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Jazzzeitung

2010/01 ::: seite 8

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Inhalt 2010/01

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazzlexikon: Leonard Gaskin Farewell: Gigi Campi


TITEL -
Metamorphosen
Zum 100. Geburtstag von Django Reinhardt


Berichte

Chiemgauer Band LaBrassBanda // Dresdens Jazztage 2009 // Nachklänge vom JazzFest Berlin 2009 // Preview: „Annual Arbors Records Party“ in Florida, Teil 1 // Fritz Rau wird 80 und geht auf Tour


Portraits

Klaus Kugels und Albrecht Maurers Label NEMU Records // Markus Geiselhart // Bratschistin, Komponistin und Sängerin Katrin Mickiewicz // Solveig Slettahjell // Boris Vian


Jazz heute und Education
Die Kulturhauptstadt Europas und der Jazz // VOC COLOGNE – Impulsgeber für junge A-cappella-Ensembles // Abgehört: Keith Jarretts Solo über „What Is This Thing Called Love“

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

„Keiner hört sie raus, aber ich weiß, sie sind drin!“

Die Bratschistin, Komponistin und Sängerin Katrin Mickiewicz

Ihr Name taucht in ganz verschiedenen Zusammenhängen auf. Mittlerweile so häufig, dass man fast ins grübeln kommen kann, ob das eine Person…? Es ist: Katrin Mickiewicz ist in Polen geboren. Sie singt, spielt Viola und komponiert. In Berlin lebt sie mit Mann und Nachwuchs, spielt in einem halben Dutzend Bands und Projekten mit oder leitet diese und komponiert leidenschaftlich. Dabei ist sie fleißig wie eine Biene. Auf ihrer MySpace-Seite zählt sie – neben Filmemachern wie Lars von Trier und David Lynch – Mike Patton (Faith No More), die Einstürzenden Neubauten, Ella Fitzgerald und Henryk Górecki zu ihren wichtigsten Einflüssen. Michael Scheiner stellt sie in einem Interview vor.

Jazzzeitung: Welche deiner Bands und Projekte sind dir besonders wichtig?
Katrin Mickiewicz: Meine eigenen Bands! Hier ist der Großteil meiner Energie und mein Herzblut konzentriert. Disguise, mein deutsch-polnisches Quartett, gibt es mittlerweile seit zehn Jahren. Im Sommer haben wir unsere dritte CD „chce“ mit Unterstützung des Berliner Kultursenats produziert. Hier flechte ich viele slawische und Balkan-Elemente ein, es ist eine sehr konkrete, melancholisch-energetische Musik. Dann natürlich das improvisierende Streichquartett „DASKwartett“, mit dem ich im Herbst die erste CD veröffentlicht habe. Aus diesen beiden und der polnischen Band „Swoja Droga“ habe ich ein zwölfköpfiges Orchester ins Leben gerufen. Leider sind anspruchsvolle und etwas eigensinnige Großprojekte heute meist aus finanziellen Gründen zum scheitern verurteilt. Viel Energie stecke ich auch in mein Soloprogramm für Viola und Gesang. Und dann darf ich noch in zwei sehr schönen Ensembles mitarbeiten, dem Kent Carter String Trio und dem Joachim Raffel Quartett.

Foto: Daniel Morsey

Bild vergrößernFoto: Daniel Morsey

Jazzzeitung: Wie ist es zur Zusammenarbeit mit Kent Carter gekommen? Du schreibst auch für das Trio.
Mickiewicz: Ich lernte Kent 2002 beim Kaunas Jazz Festival (Litauen) kennen. Damals hatte ich den Auftrag, für ein Projekt von Petras Vysniauskas das Programm zu komponieren, was mich sehr ehrte. Kent suchte zu der Zeit eine Bratsche zum Wiederaufleben seines Streichtrios und fragte mich wenige Monate nach dem Kaunas-Projekt. Am Kent Carter String Trio schätze ich vor allem Kents reichhaltige Erfahrung mit der freien Musik, wovon ich viel profitiere und lerne. Das Trio verbindet beispielsweise spätromantische und avantgardistische Passagen so gekonnt durch freie Improvisation, dass man es besser auch nicht komponieren könnte. Und sie sind immer anders. Meine und Albrechts Kompositionen sind in dem Trio nur eine Farbe und spielen eine eher untergeordnete Rolle.

