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Jazzzeitung

2010/01  ::: seite 13

rezensionen

 

Inhalt 2010/01

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazzlexikon: Leonard Gaskin Farewell: Gigi Campi


TITEL -
Metamorphosen
Zum 100. Geburtstag von Django Reinhardt


Berichte

Chiemgauer Band LaBrassBanda // Dresdens Jazztage 2009 // Nachklänge vom JazzFest Berlin 2009 // Preview: „Annual Arbors Records Party“ in Florida, Teil 1 // Fritz Rau wird 80 und geht auf Tour


Portraits

Klaus Kugels und Albrecht Maurers Label NEMU Records // Markus Geiselhart // Bratschistin, Komponistin und Sängerin Katrin Mickiewicz // Solveig Slettahjell // Boris Vian


Jazz heute und Education
Die Kulturhauptstadt Europas und der Jazz // VOC COLOGNE – Impulsgeber für junge A-cappella-Ensembles // Abgehört: Keith Jarretts Solo über „What Is This Thing Called Love“

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

Benn-Gedichte in Jazz getaucht

Joachim Ernst Berendts erste Lyrik- und Jazz-LP endlich wieder aufgelegt

Sie ist längst vergriffen, wird als begehrtes Sammlerobjekt teuer gehandelt, die 1960 bei Philips erschienene LP „Lyrik und Jazz – Gedichte von Gottfried Benn. Sprecher: Gert Westphal. Musik von Jay Jay Johnson, Kai Winding und Dave Brubeck. Zusammengestellt von Joachim E. Berendt“.

Nun hat Universal Music dieses wichtige Kulturdokument der Nachkriegszeit als CD wiederveröffentlicht. „Endlich“, wie ein Aufkleber auf der Cellophanhülle zu Recht verkündet, denn die Wiederauflage war bereits vor drei Jahren ins Auge gefasst worden, zu Benns 50. Todestag am 7. Juli 1956. Doch die Verhandlungen um die diversen Rechte hatten sich als zu kompliziert erwiesen. Anders als bei der vierten, Heinrich Heine gewidmeten, LP in Berendts „Lyrik und Jazz“-Reihe, die zeitgerecht zu des Dichters 150. Todestag am 17. Februar 2006 ebenfalls bei Universal wieder erschien.

Die Benn-Platte war die Krönung der auf ein breites Hörerecho stoßenden „Lyrik- und Jazz“-Programme, die Berendt über einige Jahren im Südwestfunk produzierte, mit Texten von James Baldwin, Langston Hughes oder Ralph Ellison und Musik von Duke Ellington und Herbie Hancock. Und immer mit dem „König der Vorleser“ Gert Westphal als Rezitator. In Kalifornien war es damals zu einer regelrechten „Jazz-and-Poetry“-Welle gekommen. Beatnik-Poeten wie Allen Ginsberg, Jack Kerouac, Lawrence Ferlinghetti sprachen ihre explosiven, provokanten Texte und ließen sie von Live-Jazz begleiten, garnieren, unterbrechen. Die oftmals improvisierten Wortkaskaden schienen ihre Entsprechung im Jazz der Zeit zu finden – Bebop, Hardbop, West Coast, Cool Jazz. Der Jazz wirkte jedoch weniger komplementär zu den Texten, sondern eher gegenpolig. So recht wusste das aber niemand. Es passierte einfach.

Berendt ging anders vor, systematischer, gründlicher, seinem Wesen entsprechend auch „missionarischer“, eben „deutscher“. Und er suchte sich deutsche Lyrik aus, für die er, der auch selbst Gedichte schrieb, immer ein Faible hatte. Es war für ihn „völlig selbstverständlich“, Poesie und Jazz zusammenzubringen(...). Noch während ich ein Gedicht las, war mir sofort klar, was für eine Musik dazu passt.“ (nach Tom Schroeder und Manfred Miller: „Apropos Jazz und Lyrik“, in „That’s Jazz – Der Sound des 20. Jahrhunderts“, Frankfurt am Main 1997, S. 649). Zu den ausgewählten Stücken zählen neben „Night in Tunisia“, „Ol’ Man River“, „You’re My Thrill“, „The Preacher“ auch weniger bekannte, doch für die Interpreten typische Titel. Der Sound wird bestimmt von Jay Jay Johnson und Kai Winding als Duo oder zusammen mit Bobby Jaspar, Nat Adderley und Max Roach. Den Gegenpart bildet das vielleicht beste Dave-Brubeck-Quartett mit Paul Desmond, Gene Wright und Joe Morello.

Diesen Jazz montierte Berendt mit den Gedichten Benns, entweder unterlegt oder ausgespielt. Damit reflektierte und adaptierte er die in der letzten Dekade seines Lebens auch von Benn bewusst als Arbeitsmethode und Stilmittel angewandte Montagetechnik. Sie eignete sich gut für seine lyrischen Statements, die nicht mehr die zivilisationsmüde und -kritische, oft genug zynische Weltsicht und Gefühlswelt der frühen und mittleren Jahre des Dichters widerspiegelten. Auf diese Gedichte traf eher der von ihm selbst geprägte Begriff „journalistische Lyrik“ zu, welche die „Realistik unseres Lebens“ ausschöpfte und die Umwelt „hart und kalt“ archivierte (Helmut Lethen: „Der Sound der Väter – Gottfried Benn und seine Zeit“, Berlin 2006, S. 275). Deshalb vermutlich wählte Berendt bewusst – bis auf zwei Ausnahmen – Gedichte aus, die zwischen 1949 und 1955/56 entstanden waren. Alle rezitierten Texte sind im Booklet abgedruckt. Dazu gehören solch oftmals zitierte Zeilen wie: „In meinem Elternhaus hingen keine Gainsboroughs / wurde auch kein Chopin gespielt…“, „Was schlimm ist – Am schlimmsten: / nicht im Sommer sterben, / wenn alles hell ist / und die Erde für Spaten leicht“, „Kommt reden wir zusammen / wer redet, ist nicht tot…“.

Alles in allem eine Auswahl von Texten, die noch heute faszinieren, gerade auch in der mal stechend scharfen, mal sanft-melancholischen Diktion Gert Westphals und eingetaucht in einen zur Benn’schen Lyrik wie vorbestimmt passenden Sound. Es gibt Zeitgenossen, die glaubhaft versichern, dass diese Platte auf sie wie eine Initiation wirkte. Jazzhörer entdeckten für sich Gottfried Benn, Lyrikleser fanden zum Jazz.

Dietrich Schlegel

Diskografie

Gottfried Benn – Lyrik und Jazz, Universal CD 179 6629
Heinrich Heine – Lyrik und Jazz, Universal CD 987 6629

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