Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
Mark Lehmstedt, Art Tatum. Eine Biografie, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2009, 320 Seiten Art Tatums Sonderstellung im Jazz ist bislang kaum in die einschlägige Publizistik eingegangen. Einer Diskografie und der einzigen Biografie in den USA stellt jetzt die erste deutschsprachige Mark Lehm-stedt entgegen. Der Autor würdigt den Solitär am Klavier zum hundertsten Geburtstag. Seine Sonderstellung am Rand des Hauptstroms sowie sein ungeheurer Einfluss auf viele Jazzmusiker sind in dieser Biografie nicht hinterfragbare Voraussetzungen. Er will, wie er einleitend erklärt, „Tatum so nüchtern und sachlich darstellen, wie es angesichts der Quellenlage möglich war“. Da diese bekanntlich nicht üppig ist, stützt sich der Autor auf Zeitzeugen und Interview-Aussagen des Protagonisten. Zahlreiche veröffentlichte Musikbiografien nimmt er als Grundlage und montiert seitenweise Zitate zu etwas Ganzem. So nimmt schließlich Tatums Persönlichkeit Konturen an. Über den Pia-nisten selbst gibt es nicht viel zu sagen. Das Kapitel „Privatleben“ beschränkt sich auf zweieinhalb Seiten. Tatum spielte wie besessen Piano und war ebenso besessen vom Alkohol. Er war kein Wunderkind, denn erst mit 15 erlernte er das Klavierspiel. Er wächst ohne Rassismus auf und erblindet früh fast vollständig. „Es war“, ist zu lesen, „eine durchschnittliche Kindheit im Schoße einer liebvollen Familie.“ Lehmstedt beschreibt Art Tatum als Solisten, seine Ankunft aus Ohio im Zentrum des Jazz: „Aufpassen, hier kommt Art Tatum, der Gott.“ Während er im Rhythmus ganz dem Swing verpflichtet war, ist er harmonisch schon im Bebop. Tatum entsprach keinerlei gängigen Vorstellungen vom Jazz. Er selbst wollte, so der Autor, nicht Jazzpianist, sondern schlicht Musiker genannt werden. Tatums enorme Virtuosität wird erklärt: Seine „Sehschwäche und das fast völlige Erblinden kompensierte der Pianist in gewisser Weise durch feinste Differenzierung seines Hörvermögens. Da er sich nicht an die Notenschrift klammern konnte, fand er früh den Weg des Spielens aus dem Gdächtnis und aus dem Moment heraus“. Lehmstedt schildert das schlagzeuglose Klavier-Trio, das Tatum bekannt machte, aber nicht erfunden hatte; er berichtet von Konzerten in Kneipen, Clubs und großen Sälen, von Jam-Sessions und Aufnahmen. Viele Musiker werden vorgestellt, auch weniger bekannte, aber damals durchaus bedeutende wie Lee Sims oder Clarence Profit. So entsteht ein detailreiches Porträt der amerikanischen Jazz-Szene der 30er- und 40er-Jahre. Dass bei all dem die Musik etwas zu kurz kommt, wundert nicht. Gern hätte man erfahren, wo und wie genau Art Tatum in der Jazzgeschichte einzuordnen ist. So viel Mark Lehmstedt lebendig über die Szene zu erzählen weiß, so sehr bleibt Art Tatum im Dunklen. „Was tat Art Tatum, wenn er nicht spielte?“, fragt ratlos der Autor und antwortet: „Wir wissen es nicht“. Alles in allem aber eine brauchbare Biografie, die in ihrer Länge etwas verschreckt. Diskografie, Index, exzellente Fotos und umfassende Bibliografie runden den Band ab. Reiner Kobe |
|