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Jazzzeitung

2011/05  ::: seite 15

rezensionen

 

Inhalt 2011/05

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazzlexikon: Michel Petrucciani no chaser: Feuilleton!

TITEL - Musik am Rand?
Zum 12. Darmstädter Jazzforum

DOSSIER - The Best Die Young
Ungelebte Lebensläufe · Von Hans-Jürgen Schaal

Berichte
Leipziger Jazztage // „Jazz auf Reisen“-Jubiläum mit Dusko Goykovich im Neuburger Birdland // Jazzfestival Saalfelden 2011 // Jazz Festival Viersen 2011 // Willisau Jazz Festival 2011

Portraits
Eddie „Lockjaw“ Davis // Pianist Stefano Battaglia // Quartett Fattigfolket // Sängerin Yara Linss // Nürnbergs Jazz-Szene // Matthias Winckelmann // Walter Bittners Zakedy Music

Jazz heute und Education
Die neue Hochschule für Kunst, Design und Populäre Musik in Freiburg // Der BMW Welt Jazz Award im dritten Jahr // Unter der Lupe: das Bayerische Jazzinstitut in Regensburg // Abgehört: Im Zick-Zack aus der Stadt
John Scofields Solo über „Out Of The City“

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

 

neues von gestern

Von Marcus A. Woelfle

Art Pepper: The Club Art Pepper at Ronnie Scott’s 1980
7 LPs: Pure Pleasure Records

Die Diskographie Art Peppers ist groß, vor allem was Aufnahmen aus den letzten fünf Jahren seines Lebens anbelangt. Er war nach einem wegen Drogendelikten weitgehend hinter Gittern geführten Leben wieder auf der Höhe seines Ruhmes angelangt und spielte mit einer Intensität, die in ihrer Leidenschaftlichkeit eben Lebenshunger verriet, wie sie in der Zerquältheit des einst so ebenmäßigen Sounds, in der Gebrochenheit der einst so klar proportionierten Linien das durchgemachte Leid nicht verhehlen konnte, aber auch nicht die Freude, vor einem neuen Anfang zu stehen. Die Aufrichtigkeit seiner Musik gewann ihm viele Freunde in der nun endlich vielbetourten Welt, und der wohltätige Einfluss seiner Frau Laurie schlug sich auch direkt in Aufnahmesituationen nieder. Die Witwe ist heute Nachlassverwalterin. In ihrem Besitz befanden sich noch Bänder der am 27. und 28. Juni 1980 mitgeschnittenen Konzerte, die Pepper mit dem Pianisten Milcho Leviev, dem Bassisten Tony Dumas und dem Drummer Carl Burnett im Londoner Club Ronnie Scott’s gab. Zu ihrem Erstaunen waren es 17 (!) Stücke mehr als die 8, die seinerzeit auf den Alben „Blues For The Fisherman“ und „True Blues“ auf dem Label Mole erschienen und ohnehin schon selten aufzutreiben waren. Die Fundstücke sind auf dem hohen Niveau der bekannten Aufnahmen. Das Beiheft enthält drei interessante Interviews mit dem Saxophonisten, der übrigens gelegentlich zur Klarinette greift.

Inge Brandenburg
Sing! Inge, Sing!

Silver Spot Records

Inge Brandenburg war im dritten Viertel des 20. Jahrhunderts die bedeutendste deutsche Jazzsängerin und wurde 1960 sogar auf dem Festival im südfranzösischen Juan-les-Pins zur „besten europäischen Jazzsängerin” gekürt. Und doch: Suchte man bislang nach Dokumenten ihrer Kunst, die diesen Ruf rechtfertigen, hatte man es schwer: Die Bear-Family-CD „Why Don’t You Take All Of Me“ enthält nur wenige echte Jazzstücke, im übrigen zum Teil dürftige Schlager, denen sie immerhin in homöopathischen Dosen ein gewisses Jazzfluidum verleihen durfte. Und auf „It’s Alright With Me“, ihrer einzigen LP, wird zwar kompromisslos gejazzt, doch ist das Album eine nicht unbedingt repräsentative Momentaufnahme. Nun hat Marc Boettcher, ein Spezialist für Sängerinnen, der zum Beispiel Streifen über Alexandra und Gitte gedreht hat, sein ganzes Können und Herzblut in den Dokumentarfilm „Sing! Inge, Sing“ gesteckt, in dem Inge Brandenburg, die weit häufiger gefilmt und aufgenommen wurde, als man zu träumen gewagt hätte, nicht nur in ihrer Tragik, sondern auch in ihrer künstlerischen Größe plastisch in Erscheinung tritt. Als „Nebenprodukt“ erscheint nun dieses Juwel: Inge in Aufnahmen (überwiegend aus ihrer besten Zeit) mit kongenialen Kollegen wie Goykovich oder den Mangelsdorffs! Endlich besitzen wir ein würdiges Denkmal für die bewegende Ausdruckskraft ihrer dunklen warmen Stimme, ihrem geradezu genialen Gespür für Timing und blue notes.

