Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
1980 wurde er einmal bei einem Konzert in Bombay mit den Worten angekündigt: „Pege kann alles mit dem Bass tun – außer ihn essen.“ Das trifft den Nagel auf den Kopf. Nicht zufällig nannte man den ungarischen Virtuosen den „Paganini des Kontrabasses“.
Doch so passend der Vergleich auch ist, er zeigt nur eine Hälfte der Medaille. Der am 23. September nach schwerer Krankheit verstorbene Aladár Pege war ein außergewöhnlicher Bassist des klassischen Repertoires und bildete als Professor klassische Bassisten aus, doch er war ein ebenso begnadeter Jazzmusiker, als solcher international wohl sogar bekannter. In seiner ungarischen Heimat kannte ihn so gut wie jeder, selbst Leute, die zu Jazz gar keinen Bezug haben. Niels-Henning Ørsted Pedersen hat einmal vermerkt, wenn Paganini Aladár Pege auf dem Bass gehört hätte, hätte er vor Neid seine Geige an einem Baum zerschlagen. Eine übertriebene Aussage, doch sie zeigt, wie sehr Pege selbst von noch berühmteren Bassvirtuosen bewundert wurde. Dass Pege nicht annähernd so bekannt wurde wie Ørsted Pedersen oder auch nur wie der in Amerika lebende tschechische Bassist George Mraz hängt sicher auch mit der weniger großen Beweglichkeit zusammen, die ihm in den ersten Jahrzehnten seiner Karriere als Bürger eines Ostblock-Landes möglich war. Er hatte dort einen großen Ruf und einen guten Posten und keinen Anlass in den Westen zu flüchten. Es hängt aber auch mit seinem dezidierten Virtuosentum zusammen. Virtuosen werden oft als Musiker in etwa so ernst genommen wie Zirkusartisten als Sportler: gar nicht. So kann man erleben, dass man ein riesiges 1.000-seitiges, eng- und kleinbedrucktes Riesen-Jazzlexikon aufschlägt und unter dem Namen des technisch versiertesten Jazzbassisten keinen Eintrag findet. Aladár Pege erblickte am 8. Oktober 1939 in Budapest in einer Roma-Familie das Licht der Welt. Schon sein Urgroßvater, sein Großvater und sein Vater waren Bassisten. Ursprünglich wollte er nur klassischer Bassist werden, doch später reizten ihn die Ausdrucksmöglichkeiten des Jazz. In beiden Welten hat er die Möglichkeiten des Bassspiels voll ausgeschöpft: Nicht nur das Pizzicato in allen üblichen und unüblichen Formen beherrschte er, perfektes arco-Spiel, mehrstimmiges Spiel, lupenreine Intonation in allen Lagen und jeder Geschwindigkeit standen ihm in solcher Perfektion zu Gebote, dass die einen ihn als besten Bassisten der Welt feierten, während den anderen die Fülle des Gebotenen schlicht zu viel war und sie über die vermeintlich protzige Zurschaustellung der Fingerfertigkeit die Nase rümpften. Als Jazzsolist profitierte er von seiner klassischen Grundlage ohne Einbußen an Jazz-Feeling, wie es bei manchen Klassikern, die nur nebenher jazzen, der Fall ist. Anregungen kamen auch von ungarischer Folklore. Es verwundert nicht, dass Béla Bartók und Charles Mingus seine „Hausgötter“ wurden. Er studierte am Béla-Bartók-Konservatoirum und an der Franz-Liszt-Musikakademie in Budapest, deren Lehrkörper er später selbst bereichern sollte. 1963 begann er mit eigenen Gruppen. 1970 wurde er auf dem Montreux Jazz Festival zum besten Solisten gekürt. Nach diesem Durchbruch zog er 1973 nach Berlin, in den Westen wohlgemerkt, wo er bei Rainer Zappernitz, dem Solobassisten der Berliner Philharmoniker studierte und von wo aus er mit Größen wie Dexter Gordon, Art Farmer, Benny Bailey, Albert Mangelsdorff und Leo Wright arbeitete. Aus diskographischer Sicht ragten in den 70er-Jahren die Duo-Aufnahmen mit dem Pianisten Walter Norris heraus. Nach einer kurzen Zwischenstation in Wien kehrte er nach Budapest zurück, wo er Bass-Professor wurde. Für eine kurze Zeit sah es so aus, als käme auch großer amerikanischer Ruhm