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Eng wie im Boot war es in der Tonne der Moritzbastei, und viele waren gar nicht bis zum Tatort durchgedrungen. Dann stand auf der Bühne eine Band, die im Fortgang der mehr als dreistündigen Ereignisse in mehrfachem Sinne noch größer werden sollte, und ihr Chef sagte: „Mein Name ist Klaus Doldinger.“
Dessen unendliche Geschichte hatte gerade wieder ein paar vorläufige Höhepunkte, und gegen das Ende dieses Konzertes erhielt er einen „German Jazz Award“ für sein Album „Passport To Morocco“. Doldinger ist 70 geworden im Frühjahr, und sollte irgendjemand glauben, Jazz sei eine ungesunde Musik, muss er sich nur diesen Saxophonisten ansehen, der mit überraschendem Stehvermögen den 30. Leipziger Jubiläums-Jazztagen zu einem idealen Auftakt verhalf. Damals und morgen: nostalgisch, griffig, gut. Derweil man im Publikum mit zunehmender Dauer der Käfighaltung auch positive Seiten abgewann, spielte und entertainte er sich auf einem dicht ziselierten Rhythmusteppich durch den Stoff seines Lebens. Revolutionär ist das nicht mehr, aber schön war es doch. Grenzen sind Doldingers Sache nicht, schließlich ist ein Passport auch ein Mittel zu ihrer Überwindung. Auf der Bühne wird es eng. Beim finalen Blues dann hat die Band Fußballmannschaftsstärke und plötzlich sitzt Joachim Kühn am Klavier. Dann war es am ersten Schauspielhausabend nicht unbedingt zu erwarten, dass sich die Ereignisse so steigern würden. Drei Konzerte wirkten auf dem Programmzettel eher wie ein konzeptioneller Vorschein auf die Folgetage. Zwei führten auf nachhaltige Weise vor, wie das Ineinanderdriften von Kulturen funktionieren kann, das dem Festival sein Motto gab. Zunächst stand da ein Zeittunnel, der zu den 1. Jazztagen führte, denn dort schon hatte ein Quartett um Joe Sachse gespielt. Was aber folgte, war eine weitgehend im Konzept festgefrorene Session für Gitarre und drei Bläser. Intensiv saitenumrankte Satzgesänge, sehr diszipliniert, choralhaft manchmal und doch dickflüssig. Man hörte vor allem, was hätte sein können, denn Sachse ist ein exzellenter, fintenreicher und stark individualisierter Gitarrist. Urplötzlich bekam das Dringlichkeit, als eine Hommage an den Bassisten Klaus Koch folgte, als Betroffenheit und die eigene Geschichte aufschienen, als nicht einmal zu oft um die Ecke gedacht wurde. Dann kam die Oud. Die arabische Knickhalslaute war der rote Faden durch die Leipziger Tage. Sie hat etwas Mythisches, klingt nach Tausendundeiner Nacht und Scheherazade. Rabih Abou-Khalils vom amerikanischen Schlagzeuger Jarrod Cagwin gestützter Diskurs mit Joachim Kühn waren eine Überraschung. Das Klavier ist das Instrument Europas schlechthin. Als solches kam es bis dato in Abou-Khalils Klangkosmos nicht vor. Zwei fanden sich aus gegenseitiger Faszination zu einem innigen Dialog entfernter Welten, der als kompakter freier Flug begann, in disziplinierte Kompositionen mündete und von da zurück in die solistische Freiheit der Improvisation lief. Das war eine Lehrstunde des interkulturellen Prinzips. Wie auch das sensationelle Heimspiel von Stephan Königs LeipJAZZig-Orkester mit dem französischen Akkordeonisten Richard Galliano. Man hörte nicht nur das allbekannte Star-steht-vor-Orchester-Programm, sondern eine höchst intelligent arrangierte, temposcharfe Kurzweil. 16 Musiker auf der Bühne, Individualisten an der Leine ihres Leaders, der es mit diesem Auftritt geschafft haben sollte, zu einem Leipziger Exportartikel aufzusteigen. Anouar Brahem lässt seine Erfahrungen mild und wie selbstverständlich ineinanderfließen. Sein mit François Couturier und Jean-Louis Matinier an Piano und Akkordeon besetztes Trio zeigte als grandioser Beginn des letzten Abends, wie aus dem Zusammenklang der Elemente Größeres wachsen kann, das in immer neuen Finten unaufdringlich umgarnt: arabische Kunstmusik, Musette-Echos, Balkan, Klassik und Jazz. Wie ein Hauch ist das, voller Harmonie und Ziselierungen. Wie eine beiläufige Utopie des Verstehens machte sein Auftritt das Triumvirat der drei am nachhaltigsten in Europa angekommenen Oud-Spieler komplett. Zwischen Brahem und Dhafer Youssef liegen Welten. Youssef lässt den Apple blinken, liebt Grooves, Electronica und das Trendige der Metropolen. Der sein Oud-Spiel um Sufi-Gesang ergänzende Nomade traf Gitarrist Nguyên Lê. Zwei vom Start weg charmesprühende Publikumslieblinge. Von beider Saiten klingen die Spurenelemente ihrer so verschiedenen Herkünfte, und was wächst, ist eine großartige dritte Welt aus Musik. Oder eine vierte. „Fourth World Music“ nennt Jon Hassell, was er macht. Sein Ton ist ins Absolute individualisiert und introspektiv. Seine Konzerte sind wie ein konsequenter Frieden, der Computer humanisiert, Pattern entschleunigt und unser Denken auch. Sie pulsen in einem akustischen Suggestionsprogramm als ein wie selbstverständlich pumpendes Organ. Musik wie ein Hauch aus Askese und Trance, die wortlos von der Bühne weg transzendiert. Von den schönsten Eisballaden des Nils Petter Molvær hat man Ähnliches gesagt. Das war nur in Ansätzen zu hören, und die waren im Kontext irrelevant. Harald Haerter ist ein blendender Gitarrist mit intensiver Band. Er sammelt Stars, hinter denen er das beweist. In Leipzig kippte das ins Beflissene. Joe Lovano ist der aktuelle Gigant des Tenorsaxophons schlechthin. Mit der unanfechtbaren Autorität eines alteingesessenen Landarztes machte er das klar. Absolut präsent kann er jede im spontanen Spielfluss auftauchende Idee antizipieren und als großer Solist emporheben. Nils Petter Molvær hingegen ist lange kein Jazzmusiker mehr. Das muss man ihm nicht vorwerfen, nur konnte er deswegen hier keine Bindung finden und verlor sich im Labyrinth seiner Verfremdungspedale. Auch am letzten Abend gab es einen Fehlversuch. Lars Danielsson konnte drei Mentalitäten als Pianotrio plus Samples nicht unter einen Hut bringen: zwei Generationen norwegischen Jazz mit Jon Christensen und Jan Bang sowie den polnischen Shootingstar Leszek Mozdzer. Das blieb ein zugeneigtes Nebeneinander, weil der Däne nicht der Leader war, das zusammenzuführen. Ein schlussendlich nicht nur sich, sondern allen zugeneigtes Miteinander war zwischen Uptempo und Ballade das Joey DeFrancesco Orgeltrio mit den zwei Tenören, die sich als Allstar-Band exklusiv für Leipzig formiert hatten und zu denen man sich den Joe Lovano des Vorabends gewünscht hätte. Ein großes Konzert am Ende eines noch größeren Festivals. Eine große, durchgehend ausverkaufte Arbeit des Jazzclubs Leipzig mit seinem künstlerischen Leiter Bert Noglik. Ulrich Steinmetzger |
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