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Jazzzeitung

2010/01  ::: seite 13

rezensionen

 

Inhalt 2010/01

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazzlexikon: Leonard Gaskin Farewell: Gigi Campi


TITEL -
Metamorphosen
Zum 100. Geburtstag von Django Reinhardt


Berichte

Chiemgauer Band LaBrassBanda // Dresdens Jazztage 2009 // Nachklänge vom JazzFest Berlin 2009 // Preview: „Annual Arbors Records Party“ in Florida, Teil 1 // Fritz Rau wird 80 und geht auf Tour


Portraits

Klaus Kugels und Albrecht Maurers Label NEMU Records // Markus Geiselhart // Bratschistin, Komponistin und Sängerin Katrin Mickiewicz // Solveig Slettahjell // Boris Vian


Jazz heute und Education
Die Kulturhauptstadt Europas und der Jazz // VOC COLOGNE – Impulsgeber für junge A-cappella-Ensembles // Abgehört: Keith Jarretts Solo über „What Is This Thing Called Love“

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

CD-Rezensionen

Yael Deckelbaum
Ground Zero

Löwenzahn LZ 20095

Bei wirklich schönen Frauen geht alles zu schnell. Die 1979 in Jerusalem als Tochter israelisch-kanadischer Eltern geborene Singer-Songwriterin Yael Deckelbaum hat 2009 in ihrer Heimat eine CD herausgebracht, die nun auch beim deutschen Label Löwenzahn erschienen ist. Sie heißt „Ground Zero“, widmet sich nicht nur im Titelsong diversen Grund-Erfahrungen menschlichen Daseins, besingt auch auf den neun anderen Nummern musikalisch und textlich eindrucksvoll, was die junge Dame bewegt, was sie an- und umtreibt. Mit anderen Worten: Die Begegnung mit Yael Deckelbaum via CD ist ziemlich perfekt, hat nur einen gravierenden Makel – nach gut einer halben Stunde ist sie schon wieder vorbei. Eine Reihe von erinnernden Vergleichen tun sich auf; beim ersten Hören mag man an diese und jene solistisch erfolgreiche Grenzgängerin denken, mit der sich Deckelbaum auf akustisch ähnlichem Terrain bewegt. Je öfter die zehn Titel erklingen, umso mehr offenbaren sie ihre Eigenständigkeit. Ganz offenbar schöpft sie, die nach Naturtalent klingt, vom Schmelztiegel aus Tradition und Moderne, aus Glauben und Wissen, aus ummauerter Engstirnigkeit und flutender Globalisierung die von ihr bevorzugten Sahnehäubchen ab. Essenzen puren Schönklangs oder banaler Inhaltsleere tauchen da nicht auf, schon gar nicht schwimmen sie so weit oben. Hier wird so energisch wie selbstvergessen gesungen, jedem Text haftet dramatischer Zauber an, trotz teils poppig ausgeflippter Eskapaden sind die Stücke prägnant, schweben zwischen Jazz und Rock, eine wunderbare Entdeckung.
Michael Ernst

