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Jazzzeitung
2010/01 ::: seite 8
portrait
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Ihr Name taucht in ganz verschiedenen Zusammenhängen auf. Mittlerweile
so häufig, dass man fast ins grübeln kommen kann, ob das eine
Person…? Es ist: Katrin Mickiewicz ist in Polen geboren. Sie singt,
spielt Viola und komponiert. In Berlin lebt sie mit Mann und Nachwuchs,
spielt in einem halben Dutzend Bands und Projekten mit oder leitet diese
und komponiert leidenschaftlich. Dabei ist sie fleißig wie eine
Biene. Auf ihrer MySpace-Seite zählt sie – neben Filmemachern
wie Lars von Trier und David Lynch – Mike Patton (Faith No More),
die Einstürzenden Neubauten, Ella Fitzgerald und Henryk Górecki
zu ihren wichtigsten Einflüssen. Michael Scheiner stellt sie in
einem Interview vor.
Jazzzeitung: Welche deiner Bands und Projekte sind dir besonders wichtig?
Katrin Mickiewicz: Meine eigenen Bands! Hier ist der Großteil meiner
Energie und mein Herzblut konzentriert. Disguise, mein deutsch-polnisches
Quartett, gibt es mittlerweile seit zehn Jahren. Im Sommer haben wir
unsere dritte CD „chce“ mit Unterstützung des Berliner
Kultursenats produziert. Hier flechte ich viele slawische und Balkan-Elemente
ein, es ist eine sehr konkrete, melancholisch-energetische Musik. Dann
natürlich das improvisierende Streichquartett „DASKwartett“,
mit dem ich im Herbst die erste CD veröffentlicht habe. Aus diesen
beiden und der polnischen Band „Swoja Droga“ habe ich ein
zwölfköpfiges Orchester ins Leben gerufen. Leider sind anspruchsvolle
und etwas eigensinnige Großprojekte heute meist aus finanziellen
Gründen zum scheitern verurteilt. Viel Energie stecke ich auch in
mein Soloprogramm für Viola und Gesang. Und dann darf ich noch in
zwei sehr schönen Ensembles mitarbeiten, dem Kent Carter String
Trio und dem Joachim Raffel Quartett.
Jazzzeitung: Wie ist es zur Zusammenarbeit
mit Kent Carter gekommen? Du schreibst auch für das Trio.
Mickiewicz: Ich lernte Kent 2002 beim Kaunas Jazz Festival
(Litauen) kennen. Damals hatte ich den Auftrag, für ein Projekt von Petras
Vysniauskas das Programm zu komponieren, was mich sehr ehrte. Kent suchte
zu der Zeit eine Bratsche zum Wiederaufleben seines Streichtrios und
fragte mich wenige Monate nach dem Kaunas-Projekt. Am Kent Carter String
Trio schätze ich vor allem Kents reichhaltige Erfahrung mit der
freien Musik, wovon ich viel profitiere und lerne. Das Trio verbindet
beispielsweise spätromantische und avantgardistische Passagen so
gekonnt durch freie Improvisation, dass man es besser auch nicht komponieren
könnte. Und sie sind immer anders. Meine und Albrechts Kompositionen
sind in dem Trio nur eine Farbe und spielen eine eher untergeordnete
Rolle.
Jazzzeitung: Bei deinen eigenen Gruppen singst
du auch. Gibt es für
dich zwischen singen und spielen eine Gewichtung, eines wichtiger als
das andere?
Mickiewicz: Die meisten Stücke für Disguise habe ich mit Viola
und Gesang komponiert. Daher ist beides eng verknüpft. Die Viola übernimmt
häufig eine Begleitfunktion oder ist polyphon mit dem Gesang. Ich
empfinde dieses Doppelspiel wie ein drittes Instrument, da man das polyphone
Spiel genauso üben muss, wie ein Instrument allein. Generell gibt
es Phasen, in denen ich mehr singe, dann muss ich für die Viola
härter arbeiten, oder, wie im Moment, eher andersrum.
Jazzzeitung: Neben Musik für eigene Projekte hast du auch für
Theater und klassische Ensemble geschrieben. Ist es schwierig, die vielfältigen
Aktivitäten unter einen Hut zu bringen?