Jazzzeitung: Bei deinen eigenen Gruppen singst du auch. Gibt es für dich zwischen singen und spielen eine Gewichtung, eines wichtiger als das andere?
Mickiewicz: Die meisten Stücke für Disguise habe ich mit Viola und Gesang komponiert. Daher ist beides eng verknüpft. Die Viola übernimmt häufig eine Begleitfunktion oder ist polyphon mit dem Gesang. Ich empfinde dieses Doppelspiel wie ein drittes Instrument, da man das polyphone Spiel genauso üben muss, wie ein Instrument allein. Generell gibt es Phasen, in denen ich mehr singe, dann muss ich für die Viola härter arbeiten, oder, wie im Moment, eher andersrum.

Jazzzeitung: Neben Musik für eigene Projekte hast du auch für Theater und klassische Ensemble geschrieben. Ist es schwierig, die vielfältigen Aktivitäten unter einen Hut zu bringen?
Mickiewicz: Die Theatermusik war für ein Kindertheater in Essen. Ich war Musikerin, aber meine Ideen für Viola und Gesang haben so wunderbar zum Text gepasst, dass sie die Basis bildeten zum drehen und wenden. Grundsätzlich muss ich Komponieren, Üben und Erarbeiten mit zwei Kindern tatsächlich sehr gut planen. Das geht nur mit Hilfe meines tollen Mannes. Und dem Vertrauen in mich selbst, dass etwas Gutes dabei rauskommt.

Jazzzeitung: Deine Ideen, Inspirationen für Kompositionen findest du … wo?
Mickiewicz: Im Alltag. Bei meinen Kindern, zufälligen Begegnungen, Schicksalen, Büchern, Filmen ... Sie schwirren überall herum, ich muss es nur registrieren und mir die Zeit nehmen, sie einzufangen.

Jazzzeitung: Zwischen der folkinspirierten Musik mit Disguise und den Improvisationen mit Kent Carter liegen für Viele Welten. Wie lassen sich diese überbrücken?
Mickiewicz: Ich selbst empfinde das nicht als so extrem. Klar, es sind unterschiedliche ästhetische Ansätze, die Improvisation hat unterschiedliche Funktionen. Im Trio spielt das freie Spiel eine größere Rolle, während Disguise seine Energie aus Folkelementen und dem Klang der polnischen Sprache bezieht. Für mich ist das sehr spannend und ich freue mich, wenn es Hörer gibt, die das überrascht.

Jazzzeitung: Was war zuerst – die Stimme oder das Instrument?
Mickiewicz: Ich bin in einer Musikerfamilie aufgewachsen, mein Vater spielte Fagott, meine Mutter Geige und sie war Klavierlehrerin. Ich habe immer gesungen, wohl bevor ich sprach, und mit sieben angefangen, Geige zu spielen. Meine Mutter war sehr klug und hat mich von der Solo-Geigenkarriere weggelenkt. Für mich war es meist harte Arbeit, die schon auch ein paar Früchte trug, die jedoch nicht ausgereicht hätten. Ich war eine Zeit lang wirklich sauer, merke aber heute, wie weise das war. Und so bewarb ich mich mit 19 mit völlig unjazzigen, eher polyphonen, angepoppten Stücken in Essen bei Prof. Peter Herborn für Jazzkomposition. Ich weiß immer noch nicht, warum er mich annahm, ich hatte mit Jazz wirklich nichts am Hut (lacht). Aber es war das Beste, was mir passieren konnte. Er förderte und stärkte mich in allem, was ich mochte und konnte. Den Jazz habe ich dann stückchenweise einflechten dürfen und ihn so lieben gelernt. Im Kompositionsstudium stieg ich auf Viola um. Irgendwann erkannte ich die Möglichkeiten der Stimme-Viola-Synchronizität, und so war ich auf dem Weg zu meinem Klang.

Jazzzeitung: Auf deiner MySpace-Seite spannst du einen gewaltigen Bogen von den Einstürzenden Neubauten über Witold Lutoslawski bis Ella Fitzgerald. Finden sich solche Extreme auch in deiner Musik?
Mickiewicz: Diese Einflüsse sind wie Zutaten. In einigen Stücken möchte ich den mülligen Sound der Neubauten, die übrigens mit dem imaginären Folk von Lutoslawski sehr gut zusammengehen ... Eine von Ella inspirierte, mädchenhafte, flexible Stimme kann über einem sperrigen Streichergeflecht genau richtig sein, ohne sich als Gegensatz anzufühlen. Jeder dieser Einflüsse ist ein Gewürz, ein Geschmack, eine Tendenz, keine Stilkopie. Sobald man die Einflüsse nicht mehr hört, sind sie gut in die eigene Suppe eingemischt. Und dann sind sie am tollsten, keiner hört sie raus, aber ich weiß genau wo sie drin sind.

Interview: Michael Scheiner

Info:

www.myspace.com/mickiewiczkatrin oder www.disguise.de

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