Pat Metheny
Orchestrion

Nonesuch 00286

Schon das Cover von Pat Methenys „Orchestrion“ erweckt einen widersprüchlichen Eindruck. Eigentlich ist seine aktuelle CD ein Soloalbum, diesmal eingespielt unter Mitwirkung eines Orchestrions, das nun auch einen Platz in seinem umfangreichen Instrumentenpark gefunden hat. Dabei ist dieses Instrument eigentlich das blanke Gegenteil des Solospiels. Den Ursprung hat das Orchestrion im 19. Jahrhundert, konzipiert als mechanisches Ungetüm, das mittels Lochkartensteuerung den Klang eines ganzen Orchesters wiedergeben konnte. Und so löst sich das Rätsel auch schnell und logisch auf: Pat Metheny ist seit jeher ein Freund musikalischer Überraschungen und instrumentaler Besonderheiten. Ob speziell für ihn konzipierte Gitarren oder von ihm dafür entwickelte Klangsteuerungen, diesmal hat er sich mittels moderner Technik ein komplettes Orchester inklusive Bass, Marimba, Percussion und einer Flaschenorgel zusammengestellt, das er mit seiner E-Gitarre und einigen computergesteuerten Tüfteleien bedient. Das Ergebnis wird unterschiedlich bewertet werden. Eigentlich klingt sein Sound wie immer – vertraut, unverwechselbar erkennbar. Auch finden sich in den Kompositionen genügend Freiräume für Klang und Improvisationen. Dennoch fehlt hier ein wenig die individuelle Ausdruckskraft, die Musiker ihren Instrumenten verleihen. Trotz allem schafft Metheny es wieder mit unnachahmlichem Sound in eigenen Stücken spannende Geschichten zu erzählen, die den Hörer begeistern und in seinen Bann ziehen.
Thomas J. Krebs

Angelique Kidjo
ÕŸÖ

naive/ Indigo

Die Sängerin Angelique Kidjo stammt aus Benin; als Kind hörte sie westafrikanische Folklore und internationale Popmusik gleichermaßen gern. Beide Einflüsse vermengt sie auf dem neuen Album „ÕŸÖ“. R&B, Soul, Jazz und afrikanische Musik gehen hier Hand in Hand, flankiert von brasilianischer Musik, Chanson und Bollywood. Mit Call-and-Response-Chören, nachdrücklicher Percussion und Gesang in ihrer Muttersprache färbt Angelique Kidjo die Hits von Carlos Santana, James Brown, Otis Redding oder Aretha Franklin afrikanisch ein. Das gelingt bestens bei den schnellen, energiegeladenen Songs. Die Balladen hingegen wirken durch die dicke Instrumentation ein wenig klebrig.
Auch die politische Gesinnung der alten Soul-Stars lebt bei Angelique Kidjo weiter. Mit ihrer Fassung des vor 40 Jahren von Curtis Mayfield gesungenen „Move On Up“ ruft sie die afrikanische Jugend auf, das Schicksal ihres Kontinents selbst in die Hand zu nehmen – unterstützt von dem R&B-Sänger John Legend, einem Gospelchor und markanten Bläser-Riffs.
Den Cover-Versionen stellt Angelique Kidjo Musik aus ihrer afrikanischen Heimat gegenüber: schlichte, eindringliche Stücke, die durch die rhythmisch vertrackte Gitarren- und Percussion-Begleitung an Reiz gewinnen. Mit ihrer munteren, geschmeidigen Eigenkomposition „Kelele“ stellt sich die Sängerin zudem als begnadete Melodien-Erfinderin dar. Mit ihrer afrikanisch-amerikanischen Melange hat Angelique Kidjo eine ganz eigene, unverkennbare Klangsprache gefunden. Ihre prägnante, kernige Stimme bildet in diesem Gemisch den Wiedererkennungsfaktor.
Antje Rößler