Mickiewicz: Die Theatermusik war für ein Kindertheater in Essen.
Ich war Musikerin, aber meine Ideen für Viola und Gesang haben so
wunderbar zum Text gepasst, dass sie die Basis bildeten zum drehen und
wenden. Grundsätzlich muss ich Komponieren, Üben und Erarbeiten
mit zwei Kindern tatsächlich sehr gut planen. Das geht nur mit Hilfe
meines tollen Mannes. Und dem Vertrauen in mich selbst, dass etwas Gutes
dabei rauskommt.
Jazzzeitung: Deine Ideen, Inspirationen für Kompositionen findest
du … wo?
Mickiewicz: Im Alltag. Bei meinen Kindern, zufälligen Begegnungen,
Schicksalen, Büchern, Filmen ... Sie schwirren überall herum,
ich muss es nur registrieren und mir die Zeit nehmen, sie einzufangen.
Jazzzeitung: Zwischen der folkinspirierten Musik mit
Disguise und den Improvisationen mit Kent Carter liegen für Viele Welten. Wie lassen
sich diese überbrücken?
Mickiewicz: Ich selbst empfinde das nicht als so extrem.
Klar, es sind unterschiedliche ästhetische Ansätze, die Improvisation hat
unterschiedliche Funktionen. Im Trio spielt das freie Spiel eine größere
Rolle, während Disguise seine Energie aus Folkelementen und dem
Klang der polnischen Sprache bezieht. Für mich ist das sehr spannend
und ich freue mich, wenn es Hörer gibt, die das überrascht. Jazzzeitung: Was war zuerst – die Stimme oder das Instrument?
Mickiewicz: Ich bin in einer Musikerfamilie aufgewachsen,
mein Vater spielte Fagott, meine Mutter Geige und sie war Klavierlehrerin.
Ich habe
immer gesungen, wohl bevor ich sprach, und mit sieben angefangen, Geige
zu spielen. Meine Mutter war sehr klug und hat mich von der Solo-Geigenkarriere
weggelenkt. Für mich war es meist harte Arbeit, die schon auch ein
paar Früchte trug, die jedoch nicht ausgereicht hätten. Ich
war eine Zeit lang wirklich sauer, merke aber heute, wie weise das war.
Und so bewarb ich mich mit 19 mit völlig unjazzigen, eher polyphonen,
angepoppten Stücken in Essen bei Prof. Peter Herborn für Jazzkomposition.
Ich weiß immer noch nicht, warum er mich annahm, ich hatte mit
Jazz wirklich nichts am Hut (lacht). Aber es war das Beste, was mir passieren
konnte. Er förderte und stärkte mich in allem, was ich mochte
und konnte. Den Jazz habe ich dann stückchenweise einflechten dürfen
und ihn so lieben gelernt. Im Kompositionsstudium stieg ich auf Viola
um. Irgendwann erkannte ich die Möglichkeiten der Stimme-Viola-Synchronizität,
und so war ich auf dem Weg zu meinem Klang.
Jazzzeitung: Auf deiner MySpace-Seite spannst du einen
gewaltigen Bogen von den Einstürzenden Neubauten über Witold Lutoslawski bis
Ella Fitzgerald. Finden sich solche Extreme auch in deiner Musik?
Mickiewicz: Diese Einflüsse sind wie Zutaten. In einigen Stücken
möchte ich den mülligen Sound der Neubauten, die übrigens
mit dem imaginären Folk von Lutoslawski sehr gut zusammengehen ...
Eine von Ella inspirierte, mädchenhafte, flexible Stimme kann über
einem sperrigen Streichergeflecht genau richtig sein, ohne sich als Gegensatz
anzufühlen. Jeder dieser Einflüsse ist ein Gewürz, ein
Geschmack, eine Tendenz, keine Stilkopie. Sobald man die Einflüsse
nicht mehr hört, sind sie gut in die eigene Suppe eingemischt. Und
dann sind sie am tollsten, keiner hört sie raus, aber ich weiß genau
wo sie drin sind. Interview: Michael Scheiner
Info:
www.myspace.com/mickiewiczkatrin oder www.disguise.de |