Mit seiner versammelten, doch nie festgezurrten Spielhaltung ist der
vierzigjährige Gitarrist Rue Protzer nicht nur als gefragter Studio-
und Begleitmusiker eine Ausnahmeerscheinung – und das weit über
den Tellerrand der lokalen Musikszene hinaus. Nur mit eigenen CD-Veröffentlichungen
hielt sich der Nürnberger bisher zurück: Vor zwei Jahren begleitete
er noch die Münchener Sängerin Ursula Oswald für den Nürnberger
Plattenverlag Jazz4Ever auf ihrer CD „Beginning to see the Light“.
Nun erschien seine erste eigene Scheibe überraschend beim Branchenriesen
Sony BMG: „Rue de Paris – Quiet Motion“. Von der Fachpresse
bereits mit positiver Resonanz geprüft, wurde Rue Protzers CD am
22. September auch dem Publikum im Nürnberger Jazzstudio vorgestellt:
In Triobesetzung mit Stargast Ack van Rooyen, dem niederländischen
Spezialisten für Flügelhorn und Thomas Rückert am Piano.
jazzzeitung: Sie haben nach Ihrem Studium am Nürnberger
Konservatorium im Bereich Werbung und Studiomusik gearbeitet: Was lernt
man dabei? Prägt die geforderte Prägnanz die musikalische Ausdrucksform?
Rue Protzer: Zuerst einmal ist Studioarbeit unglaublich
lehrreich, man lernt, in verschiedenen Stilistiken zu spielen, man lernt,
präzise und fehlerfrei zu spielen und natürlich auch, unter
Zeitdruck zu arbeiten. Oft bleibt dabei aber die Individualität,
der eigene Sound, auf der Strecke. Als Künstler darf man aber nie
vergessen, genau daran zu arbeiten, mit dem Ziel, einen eigenen Stil,
eine eigene Ästhetik zu kreieren. Es ist also unglaublich wichtig,
trennen zu können zwischen rein kommerzieller Arbeit und der eigenen
Musik.
jazzzeitung: Profitiert man denn als Musiker von solchen
Studio-Kontakten jenseits der Bühne? Eine aktuelle Jazz-Instrumental-Platte
aus Nürnberg bei Sony – jenseits der Big Names – das
ist ja schon eine Sensation!
Protzer: Der Kontakt zu Sony ist erst nach den Aufnahmen
entstanden. Ich hatte verschiedene Angebote auf dem Tisch, als mich der
mitwirkende Pianist Thomas Rückert fragte, ob ich die Produktion
eigentlich auch an Sony geschickt hätte. Ich antwortete, dass ich
das ganz vergessen hätte, und schickte eine CD nach Berlin. Ein paar
Wochen später erfuhr ich dann telefonisch, dass Sony interessiert
sei, mich unter Vertrag zu nehmen.
jazzzeitung: Natürliches Zeitmaß –
vergleichbar vielleicht mit dem Rhythmus menschlicher Atemzüge oder
dem Trab eines Pferdes – ist etwas sehr Zentrales auf Ihrer Platte
– die subtile Kunst der Leerstellen lässt Ihre Stücke
gleichsam „atmen“ …
Protzer: Ja, das ist richtig, Atmung in der Musik ist
mir sehr wichtig. Musik, die nicht atmet, neigt dazu, steril zu klingen.
Je natürlicher Musik atmet, desto organischer ist ihre Wirkung.
jazzzeitung: Ist „Quiet Motion“ in diesem
Sinne zivilisationskritisch gemeint? Wirkliche Ruhe gibt es ja auch in
einer so gemütlichen Stadt wie Nürnberg vielleicht noch nachts
um halb vier am Stadtrand in lausig kalten Winternächten …
Protzer: Zivilisationskritisch nicht im intellektuellen
Sinne; ich hatte vielmehr das innere Bedürfnis, eine Musik zu schaffen,
die einen Gegenpol zum multimedialen Overflow darstellt.
jazzzeitung: Speziell zu diesem Bedürfnis nach
innerer Ruhe würde ich Ihnen gerne noch folgende Frage stellen. Haben
Sie vielleicht irgendeinen asiatischen Kampfsport gemacht?
Protzer: Ich bin überrascht, diese Frage hat Premiere
in einem Interview. Sie liegen richtig, ich habe sehr lange Zeit Tae-kwondo
gemacht, bis hin zum schwarzen Gurt. Je länger ich mich damit beschäftigt
hatte, desto zentraler wurde auch hier das Thema Atmung für mich.
Ohne diese wertvollen Erfahrungen, ich meine auch die damit unmittelbar
verbundene Kontemplation, würde meine Musik sicherlich anders klingen.
jazzzeitung: Nun zum anderen Pol Ihres CD-Titels: Stichwort
„Rue de Paris“ – was bedeutet Ihnen Paris als Musiker?
Protzer: Mit Paris verbinde ich natürlich die Zeit
der 1950er- und 1960er-Jahre, eine Zeit, in der Paris sicherlich so etwas
wie die europäische Jazzhauptstadt war.
Auf den Namen „Rue de Paris“, bin ich im Internet gestoßen.
