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Jazzzeitung
2005/10 ::: seite 1
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Joe Gallardo, bei der NDR Bigband derzeit noch in der illustren Position
des ersten Posaunisten, bastelt voll Energie und Tatendrang an seiner
musikalischen Zukunft: Seinen Stuhl in Hamburg nämlich muss der Musiker,
der mit seinen 66 Jahren bereits um ein Jahr über der Altersgrenze
für Mitglieder liegt, kommendes Jahr dem um einiges jüngeren
Nils Landgren überlassen. Der so erzwungene Weggang stimmt den Latino-Amerikaner
Gallardo zwar traurig, andererseits kann er, der seinerzeit mit der LP
„Latino Blue“ Geschichte machte, sich nun ganz seinen Jazzprojekten
widmen. Was er auch tut: Mit „Latin Jazz Latino“, eingespielt
mit der Rhythmusgruppe von Pacito de Rivera, legte Gallardo kürzlich
ein Album vor, das wiederum Latinorhythmik und -feeling atmet. Natürlich
war auch die NDR Bigband mit dabei, der er entsprechend Freiraum für
Improvisationen und Soli gab. Das im Plattentitel propagierte Motto drückt
laut Joe Gallardo die „Verbindung des amerikanischen Latin-Jazz“
mit der „ursprünglichen Latino-Musik“ Südamerikas
und Kubas aus – also, wie Gallardo betont, das „Beste zweier
Welten“…
Jazzzeitung: Ein Blick zurück – bereits während
Ihrer Zusammenarbeit mit Mongo Santamaria orientierten Sie sich klar in
Richtung Latin Music. Inwiefern hat Santamaria Ihren musikalischen Lebensweg
beeinflusst und was ist Ihnen aus dieser Zeit in Erinnerung geblieben?
Joe Gallardo: Mongo Santamaria war das, was man in Deutschland
als „Meister der Conga“ bezeichnen würde. Er war ein
traditioneller, aus Kuba stammender Congaspieler und über diese Art
von Musik wusste er … nun, einfach alles! Meine heutigen, vergleichsweise
spärlichen Kenntnisse habe ich hauptsächlich in seiner Band
erlangt – indem ich ihm und seinen Musikern zuhörte, alles
aufsog. Diesen tiefen Eindruck machte er übrigens auf alle seine
Musiker: Mongo konnte durch seine Musik sprechen und alle verstanden,
im übertragenen Sinne, seine Sprache auf Anhieb. Das zähle ich
zu meinen wichtigsten Erfahrungen!
Jazzzeitung: Bei Ihrem Weggang werden Sie nun über
15 Jahre als Erster Posaunist der NDR Bigband tätig gewesen sein.
Wie fühlt sich das an – war die NDR Bigband so etwas wie Ihre
musikalische Heimat?
Gallardo: Es stimmt schon, dass das tatsächlich
ziemlich hart ist, denn die Jungs aus der Band sind für mich sowas
wie eine Familie, sie sind wie Brüder für mich – jüngere
Brüder. Allesamt sind sie phantastische Musiker, aber, was noch viel
wichtiger ist, sie sind vor allem großartige Menschen … Sie
zu verlassen ist wie aus seiner Familie wegzugehen. Es ist heftig, aber
manchmal muss ein Abschied eben sein.
Das gehört beim Leben mit dazu. Wie bei einer Fahrt im Disneyland,
die einen Anfang hat, eine Weile dauert und dann irgendwann enden muss.
Die Zeit mit der NDR-Bigband war meine Disneyland-Fahrt. Ich hatte 15
wundervolle Jahre mit dieser Band. Auch die Stadt Hamburg hat mir viel
gegeben. Vorher war ich ja noch elf Jahre in Stuttgart… ja, insgesamt
hat Deutschland mir vieles Gutes gebracht.
Jazzzeitung: Ganz allgemein gesprochen: Sind Latin-Rhythmen
etwas, das man als Latino einfach „im Blut“ hat?
Gallardo: Also, zunächst mal sind die Latinos natürlich
in einem Umfeld geboren, wo diese Musik tagtäglich gespielt wird.
Klar, das verschafft ihnen, uns gegenüber, einen Vorteil –
ich sage „uns“, weil ich als Tex-Mex-Amerikaner auch nicht
von Anfang an mit kubanischer oder karibischer Musik zu tun hatte! Von
daher ist Latin eine Musik, mit der ich mich erst Jahre später intensiver
beschäftigte, bei Mongo Santamaria und Louis Gasca, mit dem ich 1969
für Atlantic Records das Album „Little Giant“ eingespielt
habe. Um auf das „Latino-Feeling“ zurückzukommen –
ich habe so viele deutsche Musiker gesehen, die in dieser Musik genauso
versiert sind wie jeder Latino. Ich habe allerhand Salsa-Jobs gespielt
und sah deutsche Tänzer genauso gut dazu tanzen wie jeden Latino.
Von daher „gehört“ diese Musik nicht den Latinos, es
ist eine Musik für alle Menschen … Im Grunde ist das mit jeder
Musikrichtung so: Nimm Jitterbug oder Swing … ur-amerikanische Musik,
und dennoch habe ich Kids in Deutschland gesehen, die auch dies kein Stück
schlechter beherrschen. Auf den Punkt gebracht: unsere Herkunft ist nicht
entscheidend. Im Herzen sind wir alle gleich.
Carina Prange
CD-Tipp
Joe Gallardo & NDR Bigband:
Latin Jazz Latino
Skip Records 9059-2/Soulfood
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