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Er lebt in einer winzigen, einsamen Siedlung unweit von Siena. Doch nachts, wenn er sich in sein Kissen schmiegt, gibt der Pianist Stefano Battaglia den Baumeister und fantasiert sich unmittelbar vor dem Einschlafen schon mal die eine oder andere Metropole zusammen. Nun führt ihn ein neues Album durch Städte, die andere ersonnen haben. Eine bemerkenswerte Reiseroute hat Stefano Battaglia da für seine CD „The River of Anyder“ (ECM) ausgearbeitet – eine Strecke, die in keinem Travel Guide der Welt zu finden ist. Immerhin eine reale, wenn auch sehr unwirkliche, legendenumwobene Station liegt auf seinem Weg, der Berg Ararat, auf dem Noah mit seiner Arche einst gestrandet sein soll. Um von dort aus weiter zu kommen, muss der 46-jährige Italiener in kein Auto steigen, keinen Zug nehmen, keinen Flieger betreten – sondern einfach nur die Augen schließen und an Texte denken, die berühmte Reiseleiter der Literaturgeschichte einst verfassten. Schon treibt er auf dem wasserlosen Fluss, der sich in Thomas Morus‘ „Utopia“ um die Hauptstadt Amaurot schlängelt, findet er sich in Tolkiens weißer Stadt wieder oder in Sir Francis Bacons „Bensalem“, jener Metropole, die jetzt irgendwo auf dem Meeresgrund schlummert, nachdem sie mit Atlantis unterging. Auf dem Weg nach München aber ist der Pianist, der schon mit Widmungen an Pasolini, an Bill Evans und Paul Bley auffiel, in einen ganz realen Stau geraten und auch der Strafzettel, den er in der Parknische vor seiner Herberge kassierte, war kein Detail seiner Fantasie. Dem Anreisestress entflieht Battaglia, in dem er seinen Interview-Partner gleich nach der Ankunft mitnimmt auf die imaginäre Reise seines Albums. Doch auch geschichtsträchtige Orte im Hier und Jetzt bringen ihn zum Träumen. „Ich vergleiche Harmonien jetzt einmal mit Städten. In Städten haben wir vertikale Architektur – auch Harmonien sind vertikale Bauwerke“, sagt der klassisch ausgebildete Pianist, der übrigens auffallend zarte, kurze Finger hat. In gebrochenem, aber charmantem Englisch fährt er fort. „In Paris etwa gibt es viele antike Kirchen – und daneben stehen oft hochmoderne Gebäude. Dieser Dialog ist nicht uninteressant. Als Musiker stellen wir uns dieser Thematik dauernd. Ich nutze zum Beispiel Harmonien der Renaissance und der Romantik, und aus der Jazzmusik stünden mir theoretisch ungezählte Möglichkeiten offen, auf die ich zurückgreifen kann: modale Konzepte, Polytonales. Unsere Arbeit besteht darin, sinnvolle Kombinationen zu finden.“ Und doch widersteht Stefano Battaglia meist dem reichen Angebot, das der Jazz offeriert – seine gelegentlich archaisch anmutende, manchmal verwunschene Musik belegt, dass er es ernst meint mit der Verweigerung. „Ich liebe viele Traditionen, die auch immer wieder den Weg in meine Musik finden. Und ich pflege die eigenen Wurzeln. Aber mir war immer wichtig, das Einfache in den Melodien und Rhythmen zu finden. Als Künstler dürfen wir unsere Unschuld nicht verlieren“, sagt er sanft, aber beschwörend. Er versucht sich die seine zu bewahren, in der er die elementarsten Aspekte der Musik hervorhebt und mit seinen Mitspielern vorab die Parameter durchgeht. „Melodien brauchen Raum. Wenn ich musiziere, muss ich das Licht um eine Melodie herum schützen. Ich versuche meinem Bassisten Salvatore Maiore und meinem Schlagzeuger Roberto Dani zu vermitteln, dass sie melodisch denken und auf den üblichen Puls verzichten sollen. Wenn ich allerdings Tänze schreibe, versuche ich mich auf den Rhythmus und seine Fröhlichkeit zu konzentrieren, auf das Körpergefühl, das beim Spielen entsteht. Seit Jahren versuche ich Musik zu komponieren, die weniger idiomatisch ist und einen Abstand zwischen mir und aktuellen Strömungen schafft. Ich schreibe Musik, die sich nicht hochentwickelt geben soll. Sie hätte auch vor tausend Jahren entstanden sein können – ausgeführt von ganz einfach denkenden Musikern mit ganz einfachen Instrumenten. Über Melodien, Rhythmen, Tänze erschließe ich mir einen fast primitiven Zugang zur Musik. Ich brauche das in dieser Phase meiner Entwicklung.“ Text und Foto: Ssirus W. Pakzad |
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