In San José in Kalifornien gibt es ein französisches Restaurant
mit gleichem Namen. Da ich sowohl in San José als auch in Paris
war und auch noch „Rue“ darin enthalten war, hatte ich das
Gefühl, den richtigen Namen für mein Projekt gefunden zu haben.
jazzzeitung: Wo sehen Sie selbst den persönlichen
Unterboden für Ihre ungewöhnlich gelassene Spielhaltung –
im Folk?
Protzer: Musik ist für mich ein tiefes Gefühl;
in der Improvisation versuche ich, in dieses Gefühl einzutauchen.
Mir geht es dabei nicht um Selbstdarstellung, vielmehr um Kommunikation.
Mich inspirieren die unterschiedlichsten Komponisten und Interpreten,
Mozart, Bach, Keith Jarrett, um einige zu nennen. Oft sind es aber auch
nur einfache Lieder oder Songs mit wenigen Akkorden – und somit
auch Folkmusik.
jazzzeitung: Beispielsweise der Titel „Vallée
Blanche“ … das ist ein wirklich außergewöhnliches
Stück! Sowohl die Harmonieabfolge zu Beginn – als auch der
spezielle Sound der Gitarre – wie ein fernes, verschleiertes Echo
auf „Sketches from Spain“ … das klingt wie von weit
her … wo liegt der Ursprung?
Protzer: Das Vallée Blanche ist eine Touren-Skiabfahrt
bei Chamonix am Fuße des Mont Blanc. Sie zeichnet sich durch eine
unglaubliche Schönheit aus. Ich habe versucht die Stimmung und Schönheit
dieser einmaligen Landschaft aufzufangen und zu vertonen.
jazzzeitung: Oder auch „You are so beautiful“
in unmittelbarer Folge – das wäre doch ein prächtiges
Intro für einen neuen Western?
Protzer: Ich hätte nichts dagegen, wenn eines meiner
Stücke sich in einem Film wiederfände. Ich habe sogar gerade
ein Stück für eine TV-Produktion angeboten.
jazzzeitung: Gibt es weitere erlebte Bezüge zu
einzelnen Stücken?
Protzer: Das zweite Stück auf der CD ist meinem
Sohn Louis gewidmet. Das Stück habe ich während der Schwangerschaft
meiner Frau komponiert. Es trägt den Titel „Embryo“.
Der melodische Duktus ist reduziert auf Bewegungen zur Quinte und zur
Oktave, also den nächsten Verwandten in der Obertonreihe. Ich habe
versucht, ein Gefühl von Schwerelosigkeit, aber auch von Geborgenheit
zu erzeugen, daher der ¾-Takt.
jazzzeitung: Ihre Gibson hat einen sehr runden, nie
scharfen Sound und bleibt dem Piano immer gewachsen in Sachen Durchsetzungsfähigkeit.
Die Balance ist also außergewöhnlich gut zwischen den einzelnen
Stimmen. War das sofort so oder haben Sie „gebastelt“ während
der Aufnahme?
Protzer: Das war eigentlich sofort so, denn fast alle
Stücke waren „first“ oder „second takes“.
Wir hatten ohnehin nicht viel Zeit, da aus terminlichen Gründen nur
ein Tag für die Aufnahmen vorgesehen war. Im Übrigen wusste
ich, dass ich mich auf Toningenieur Oliver Bergner verlassen konnte, da
ich schon öfter mit ihm gearbeitet habe. Viel wichtiger als die technischen
Details ist mir das Zusammenspiel und somit die musikalische Chemie zwischen
den Musikern, denn das ist es, was den Klang einer Aufnahme in hohem Maße
bestimmt.
jazzzeitung: Wie kamen Sie auf Ihre Mitmusiker –
auf den New Yorker Drummer Adam Nussbaum? Und – wie kamen Sie auf
Gasttrompeter Ack van Rooyen, der ja auch in Nürnberg im Jazzstudio
dabei war?
Protzer: Ich hatte mit Thomas Rückert im Jahr zuvor
schon eine CD für die Münchner Sängerin Ursula Oswald aufgenommen
und fragte ihn anschließend, ob er Lust auf ein neues Projekt hätte.
Bassist John Goldsby brachte Adam Nussbaum ins Spiel.
Adam war aus den USA angereist, um mit der WDR Big Band in Köln aufzunehmen.
Zuletzt fragte ich dann noch Ack van Rooyen, schickte die Noten raus und
war überglücklich, als alle zusagten.
jazzzeitung: Haben Sie einen Karriere-Tipp für
den derzeitigen Jazz-Nachwuchs? Fleißig abwarten und in Ruhe üben?
Protzer: Das Musikgeschäft ist nicht einfach und
die Konkurrenz ist unglaublich groß. Bei allem Üben und Studieren
braucht man ab und zu einfach das Glück, zur richtigen Zeit die richtigen
Leute zu treffen. Insofern halte ich wenig von Karriere-Tipps, deshalb
lieber eine asiatische Weisheit: Der Weg ist das Ziel. Hat man diese Lebensanschauung
einmal verinnerlicht, sieht man die eigene Karriere mit der nötigen
Gelassenheit.
Interview: Anja Barckhausen
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