Beat Kaestli: Far From Home –
A Tribute to European Song

B&B Productions

Der in New York lebende gebürtige Schweizer mit dem urschweizerischen Namen zollt seiner alten Heimat Europa Tribut: Komponisten wie Bizet, Weill, Legrand, aber auch Annie Lennox, alle neu arrangiert, wechseln mit Eigenkompositionen, gespielt von europäischen Musikern wie Uli Geissendoerfer, Tino Derado und Sven Faller. Frische Klänge in den Jazz bringen traditionelle Instrumente wie Mundharmonika, Akkordeon und Violine. „Ich habe nach all den Jahren in New York immer mehr das Bedürfnis, meine europäischen Wurzeln wieder musikalisch zu erforschen, und durch die amerikanische Brille neu zu interpretieren.“ Alle Songs präsentiert Beat Kaestli mit seiner warmen, klaren Stimme, rhythmisch versiert, mitreißend, betörend. Der große amerikanische Jazzsänger Jon Hendricks lobt: „soulful and sensitive singing“. Bereits 1993 tauschte Beat Kaestli die Schweizer Berge gegen den Großstadtdschungel New York, in der Tasche ein Stipendium der renommierten Manhattan School of Music. Der Gewinn einer Greencard machte es ihm möglich, die eigenen Grenzen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten auszutesten. Auf Umwegen über Funk, Gospel, Musical, Pop und Fusion fand er 2003 zurück zum Jazz. Die Klassik und einige Volksweisen hatte er noch aus seiner Kindheit im Gepäck. Beat Kaestli hat in seiner abwechslungsreichen Musikerlaufbahn unter anderem mit dem Glenn Miller Orchestra gespielt, sich in den bekannten New Yorker Clubs wie „Jazz Standard“ und „Birdland“ etabliert und ist durch Europa, Brasilien und Mexiko getourt. Ein Gute-Laune-Album.
Anne Kotzan

Louis Sclavis & Aki Takase
Yokohama

Intakt Records 2009

Zwei, die das Schaffen des anderen lange genug aus der Ferne bewundert haben, finden schließlich zusammen. Louis Sclavis trifft auf Aki Takase. „Yokohama“ wurde das im SWR-Studio Baden-Baden aufgenommene Spiel der beiden betitelt. Jetzt bereichert es das Repertoire des Schweizer Intakt-Labels und wurde auch schon mit dem German Critics Award ausgezeichnet.
Von spontaner Freiheitsliebe und erwartungsfroher Vehemenz durchdrungen,  prallt die expressive Energie von Sclavis auf die eruptive Tastenkunst der 1948 in Osaka geborenen und heute in Berlin lebenden Pianistin. Vorbehaltlos öffnet sich jeder, um in die Welt des anderen verstehend einzudringen. Sclavis ist wie immer in Bestform, wenn sein Spiel innerhalb gewaltiger Tonumfänge aufglüht. Ruhelose Ostinato-Läufe ziehen hinein in jene fesselnde Magie, wie sie vor allem die Live-Improvisationen des Franzosen erzeugen. Das Klavierspiel Aki Takases nimmt diese Gedanken auf, umspielt sie reaktionsschnell, lädt sie machtvoll mit eigener Emotion auf. Und dieses inspirierte Nehmen und Geben treibt bei aller Freejazz-Attitüde ständig neuen, lyrisch-konkreten Bezugspunkten entgegen. Gerade in Momente des Atemholens vor neuen Anstürmen verdichtet sich eine elegische Poesie – manche Themen könnten als Leitmotiv imaginärer Film- Noire-Inszenierungen durchaus taugen …
Eine große Begegnung auf ständiger gemeinsamer Augenhöhe.
Stefan Pieper

Anja Lerch & Frank Sichmann
Lieblingssongs

Greenhouse Music 1024

Irgendwo muss ein wenig Hippie mit drin stecken, bei Anja Lerch oder Frank Sichmann. Auf ihrem lange gehegten und nunmehr realisierten Wunschprojekt „Lieblingssongs“ – wörtlich zu verstehen – haben viele so genannte Oldies Platz gefunden. Das fängt bei Neil Youngs wunderbarer Ballade „Old Man“ an, die Sichmann wie das fabelhafte Santana-Album „Caravanserei“ mit Grillengesängen einleitet, und endet mit dem romantisch-magischen „Like an Angel passing through my Room“ von Lerchs jugendlicher Lieblingsband Abba. Dazwischen Hendrix (The wind cries Mary), Sting, Kate Bush, Cassandra Wilson (Resurrection Blues/Tutu), Pat Metheny und die unverwüstliche Joni Mitchell mit dem Hit „A case of you“. Das ansprechende Duoalbum ist ein musikalisches Tagebuch, das sicher Erinnerungen bei vielen Hörern wecken und freudiges Erstaunen hervorrufen kann. Erstaunen deshalb, weil die Songs in eigenwilligen, auf Gitarre, Bass, Perkussion und elektronische Effekte reduzierten, sehr stimmungsvollen Arrangements daherkommen und dennoch erkennbar bleiben. Die phantasievolle und enorm produktive Kombination akustischer und elektronischer Klangfarben bewahrt die Musik vor jedem Anflug von Ermüdung. Da passt es einfach wunderbar, dass Sängerin Anja Lerch mit vielen stimmlichen Nuancen, mal kräftig zupackend, mal zurückhaltend die Stimmungen der Songs bis in verschattete Ecken hinein ausleuchtet.
Michael Scheiner