dazu. Als er 1980 beim Jazz Yatra Festival in Bombay auftrat, wurde er von Sue Mingus und der Mingus Dynasty entdeckt, einer Formation, die das Werk des 1979 verstorbenen Bass-Titanen Charles Mingus pflegte. Die Mingus Dynasty mag gedacht haben, um einen Bassisten wie Mingus zu ersetzen, braucht man zwei Bassisten, und so wurde Pege neben Mike Richmond Bassist der Formation. Die am 19. Juli 1980 auf dem Montreux Jazz Festival entstandenen Aufnahmen (darunter „Haitian Fight Song“, von Jimmy Knepper scherzhaft in „Hungarian Fight Song“ umbenannt) muss man gehört haben, um zu verstehen, warum Pege von Sue Mingus einen Bass ihres Mannes zum Geschenk bekam. Über diese Zusammenarbeit mit Mingus Dynasty, mit Joe Farrell, Randy Brecker, Jimmy Knepper, Sir Roland Hanna und Billy Hart, einer Traumband, resümierte Pege: „Für mich war es eine wichtige Erfahrung, mit so hervorragenden Musikern zusammenzuspielen, alles Amerikaner, und ich mittendrin, Aladár Pege aus Ungarn. Es war wie eine Gedenkfeier für Mingus und zugleich ein Beweis für die lebendige Kraft seiner Musik. … Für mich ist er eine der wichtigsten Persönlichkeiten der gesamten modernen Musik.“ 1981 gewann Pege als Bassist im Down Beat-Poll in der Sparte „Talente, die größere Beachtung verdienen“. 1982 trat er in New York beim Cool Jazz Festival mit Herbie Hancock und Tony Williams auf und erhielt einen Bass aus dem Erbe Charles Mingus’ zum Geschenk. Wäre er zu diesem Zeitpunkt in die USA übersiedelt, er wäre in aller Munde gewesen. In den 80er-Jahren kam es auch zur Zusammenarbeit mit Erich Kleinschuster, Charlie Antolini, Attila Zoller und Karl Ratzer. Dokumentiert ist sein Spiel jener Jahre auf eher schwer erhältlichen Ostblock-Alben. Da musiziert er überwiegend mit ungarischen Kollegen und dem einen oder anderen ausländischen Gast, darunter Lee Harper und Kollegen aus dem Nachbarland Österreich wie Harald Neuwirth und Erich Bachträgl. Spätere Alben – allzu wenige für einen Musiker dieses Ranges – zeigen ihn meistens an der Seite ungarischer Musiker, so die aus ungarischen Live-Mitschnitten des Jahres 1995 bestehende In+Out-CD „Ace Of Bass“. Peges Aufnahmen unter eigenem Namen leiden etwas unter der Tatsache, dass er seine meist jüngeren, weniger bekannten Kollegen überstrahlte, obgleich er mit Profis arbeitete, denen er auch genügend Raum zur Entfaltung zugestand. Hört man ihn mit Kollegen, die auf gleicher Augenhöhe musizierten, wie das zum Beispiel auf Attila Zollers „Last Recordings“ der Fall ist, und ist damit zugleich die Gefahr gebannt, dass man die Band als Staffage für die Virtuosität des Bassisten wahrnimmt, dann wird man der besonderen Magie inne, die Pege entfalten konnte, wenn er entsprechend herausgefordert und inspiriert wurde. „Ich denke nicht in den Kategorien Jazz oder Klassik. Ich denke immer nur in der Kategorie Kontrabass“, erklärte Pege einmal. So war das Erstaunliche an Pege weniger, dass er Klassik und Jazz gleichermaßen virtuos spielte, sondern dass er dabei auch noch in fast jedem Stil mit allen Wassern gewaschen war. Trotz seines akademischen Hintergrundes war seine Haltung alles andere als elitär. Eines seiner Alben hieß sogar „Music for Everybody“ und nannte auf seinem Cover Blues, Popjazz, Latin und Rock. Ob Bebop oder Free Jazz, Mainstream oder Jazzrock, Pege beherrschte alles. Selbst E-Bass spielte er vorzüglich. Doch was auch immer er angriff, seine Virtuosität war frappierend, aber sie war kein Selbstzweck. Er sagte einmal: „Manchen erscheint vieles, was ich spiele, wie eine artistische Darbietung. Diese Zuhörer haben wahrscheinlich allzu viele schlechte Bassisten gehört, sodass sie vor lauter Verwunderung über die technischen Grundlagen vergessen, auf die Musik zu hören.“ Marcus A. Woelfle |
|