Anzeige |
||
Anzeige |
|
Jeder Musikjournalist träumt davon, fürs Feuilleton einer angesehenen Tageszeitung zu schreiben. „Heyyyyyy, du bist ja heute in der Neuen Presse!!!“, mailte mir letzte Woche eine alte Flamme. „Ist die CD wirklich so gut???“ Ich dachte erst: Was soll das? Dann fiel es mir ein: Ach ja, eine Rezension hatte ich denen geliefert, auf ganz kurze Deadline, das war enorm eilig gewesen. Aber dann brachte der Redakteur sie doch nicht unter, irgendeine Ausgrabung von 2.000 Jahre alten römischen Trümmern brauchte plötzlich eine halbe Seite im aktuellen Feuilleton, der Redakteur stellte mir „vielleicht ein kleines Ausfallhonorar“ in Aussicht. Das war vor einem halben Jahr etwa, ich hatte den Text längst vergessen und in den Wind geschrieben. Aber nun hatten sie ihn wohl doch gedruckt – so viel zum Thema Aktualität von Tageszeitungen. Aber dafür ist dort redaktionelle Professionalität am Werk, das spürt man. Meine kleine, fast vergessene Rezension habe ich jedenfalls kaum wiedererkannt: Das nennt man aufwändiges, gewissenhaftes Schlusskorrektorat..., dachte ich zuerst. Dann: Komisch, kann mich gar nicht erinnern, das geschrieben zu haben... Und dann: Diese holprigen Satzanschlüsse, na ja, es musste sehr schnell gehen damals... Inzwischen habe ich aber den Originaltext in meinem Computer gefunden und kann mir das gedruckte Ergebnis nur so erklären: Jeder in der Redaktion der Neuen Presse bekam einen Satz zugeteilt und musste ihn um 50 Prozent kürzen. Unabhängig voneinander, Spicken verboten! Was für ein Aufwand für meinen kleinen Beitrag! Herausgekommen ist ein avantgardistisches Sprachexperiment mit lauter grammatikalischen Innovationen. Sie haben sogar raffiniert den Namen des CD-Künstlers weggelassen, aber dafür aus Miles Davis einen Mike Davies gemacht. Feuilleton hat eben oft literarische Qualität. Rainer Wein (rainer.wein@gmx.net) |
|