Spirit’n’Jazz
Where are you?

JARO Medien 8097-2

Der Name ist Programm: „Spirit’n’Jazz“ ist aus der Zusammenarbeit eines deutschen Pfarrers und Pianospielers, Gunter Hauser, und eines englischen Posaunisten, Paul Douglas, entstanden. Die beiden zeichnen zudem mit den übrigen Bandmitglieder für die Kompositionen verantwortlich. Das gilt auch für ihr zweites Album, das den Erfolg, den die erste CD („Can you see …?“) in einigen Teilen der Welt hatte, wenn nicht toppen, so doch daran anknüpfen soll. Überwiegend entspannte Stücke vermitteln Loungestimmung und tragen dabei manchmal etwas undefinierbar Unfertiges vor sich her. Zu jedem Musikstück gibt es im Booklet Zitate aus verschiedenen Weltreligionen und Philosophien. „Damit wird auf Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Kulturen hingewiesen“, führt der Pressetext aus, „und das auf Jazz-typische, entspannte Art. Musik gibt dem Universum eine Seele …“, das klingt dann doch etwas arg dick aufgetragen. Und wenn man dem ganzen Drumherum- Geraune ein wenig auf den Zahn fühlt, gilt das für die ganze CD. Es ist schöne, lässig entspannte Musik, die türkischstämmige Sängerin Leyla Tugal raunt bedeutungsschwere Worte und gibt romantischen Gefühlen Raum. Was das aber mit geistlich-religiösen Empfindungen und/oder Ideen zu hat, erschließt sich kaum. Swingender Latinsound, Bluesstimmung, Coolness und schmeichelsanfte Balladen wirken zwar wie Seelenmassagen, aber das verpufft schnell.
Michael Scheiner

Bern, Brody & Rodach
Triophilia

Jazzwerkstatt 071

Würde man nur den ersten Titel, die „Music For Fish“, als Visitenkarte nehmen, könnte man denken, dass die Sympathien von drei Persönlichkeiten – Triophilia – auf einem Minimalkonsens basieren. Suggestiv wird ein kleines Motiv mit Trompete und Akkordeon über monotonem Gitarrenpuls variiert, ohne dass eine interaktive Begegnung stattfindet. Doch Michael Rodach, Alan Bern und Paul Brody wollten wohl die Probe aufs Exempel machen, denn schon das „Eskimo Märchen“ überrascht mit einer Tristeza-Chanson-Melodie vom Akkordeon, die im Bossa-Tempo swingt. Im Shuffle-Rhythmus der akustischen Gitarre wird dann ein „Secret Cinema“ besucht und „Angel Blue“ ist ein Mix aus Klezmer- und Mississippi-Ambiente. Das Spektrum weitet sich sukzessive. Zum bizarren „Tango Valeska“ etwa als großartige Kollektivimprovisation mit markanten Trompetengrowls. Choral und Hymnus sind für den jüdischen Philosophen „Heschel“ reserviert, exzentrische Bebop-Lineaturen für „Bartoki“-Erinnerungen. Die Signatur von Triophilia ist also bewusste Reduktion zugunsten von Intensität. Bern, Brody & Rodach nähern sich über Klänge aus sehr verschiedenen Ressourcen, um sie unkonventionell und mit Respekt voreinander zu kombinieren. Die Verwirklichung dieses Konzepts ist ihnen unprätentiös gelungen, indem sie die Aufmerksamkeit für ihre Exkursionen stets durch eine Balance von musikalischer Disziplin und Spontaneität bewahren.
Hans-Dieter Grünefeld