Stan Getz And J. J. Johnson
At The Opera House

Poll Winners Records

Nicht immer kam ein befriedigendes Ergebnis heraus, wenn Norman Granz Musiker, die sonst kaum etwas miteinander zu tun hatten, gemeinsam vor das Publikum stellte. Aber im Herbst 1957 schuf so eine All-Star-Formation im vielleicht vollendetsten JATP-Konzert reine Magie. Jay Jay Johnson, der ein Jahrzehnt zuvor die Neuerungen des Bebop auf die dafür scheinbar ungeeignete Posaune übertragen hatte, traf auf einen anderen Stammvater, das Cool-Idol Stan Getz, dem meist imitierten weißen Saxophonisten. Obwohl man sie immer gerne in stilistische Schubladen steckte, transzendierten sie längst modische Unterscheidungen wie Hot und Cool. Ihr kontrapunktisches Stimmengeflecht in „My Funny Valentine“ muss man gehört haben, um zu wissen, was Kreativität bedeutet, wenn man mit Musikern spielt, die nicht zur eigenen Band gehören: Gedankenlesen. Und Oscar Peterson (p), Ray Brown (b), Herb Ellis (g) und Connie Kay (dr) swingten fast noch mehr, als man es von ihnen ohnehin erwartet. Ein Album für die einsame Insel – das sagt sich so leicht. Mein erstes Exemplar erhielt ich nie mehr zurück. Dann schaffte ich mir zwei Lps an, eine zum Abspielen und Verleihen sowie eine Reserve für Sendungen und für alle Fälle. Höre und staune: Hinter dem Titel „At The Opera House“ verbergen sich zwei ganz verschiedene Lps. Eine Stereo-Version wurde in der Tat im Chicagoer Opera House aufgenommen, die Mono-Version im Shrine Auditorium, L.A. Hier sind beide vollständig vereint.

Freddie Hubbard: Pinnacle. Live & Unreleased from Keystone Korner
Resonance Records

Wer Freddie Hubbard in den letzten Jahren seines Lebens live oder auf einer seiner mittlerweile nur noch spärlich erscheinenden Alben hörte, stand fast fassungslos vor einem Trompeter, der, ein Schatten seiner Selbst, viel von seinen technischen und gestalterischen Fähigkeiten eingebüßt hatte. Das schiefe Bild wieder zurechtzurücken, kommen posthume Aufnahmen aus guten Tagen gerade recht. Als er im Juni und Oktober 1980 im Keystone Korner, San Francisco, auftrat, seinerzeit, was Fülle und Qualität der dort entstandenen Aufnahmen angeht, eine Art Village Vanguard des Westens, da spielte er rückhaltlos auftrumpfend mit dem Feuer eines Jünglings und der Kraft eines erfahrenen, virtuosen Vollprofis im Zustand inspirierter Besessenheit. Mit Feuereifer dabei waren auch Billy Childs (p, ep), Larry Klein (b) und je nach Konzert Phil Ranelin (tb), Hadley Caliman (ts), David Schnitter (ts), Sinclair Lott (dr) und der 2011 verstorbene Eddie Marshall (dr). Das Repertoire besteht hauptsächlich aus Hubbard-Kompositionen, doch findet sich auch eine furiose Version eines Stückes, das Hubbard sonst nie aufnahm: „Giant Steps“ von John Coltrane, einer der ersten, dem jungen Hubbard die Chance zu Plattenaufnahmen gab. Eine seriös produzierte CD, die mit Erinnerungstexten aus vier Federn und Bildern von Kathy Sloane, die jahrelang im Keystone Korner fotografiert hat, auch ansprechend aufgemacht ist, und bei der auch die Aufnahmequalität passt.

Jan Johansson with Georg Riedel
In Hamburg

ACT

Jan Johanssons Bedeutung für den schwedischen Jazz könnte man mit der Griegs für die norwegische Spätromantik vergleichen: Er erschloss der Musik seiner Epoche den reichen Schatz an Liedern und Tanzweisen seiner Heimat, besaß als Pianist so viel Können und Originalität, dies auf exemplarische, einflussreiche und auch im Ausland erfolgreiche Weise zu tun und sorgte damit dafür, dass innerhalb einer internationalen Musiksprache die Verbindung zu den eigenen roots eine große Rolle spielt. Der europäische Jazz verdankt diesem virtuosen Tastenpoeten, der „auf amerikanischem Niveau“ spielte und doch skandinavisch klang, einen Teil seiner Emanzipation. 2011 wäre er 80 Jahre alt geworden, doch nur 37 Lebensjahre waren Jan Johansson vergönnt, und das macht ein Album mit unveröffentlichtem Material erster Güte zu einem Ereignis. Es sind überwiegend 1964 bis 1968 für den NDR entstandene Perlen, bei denen der Bassist Georg Riedel mitwirkt, der auch als Komponist der Musik zu „Pippi Langstrumpf“ Johanssons Erbe weiterführte. „In Hamburg“ ist ein evorbildliche Produktion, zeigt sie doch, wie man aus Aufnahmen, die in verschiedenen Jahren und in verschiedener Besetzung (von Duo bis zur Bigband, mit und ohne Johansson) entstanden und ein von Originals über schwedische Folklore bis zu amerikanischen Standards ein breites Repertoire abdecken, ein homogenes, im Ablauf stimmiges Gesamtwerk komponieren kann.

Marcus A. Woelfle

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