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Das neue Jahr begann mit einer schlechten traurigen Nachricht. In den ersten Tagen ist Pierluigi („Gigi“) Campi in Köln gestorben. Ein Anlass, zurückzuschauen in das kulturelle Geschehen, vor allem in der Musik, in Köln, dem Westen Europas in der Zeit nach dem letzten Krieg. Gigi Campi hat 30 Jahre lang ganz wesentlich am Aufbau der Jazz-welt
mitgewirkt. Sein Einfluss, seine Bedeutung reicht aber sicherlich weit
darüber hinaus. Vor allem war er ein Mensch, der den Jazz geliebt
hat, aber nicht auf ihn (mehr oder weniger) fixiert oder beschränkt
war. Er hat ihn verstanden und gelebt als wesentlichen Impuls eines freien,
kreativen und menschenwürdigen Lebens.
Ende 1928 wurde er in Köln geboren, als Sohn italienischer Eltern, die wegen der faschistischen Verfolgung die Heimat im Norden Italiens verlassen mussten. Zufällig blieben die Eltern in Köln und begründeten hier im Lauf der nächsten Jahrzehnte die heute gar nicht mehr aus Deutschland wegzudenkende italienische Gastronomie. Mit dem italienischen Eis begann es, das man in den 50er-Jahren wie selbstverständlich bei Campi auf der Hohe Strasse in Köln genießen konnte. Der junge Gigi hatte im Krieg Köln verlassen, wuchs in Italien auf und besuchte ein Jesuiten–Internat, in dem er nachts unter der Bettdecke mit einem Radio Jazz hörte; die Musik, die sein Leben prägen sollte. Nach dem Krieg nach Köln zurückgekehrt, wo sich die Familie in den Trümmern zu etablieren begann, setzte er diese musikalische Liebe fort. Natürlich arbeitete er auch in dem berühmten Lokal der Eltern, erhielt aber eine Ausbildung, die ihn zu einem Architekten werden ließ. Genossen hat er den Jazz von seinen Anfängen an, von Louis Armstrong bis Jimmie Lunceford, Duke Ellington oder Dizzy Gillespie. Warten konnte er aber nicht, bis sich einmal einer dieser Stars nach Köln verirrte, in diesen Jahren nach dem Krieg, in denen die amerikanisch besetzten Städte Frankfurt und München die wichtigste Rolle spielten. Natürlich gab es auch in Köln erste Gehversuche in Sachen Jazz, und da die grossen Säle mehr oder weniger in Trümmern lagen, fanden die Konzerte im Winterzelt des Zirkus Williams an der Aachener Strasse statt. Jazzvereine gründeten sich und gingen wieder auseinander, und immer war Gigi Campi dabei. Ab der ersten Hälfte der 50er–Jahre gelang es ihm schließlich, bekannte Namen an den Rhein zu holen. Unvergessen die Lee–Konitz–Konzerte in den Hahnentor-Lichtspielen oder später Dizzy Gillespie im Ufa-Palast. Louis Armstrong, der tagsüber im Campi auf der Hohe Strasse zu treffen war, spielte abends in der berühmten Messehalle VIII. Konzerte zu organisieren, war aber nicht alles. Gigi Campi nahm aktiv teil, gründete das erste europäische Schallplattenlabel „ModRecords“, ein Podium zum Beispiel für Albert Mangelsdorffs erste Aufnahmen. Hans Koller nahm auf oder Jutta Hipp, kurz bevor sie auf Einladung von Leonard Feather nach New York zog, dort aber schon relativ bald von der Jazzbildfläche wieder verschwand. Gigi Campi stützte auch die eigene Szene, förderte Musiker wie die Grah Brüder, Johnny Fischer oder Shorty Roeder. Natürlich war Köln attraktiv als Musikstadt, vor allem durch den WDR. Auf ganz besondere Weise nahm man sich der Neuen Musik an. Luigi Nono und Bruno Maderna gingen bei Campis ein und aus, während es auch die neuen deutschen Komponisten wie Bernd Alois Zimmermann an den Rhein zog, bot ihnen doch auch die Musikhochschule einen besonderen Platz für ihre Arbeit. Die großen Plattenfirmen Electrola, Deutsche Grammophon oder Ariola ließen sich ebenfalls in der Domstadt nieder. Dietrich Schulz-Köhn gründete die Jazzredaktion beim WDR und damit ein erstes hörenswertes und intensiv gehörtes Jazzprogramm. Damit nicht genug, auch der britische Sender BFBS hatte seinen Sitz in Köln. Kurt Edelhagen kam damals nach Köln, vom Südwestfunk abgeworben an den WDR, was J.E. Berendt dem WDR und Köln nie vergessen hatte. Aber nicht nur die Musiker und Komponisten waren bei Campis präsent,
auch Heinrich Böll traf man regelmäßig, die ganze westdeutsche
Kulturszene und nicht zuletzt auch Günter Grass, dessen Eltern nach
dem Krieg in ein Dorf im Westen von Köln gezogen waren, die Callas,