Paul Kuhn Trio
Unforgettable Golden Jazz Classics
In+Out Records 77050-2

Alle Altersattribute sollte man bei Paul Kuhn vergessen. Er ist mit 82 Jahren als Pianist fit und inspiriert. Nur seine Erfahrung ist in der Auswahl und Präsentation von „Unforgettable Golden Jazz Classics“ bemerkbar. Denn im Trio mit Martin Gjakonovski und Willy Ketzer wird er essenziell, indem er souverän, aber nicht abgeklärt, seine Favoriten aus dem amerikanischen Songbook intoniert. Uneitel führt er den Swing in „Nuages“ von Django Reinhardt zu subtilen Rubato-Improvisationen, bleibt gelassen beim Jumping-Riff zu „Speak Low“ von Kurt Weill. Die eigene Hommage an den 2008 verstorbenen Musikerfreund Johnny Griffin seufzt in Blue Notes, doch nicht larmoyant, sondern wie eine postume Konversation mit „Griff“. Romantische Timbres im Stil der Popgruppe Silbermond fügt als Gast Gaby Goldberg mit Deutsch gesungenen Texten hinzu: Sie fragt im Duo mit Paul Kuhn, „Wo fang ich an?“ (das ist die Ballade „Where Do You Start“ von Johnny Mandel) und „Träume heißen Du“ (der Samba-Type „I concentrate On You“ von Cole Porter), Songs, deren Vokalstil und Arrangements angenehme Passformen haben. Auch Kuhn selbst singt, wie meistens, verschmitzt aber eher rezitativ „You‘re Driving Me Crazy“ von Walter Donaldson, was Martin Gjakonovski ironisch am Bass kommentiert. Virtuos Willy Ketzers Drumsolo zu „Puttin’ On The Ritz“, wie sich überhaupt zeigt, dass dieses Klaviertrio die Rhetorik der Jazz Classics präzise und mit Herz gestalten kann.
Hans-Dieter Grünefeld

Vahid Matejko
Light of Unity

Rebeat RB 141

Musik grenzenlos, hochkarätige Solisten und ein Potpourri musikalischer Genres. Vahid Matejkos zweites Album „Light of Unity“ vereint 59 Künstler aus 5 Kontinenten und 26 Ländern. Jazz, Weltmusik, moderne Klassik mit Orchestrierung oder Big-Band-Sound. Dem Bahaismus gewidmet, von persisch-deutsch-polnischen Wurzeln inspiriert. Matejko kreuzt Europäisches mit Fernöstlichem und erzeugt Klangfarben einer vereinten und vermengten Musikkultur. Die „Oborido Suite“ ist eine namentliche Mischung aus Oboe (Michael Niesemann) und Digeridoo, welches, eingebettet in westlichen Streichquartettformen, eine rhythmische Schlüsselstellung erhält. Matejko verwendet nicht nur so exotisch anmutende Instrumente wie die Tombak, eine persische Handtrommel oder die Kamantsche, die iranische Kniegeige, sondern mischt diese mit der polyrhythmischen Struktur der Pygmäengesänge aus Zentralafrika, der lateinamerikanischen Tanzmusik („Dulces Recuerdos“), fernöstlichen Melodien der iranischen Volksmusik („Iranian Journey“) oder dem Klezmer („Bazar In The Old City“). Darunter vermengt er westliche kompositorische Formen und natürlich Neue Musik.
Hochkarätige Unterstützung erhält Matejko von Schlagzeuger Keith Copeland, sowie von Heiner Wiberny (Altsaxophon), Michael Niesemann (Oboe) und diversen Musikern namhafter Orchester und Big Bands. Jedoch gibt es einen Wermutstropfen: dynamische Akzente und akustische Nuancen hätten dieses Album noch abgerundet.
Nadine Lorenz

