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Jazzzeitung

2010/01  ::: seite 15

rezensionen

 

Inhalt 2010/01

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazzlexikon: Leonard Gaskin Farewell: Gigi Campi


TITEL -
Metamorphosen
Zum 100. Geburtstag von Django Reinhardt


Berichte

Chiemgauer Band LaBrassBanda // Dresdens Jazztage 2009 // Nachklänge vom JazzFest Berlin 2009 // Preview: „Annual Arbors Records Party“ in Florida, Teil 1 // Fritz Rau wird 80 und geht auf Tour


Portraits

Klaus Kugels und Albrecht Maurers Label NEMU Records // Markus Geiselhart // Bratschistin, Komponistin und Sängerin Katrin Mickiewicz // Solveig Slettahjell // Boris Vian


Jazz heute und Education
Die Kulturhauptstadt Europas und der Jazz // VOC COLOGNE – Impulsgeber für junge A-cappella-Ensembles // Abgehört: Keith Jarretts Solo über „What Is This Thing Called Love“

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

Neues von gestern

Von Marcus A. Woelfle

Ralph Sutton
In Copenhagen

Storyville

Diese Aufnahmen, die Sutton 1977 in sechs verschiedenen Besetzungen vom Solo zum Septett aufnahm, sollten sich junge Pianisten wie ein griffbereites Handbuch des Swingens zulegen! Warum wird Ralph Sutton oft vergessen, wenn von den großen Pianisten des Jazz die Rede ist? Wer als Schüler gilt, nicht als schulemachender Lehrer, wird von Spezialisten geehrt, von den Historikern aber nicht kanonisiert. 1922, im gleichen Jahr wie etwa Jaki Byard geboren, legte er sich auf eine Ästhetik fest, deren Hochblüte während seiner Kindheit war, als wirklich das zweihändige Spiel der Stride-Professoren aus den Harlemer Kneipen hallte oder auch schon das etwas modernere Trumpet Piano Earl Hines’ unbeirrt weiter neue Wege über die Tasten suchte, wenn die Chicagoer Gangster ihre Colts zückten. Dass auch „Fatha“ (Earl Hines), nicht nur Fats und James P. auf ihn wirkten, hört man bei diesem Repertoire: typische Swing-, aber nicht ausgesprochene Stride-Stücke. Allenthalben hört man seine kraftvoll zupackende Linke (ja, man muss ihn unwillkürlich anpreisen wie einen Preisboxer), doch da gibt es auch solistisch präsentierte lyrische Kleinode wie Bix’ „In The Dark“ – so innig gespielt, dass man gerührt lauscht, als hätte man sie nie zuvor gehört. Die meisten Aufnahmen stammen aus „Ralph Sutton Quartet“. Dessen Alternate Takes wurden ersetzt durch Stücke aus „Together Again“, die Sutton in glänzender Spiellaune mit dem aufgekratzten Jesper Thilo und Wild Bill Davison zeigen.

Rolf Kühn
feat. Klaus Doldinger

MPS

Ein ansprechender Kontrast – zum einen die luftige, in vogelflugartiger Leichtigkeit aufschwingende Klarinette Rolf Kühns, auf unaufdringliche Weise virtuos und fast cool, doch mit jener milden Wärme, die sein Spiel so menschlich macht. Zum anderen das ultrahocherhitzte Tenorsaxophon Klaus Doldingers, so kraftvoll swingend, dass man vermeint, einen packenden schwarzen New Yorker Tenoristen zu hören. Als sie sich 1962 trafen, hatte der Rückkehrer Kühn in den Staaten Lorbeeren als einer der führenden modernen Klarinettisten ernten können. Doldinger, lange Amateur (selbst Dixie-Klarinettist), war schon der hotteste deutsche Tenorist weit und breit. Wie einen „Lockjaw“ Davis oder Turrentine inspirierte ihn das Spiel mit einem Organisten. Sein Organist Ingfried Hofmann, den er zur Session mitbrachte, bildete mit den Holländern Herman Schonderwalt (b) und Cees See (d) eine ausgezeichnete Ryhthmusgruppe. Die Klarinette verleiht dem vertrauten Orgel-Tenor-Sound eine überraschende Würze. An Stelle zu erwartender amerikanischer Standards oder Blues treten vergessene, doch zum fröhlichen Losgrooven animierende Orginals aus den Federn von Größen wie Erwin Lehn oder Rolf-Hans Müller. Was für ein swingendes Vergnügen! Und welche Freude zu wissen, dass die beiden Bläser heute noch ungebrochen kreativ sind. Zugleich lassen in der Rolf Kühn Anniversary Edition fünf weitere Alben Kühns Vielseitigkeit zwischen Mainstream, Free und Fusion nachhören.

