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Erster Workshop-Abend. Die Kursteilnehmer treffen im Saal zur Kennenlern-Session ein. Rechts auf der Bühne sind Sängerin, Pianist und Flügel, zwischen Bösendorfer und Wand stehen zwei Saxofonisten, links ist die Vibraphon-Riege. An der Wand sitzt Workshopleiter Wolfgang Lackerschmid mit Beatles-Bass: „Vorläufig sag ich gar nichts. Ich bin nur euer Bassist, ich spiele, was ihr wollt“, meint er, lächelt breit, spielt ein paar Töne. Die Teilnehmer wählen „Girl from Ipanema“, beginnen zögernd, unentschieden. Lackerschmid steht auf, dirigiert die Abfolge, jetzt klingt es „echter“.
Beim Brasilianischen gibt es nichts, was auf Eins anfängt, meist beginnt es mit einem Auftakt“, fängt er den folgenden Vormittag an: Auch der portugiesische Originaltext von „Girl from Ipanema“, beginne auf Eins und. „Man sagt, die Musik ist beeinflusst von der Eisenbahn.“ Deshalb „rollt“ der Rhythmus. Neun Personen sitzen um die rechteckige Tischrunde, sieben davon sind Teilnehmer vom Quereinsteiger bis zum Routinier, vom Rentner bis zum Twen, aus Russland, Schweiz, Belgien, Deutschland, dazu die Workshopleiter, Jazzsängerin Stefanie Schlesinger, Vibraphonist und Komponist Wolfgang Lackerschmid. Zuerst wird auf den Tisch geklopft. Mit vorgegebenen und improvisierten Claves, binären, über zwei Takte reichenden Rhythmusmotiven wird das Groovegefühl im Unisono trainiert. Den Schluss des ersten Theorieparts bildet der Partido Alto, ein brasilianischer Grundrhythmus: „An der falschen Verwendung von Akzenten außerhalb der Figur erkennt man die Leute mit Akzent“, sagt Lackerschmid. Dann geht es ans Spielen. Hauptschauplatz des fünftägigen „praxisbezogenen Intensivkurses“ mit dem Augsburger Jazzpaar Schlesinger & Lackerschmid ist das „Wyberhus“, einst da für die weiblichen Angestellten der Propstei St. Gerold, heute Veranstaltungssaal. Vor 1.051 Jahren gegründet, wurde die Propstei mit Klostergarten, Landwirtschaft und Gestüt von Pater Nathanael Wirth ab 1958 zur behutsam modernisierten Stätte der Begegnung und Kreativität ausagebaut. Am Sonnenhang des Großen Walsertales finden rund ums Jahr Tagungen, Kurse, Konzerte mit renommierten Künstlern aus Jazz und Klassik statt. Vor zwei Jahren tagte ECM in der Propstei, hier entstanden einige Aufnahmen für das Label– so Anfang der 90er „Officium“, die legendäre Garbarek-Scheibe mit dem Hillard-Ensemble. Wolfgang Lackerschmid trat 1986 zum ersten Mal in St. Gerold auf, 1991 startete er seinen jährlichen Jazz-Workshop - zunächst im Sommer, später im Januar. „Da haben die meisten Urlaub“, erklärt er. Doch die Serpentinenauffahrt zu der 850 Meter hoch gelegenen Propstei ist im Winter oft kein Pappenstiel. Der diesjährige Jazz-Kurs fand wieder im August statt und traf damit ins Blaue: Eine Bilderbuchberggegend, ein dauerblauer Himmel, klösterlich-spirituelle Ruhe, Schwimmbad und gutes Essen untermalen die täglich vier Stunden Workshop plus „Hausaufgaben“ oder Jazzgesangsstunde, die abendlichen Sessions mit Gespräch und Musik. Das fühlt sich an wie Urlaub. Man arbeitet relaxt, aber motiviert. Zur Sprache kommt fast die ganze Bandbreite, Jazzgeschichte, Jazzharmonik, Bop, Funk, Free Jazz, modal, Blues und bluesig, Bluestonleiter, pentatonische Skala, gespickt mit Erlebnissen aus Lackerschmids langer Praxis. Allmählich wird aus der bunten Gruppe ein Ensemble, trotz verschiedener Niveaus und Erwartungen. Bands sind aus den Workshops entstanden, einige Teilnehmer heute Profis. „Mir fällt auf, dass die Soli richtig geschmackvoll werden. Ich kann jetzt richtig antworten“, bemerkt Lackerschmid und rät: „Man muss immer den Weg beschreiben.“ Aber „von Harmonie zu Harmonie nur Skalen spielen funktioniert nicht.“ Wichtig: Musik verstehen wollen. Wer gut improvisiert, weiß, welche Harmonie als nächstes kommt. „Das, was man gelernt hat, muss selbstverständlich werden“, fordern die Workshopleiter. Ganz wichtig: „die Kommunikation“. Das Wichtigste: der Inhalt. „Unsere Aufgabe ist es, Gefühl zu transportieren.“ Das, welches man ausdrücken kann. „Man ist verantwortlich für das, was das Publikum empfindet.“ Die Musik darf nie Selbstzweck werden. Theorie und Praxis sind eng verknüpft: „Wenn ihr improvisiert, versucht mal zu spielen, was ihr singen würdet“, instruiert Wolfgang Lackerschmid vor „Just Friends“. Es gehöre zu einem seriösen Musiker, dass er den Text kennt. „Bitte auch den Komponisten merken“, bläut er ein. Man berät den Ablauf, zählt ein, beginnt, der Walking Bass bricht ab: Der Sax-Ton wurde zu lange gehalten. So würdet ihr die zugehörige Silbe niemals aussprechen, argumentiert Stefanie Schlesinger. Sie singt öfters mit, greift zu Cajon oder in die Tasten. Ob nächstes Jahr wieder ein Kurs auf St. Gerold sein wird, weiß Lackerschmid noch nicht. Vielleicht alle zwei Jahre, sinniert er. 2012 wird er bereits „einen Jazz-Workshop im Rahmen der Kurse des Bayerischen Tonkünstlerverbandes geben, der auch das Ziel hat, die Jazzkompetenz von Musikpädagogen allgemein zu verbessern.“ Und zuviel unterrichten will Wolfgang Lackerschmid nicht. Sonst bleibt keine Zeit zum Komponieren. Stephanie Knauer |
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