Nils Wülker
6

EAR TREAT music 2010, LC 14919

Was ist Jazz? Vielleicht nur eine konventionelle Hülle, der musikalische Background, allenfalls eine fiktive Schublade? Was darf „Mann“ und was darf er nicht? Eigentlich ist es egal, denn hört man das neue Werk „6“ von Nils Wülker, werden jegliche musikwissenschaftlichen Schablonen, musikanalytischen Abarbeitungslisten über Bord geworfen. Er ist nicht mehr nur äußerst talentierter Trompeter, Besitzer eines eigenen Labels und erster deutscher Jazzmusiker, dessen Album bei Sony Music erschien; nun ist er auch noch Sänger. Welch ein Haudegen. Einfach ein Macher. Für Wülker ist die Trompete Ausdrucksmittel und nicht heimliche Liebschaft. Sein Outing als nicht untalentierter Troubadour, war bei diesen wunderbar sonoren Gesangslinien der Trompete eine logische Folge. Zehn goldene Songs, wobei er bei zweien zum Mikrofon greift. Vor einem Jahr tönte er noch, „Ich kann halt nicht singen“. Nun stellen wir mit Freude fest: es war gelogen! Der Gesang ist lecker, die Texte noch nicht ganz, aber wer weiß, was uns beim nächsten Album-Coup des Nils Wülker erwartet. Tadel wäre also unbegründet.
Warme Musik, das Layout des Albums passt gut dazu, auch wenn der große Blonde mit den Eisaugen gar so norwegisch kühl wirkt. Kontrastreich ist auch das Album, nie winterspröde und durch und durch eine Ohrenweide.
Er ist mehr Singer/Songwriter, als nur Trompeter. Mehr aufgeschlossener Allrounder, als „nur“ Jazzer. Ausdruck, Gesamtbild, die Konvention der Musik unterordnen. So sei es.
Nadine Lorenz

Jamie Cullum
The Pursuit

Decca 2713302 (Universal)

Mit seiner fünften Veröffentlichung ist Jamie Cullum weiter auf verdientem Erfolgskurs. Was 1999 mit „Heard it all before“, ein paar reinen Jazz-Standards, begann, entwickelte sich kontinuierlich über „Pointless Nostalgic“, „Twentysomething“ und „Catching Tales“ mit seiner CD „The Pursuit“ nun zu ganz großem Kino. Mittlerweile bewegt Jamie Cullum sich souverän zwischen jazzigen roots à la Cole Porter, musikalischen Eckpfeilern seiner Jugend und aktuellen Sounds von Aphex Twin oder Rihanna, also etliche Stile, die eher verschreckend wirken als kombinierbar – es sei denn Jamie Cullum betritt als Protagonist die Szene. Als Vokalist, kombiniert mit Piano oder Gitarre, er ist stets auf der Suche, krempelt alles um, schreibt begnadete Kompositionen und drückt Stücken seinen unverkennbaren Stempel auf. Trotz seiner mittlerweile 30 Lenze umgibt ihn nach wie vor ein jugendlicher Charme, mit unkonventionellem Auftritt. Ob bei Rihannas Coverversion von „Don’t stop the music“ oder seinem wundervollen Liebeslied „Love ain’t gonna let you down“ – Cullum versteht es einzigartig, mit leicht rauer Stimme den Songs eine eigene Seele zu geben. Dabei spielt die Instrumentierung immer eine (ge-)wichtige Rolle. Count Basie Orchestra, Strings und Backing Vocals, Trio, Jazz-Standard oder Dance-Track … Jamie Cullum ist immer auf der „Jagd“, dem Streben nach eigenen Sounds und musikalischen Ideen. Solche mutigen Individualisten, die mitreißen, sind heute leider recht selten geworden.
Thomas J. Krebs

