen ist, variiert. Da
kann die Improvisation sich auch mal auf zehn Minuten ausdehnen. Auch
wenn ich viel mit dem Laptop arbeite: Ich kann die Sounds während
des Spielens abrufen, kann sie punktgenau dann einsetzen, wenn sie passen.
Ich kann vom Schlagzeug aus entscheiden, welchen Part ich einspielen
will. Das gibt uns sehr viel Freiheit. Arrangements und Technik dürfen
nicht so dominieren, dass kein Freiraum bleibt. Ein großer Vorteil
ist, dass wir eher eine Working Band sind, dass wir uns häufig treffen,
viel miteinander spielen. So können wir viel experimentieren.
JazzZeitung: Was steht zur Zeit an?
Bittner: Gerade sind wir mitten in den Proben für die Live-Präsentation
eines Hörbuchs von Axel Hacke und seiner Frau Ursula Mauder, mit
Texten von ihm und Songs von ihr. Dazu gibt es eine CD, „Das Beste
aus meinem Liebesleben“, die übrigens auch einen Preis bekommen
hat (den internationalen Buchpreis „Corine“, Anm. d. A.)
und jetzt auch verstärkt live präsentiert wird. Da stehen im
Herbst mehrere Konzerte an. Und natürlich werden wir auch unsere
eigene CD präsentieren. Interview: Tobias Böcker
CD-Tipp
Walter Bittners Zakedy Music: Imago – a modern suite
GLM EC 547-2 |