Tete Montoliu
Songs For Love

Enja

Virtuosen unter den Solopianisten können mit ihren 10 Fingern und 88 Tasten nahezu alles. Doch mit langsamen Balladen zu rühren, gehört oft nicht dazu. Mit einem Wasserfall unendlicher Tontropfen trachten sie zu verdecken, dass sie keinen einzelnen Ton halten können und vom Klangspektrum eines zweitklassigen Saxophonisten können selbst die mit der differenziertesten Anschlagskultur nur träumen. Es gibt Ausnahmen, in der gegenwärtigen Saison etwa Keith Jarretts „Testament“ oder Marc Coplands „Alone“. Auf der Suche nach Solo-Alben, die mich danach nicht enttäuschen, greife ich zu diesem, das der größte Jazzmusiker Spaniens am 25. September 1971 in München aufnahm und seinerzeit vom unvergessenen Klaus Weiss produziert wurde. Enja gibt im Reissue versehentlich 1974 an. Eingestanden, die erhoffte Rührung stellt sich nicht ein, auch nicht bei Stücken, die an die Nieren gehen könnten, wie „Autumn In New York“ oder „Django“. Und doch ist jeder an seiner Unzufriedenheit selbst schuld, wenn er in Erwartung eines Rotweins Champagner trinkt. Und als Champagner ist Montoliu vollkommen. Dieses Album vibriert in Verzückung, Erregung, Begeisterung, ja, Erhebung. Mit rückhaltloser Ausschöpfung pianistischer Fertigkeiten und blühender Phantasie schlägt Montoliu, keinen Deut weniger Virtuose als Peterson oder Solal, von der ersten zur letzten Sekunde in seinen Bann. Und so ist es doch eines der packendsten Soloalben des Jazz.

The Rhythmic Eight
48 – Of The Best – 48: 1927-1930

Retrieval

Der britische Bandleader und Geiger Bert Firman, Spross der Musikerfamilie Feuerman (und als solcher unfreiwilliger Musiker, wollte er doch Arzt werden), war in den 20ern beim Label Zonophone für leichte Musik verantwortlich. Unter all den Formationen, hinter denen er leitend steckte (darunter „Carlton Hotel Dance Orchestra“, „Cabaret Novelty Orchestra“, „Devonshire Restaurant Dance Band“) boten „The Rhyhthmic Eight“ Jazzfreunden die hotteste Musik. Er hatte das Glück, nicht auf den einzelnen Penny schauen zu müssen, wenn es darum ging, gute Jazz-Solisten aus den großen Tanzorchestern anzuheuern, deren improvisatorische Vitalität dort eher zurückgehalten wurde. So engagierte er nicht nur beachtliche Briten, etwa den Saxophonisten und Arrangeur Arthur Lally, sondern stellte auch begehrte amerikanische Sidemen wie die Trompeter Frank Guarante und Sylvester Ahola oder den Klarinettisten Danny Polo heraus. Sie setzten den 48 ausgewählten Stücken Glanzlichter auf (Der Titel „48 of the best 48“ sollte wohl vielleicht „48 of the best 78“ heißen, handelt es sich doch um Schellackaufnahmen.) Angelehnt an den New York Style eines Red Nichols und an die Gruppen Trumbauers mit Beiderbecke, an die dessen Freund Ahola erinnert, boten die „Rhythmic Eight“ Firmans, der übrigens oft gar nicht mitwirkte, zeitweise nicht einmal organisatorisch, beschwingte Hot Dance Music, die einen Tick „kommerzieller“ war, als die der weißen amerikanischen Idole.

Quincy Jones
Explores the music of Henry Mancini

Mercury/Verve

Zugegeben: das ist ein durch und durch kommerzielles Album. Ein erfolgreicher Filmkomponist mit Jazzbackground verbeugt sich vor einem anderen Hollywood-Filmkomponisten. Ein Album, das vor Hits strotzt, die der Mann von der Straße, selbst wenn er Jazz hassen sollte, gerne mitpfeift, vom unverschämt fröhlichen „Baby Elephant Walk“ zum vielgeplagten „Moon River“. Und doch ist es ein Album, das auch einem Puristen ans Herz wachsen kann, wenn dieses nicht von übermäßiger Anbetung der reinen Lehre des Jazz verstockt ist. Auf der einen Seite besticht die bei Jones vorauszusetzende, über handwerkliche Perfektion hinausgehende, umfassende technische Beherrschung des Orchesters. Die Arrangements warten da mit so vielen Kunstgriffen und witzigen Details auf, dass man aufhorcht. Überall scheint die Maxime, „wie kann man es anders machen?“ Früchte getragen zu haben: So lässt Jones bei der Einleitung zum rosaroten Panther überraschenderweise den Bassisten Major Holley das berühmte Motiv brummen. Und dann ist Quincy Jones im Februar 1964 ja im Grunde seines Herzens ein Jazzer, der die Möglichkeit hat, die allerbesten Sidemen anzuheuern. Dass da Meister wie Clark Terry, Phil Woods und Zoot Sims im Orchester sitzen, dass da auch ein Roland „Rahsaan“ Kirk seine alles andere als stromlinienförmigen Chorusse durch so kreuzbrave Songs wie „(I Love You) And Don’t You Forget It“ jagen darf, das gehört zu den vielen Freuden, die das Album beschert.

Marcus A. Woelfle

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