Heinz Sauer, Michael Wollny, Joachim Kühn: IF (BLUE) THEN (BLUE)
Act 9493 - 2

IF (BLUE) THEN (BLUE) ist die mittlerweile dritte Duo-CD von Heinz Sauer unter Mitwirkung des Pianisten Michael Wollny. Damit es diesmal noch abwechslungsreicher und spannender wird als bereits auf den beiden CDs „Certain Beauty“ und „Melancholia“, klinkt sich Joachim Kühn als weiterer Partner ein. Altersunterschiede zwischen den Musikern verschwinden dabei komplett – Michael Wollny (geb. 1978) bewegt sich musikalisch ebenso versiert und beseelt wie Joachim Kühn (geb. 1944) gemeinsam mit dem großen Saxophonisten Heinz Sauer (geb. 1932). Dabei entsteht aus dem bisher „starken Duo Sauer/Wollny“ nun eine Konstellation, die ebenso überzeugt und begeistert, zumal Heinz Sauer wie Joa-chim Kühn, zwei große Protagonisten des deutschen Jazz, bis dato noch nie zusammen gespielt haben. Abgesehen davon überzeugt auch das Konzept der Aufnahme, inspiriert vom 50. Jubiläum des Miles-Davis-Klassikers „Kind of blue“. Sauer setzt jeweils mit Wollny/Kühn im direkten Duolog spontane Momente um, ausgehend von Klassikern wie „All Blues“, „Sophisticated Lady“ oder „Lover Man“, die sich abwechseln mit Eigenkompositionen aus den Federn des Duos, bzw. bei „There Again“ und „Go from here“ der Pianisten. Dabei entsteht im kreativen Fluss eine packende musikalische Atmosphäre. Die-se Duo-Einspielungen bestechen nicht nur durch respektvolles Miteinander, sondern vor allem durch souveränes Ergänzen mit gelungenen musikalischen Klangfarben, die diese inspirierte Zusammenarbeit der Musiker kennzeichnet.
Thomas J. Krebs

Frøy Aagre
Cycle of Silence

ACT 9491-2

Stille. Ein seltsames Grundkonzept für Musik. Doch in Frøy Aagres drittem Album „Cycle of Silence“ geht dieses auf. Distanzen, räumliche und zeitliche, bestimmen die zehn ruhigen Songs, wenn in „Steam Train“ eine Zugreise von Oslo nach Bergen mit dem Sopransaxophon nachgezeichnet wird oder im Titelstück das Benutzen von Pausen zum musikalischen Credo avanciert. „Cycle of Silence“ wirkt wie eine Landschaftsbeschreibung: Am Anfang war die Schneeflocke, sie schwebt dahin, bettet sich langsam in einen Rhythmus; verworrenes Wollgarn entwirrt sich, löst Knoten, flicht Schleifen um norwegisches Baumgeäst, besetzt Fjorde, um dann im Schein eines Polarlichts langsam und stetig sich aufzulösen. Mitternachtssonnen zum Schluss; langsamer, ruhiger. „Greatness often lies in compactness“, so Aagre. Was die 32-Jährige „compactness“ nennt, ist aber noch weitaus mehr, wobei „Cycle of Silence“ sich das lyrisch Nordische im Kern bewahrt, von Folklore beherrscht und von tippelnden Grieg’schen „Elfentänzen“ auf dem Klavier geprägt wird. In Zeiten Griegs war norwegische Musik noch die romantische Suche nach Freiheit, einer norwegischen Identität. Heute ist Norwegen ein Kulturparadies, vor allem im Bereich Jazz. Landschaftsbilder, Volksmusik und Natursagen sind die Sujets – immer noch und Frøy Aagres Album ist dabei wie ein Blick durch ein Kaleidoskop des norwegischen Jazz: bei all den bewegten Bildern doch zart und still. Nur die Pausen, die dürfen beim nächsten Mal intensiver sein.
Nadine Lorenz

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