Adorno, Vostell oder Beuys ... In den 50er-Jahren beglückte er das Publikum mit den „Concerts in Modern Jazz“ in Köln, in der zweiten Hälfte der 60er mit den Open Air Festivals im Tanzbrunnen „Jazz am Rhein“ und „Jazz in Action“ im Opernhaus. Unvergessen auch die Big Band Battles im Satory mit dem Kurt Edelhagen Orchester, der Thad Jones/Mel Lewis Big Band aus den USA und der legendären Kenny Clarke/Francy Boland Big Band. Diese Band zu gründen war vielleicht seine wichtigste Tat in der Geschichte des Jazz, schaffte er doch mit ihr in Europa eine außergewöhnliche Big Band, die mit allen großen amerikanischen Bands mithalten konnte. Sie entwickelte einen besonderen Stil, der heute immer noch eingeht wie vor 40 Jahren. Geprägt wurde die Band musikalisch von dem großen Schlagzeuger Kenny Clarke, der inzwischen in Paris lebte, und dem genialen Arrangeur und Komponisten Francy Boland aus Belgien, eine gelungene amerikanisch-europäische Verbindung. Mehr als 30 LPs entstanden. Titel wie All Smiles, More Smiles, Fellini 712, Volcano, Blowing the Cobwebs Out, At Her Majesty’s Pleasure, Off Limits, Faces, Sax No End sind unvergessen. Die Auswahl der Musiker ebenfalls: Derek Humble, Jimmy Deuchar, Dusko Gojkovic, Ake Persson, Benny Bailey, Idress Sulieman, Sahib Shibab, Johnny Griffin, Jimmy Woode, Ronnie Scott. Bis zum Jahr 1972 gab es die Band, dann fiel sie der allgemeinen Krise des Jazz zum Opfer. Produziert vwurden die LPs, die zum größten Teil bei MPS erschienen, von Wolfgang Hirschmann, später der Produzent der WDR Big Band. Universal hat in den letzten Jahren einige als CD wieder veröffentlicht. Campi hat in den 90er–Jahren zwei Zusammenstellungen in besonders gestalteten Kassetten herausgebracht, in denen viele Höhepunkte enthalten sind: „Historically Speaking – The Campi Years“ und „Blowing the Cobwebs Out“. Wie umfassend und voller Elan sein Leben war, zeigt sich auch daran, dass er journalistisch für das italienische Rundfunkprogramm tätig war, wie auch als Publizist mit der Gründung des ECCM Verlags und der aussergewöhnlichen Zeitschrift „Jazzette“. Stets verstand er es, viele interessante und wichtige Persönlichkeiten des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens um sich zu versammeln. Ende der 70er entstand Campis Idee für ein „Livehouse“ in Köln, das zu einem aktuellen Kulturzentrum werden sollte, natürlich mit einem wesentlichen Schwerpunkt Jazz. Er gründete eine Organisation, in der sich viele seiner Freunde versammelten, als sich das leer stehende Restaurant am Stadtgarten als mögliches Objekt anbot. Aber die junge Musikerinitiative „Jazzhausinitiative“ setzte sich durch, bekam das Gebäude von der Stadt zugesprochen und gründete dort den Stadtgarten, bis heute einer der wichtigen Clubs in Deutschland/Europa. Gigi Campi hatte zu dieser Zeit bereits das Café seiner Eltern in der Hohe Strasse aufgegeben und war in die Heimat seiner Familie, nach Mailand, gezogen. Dort ließ ihn der Jazz nicht los, er gründete eine weltweite Musikerinitiative wie auch das Jazzfestival in San Remo. Doch zu Hause war er in Köln. Dort lebten die Freunde, die Familie, dort waren seine Erinnerungen. So kam er in den 80er Jahren zurück und gründete das „Campi“ als Restaurant direkt neben der neu eröffneten Philharmonie am Rheinufer, also wieder mitten im kulturellen Geschehen. In der zweiten Hälfte der 90er zog er um in die ehemalige Kantine des Funkhauses am Walraffplatz. Dort wurde das Campi wieder zum Treffpunkt der Welt. Unvergessen die Treffen zum Heilig Abend mit der berühmten Piemontesischen Linsensuppe, und kein geringerer als der Karrikaturist, natürlich ein Freund Campis, gestaltete die Speisekarte, Jazz klang aus den Lautsprechern, dezent, aber verständlich, und an den Wänden hingen und hängen immer noch die Fotos von berühmten Freunden, aus der Kamera von Chargesheimer, Belmondo, Romy Schneider oder Derek Humble – Kunst überall. Er nahm auch weiter am kulturellen und politischen Leben teil, gründete einen Förderverein für die Abteilung Design der Fachhochschule und später die Chargesheimer Gesellschaft, den Verein zur Förderung kritischer Kultur in Köln, zur Erinnerung an den Freund und Fotografen Chargesheimer, der wie er von einem freien und erfüllten kreativen Leben geträumt hatte. Gigi Campi war immer präsent, meldete sich zu aktuellen Fragen, zum Beispiel der Stadtentwicklung oder Gestaltung der Plätze in der Domstadt und vielem mehr zu Wort. Es fällt schwer, sich vorzustellen, wie das Leben ohne diesen Menschen, der immer voller Aktion war, voller aktueller Ideen und Teilhabe am Leben seiner Freunde, weitergeht. Die Erinnerung an ihn ist sicherlich ein Weg, der ihm gerecht wird, wodurch er nach wie vor präsent bleibt. Hans-Jürgen von Osterhausen
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