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Figaro jazzt? – Nach der Umbenennung des Kulturkanals im Hörfunk des Mitteldeutschen Rundfunks, der in nennenswertem Umfang den Jazz zu Tone kommen lässt, kann man das jedenfalls behaupten. MDR Figaro anstelle von MDR Kultur heißt es seit Anfang des Jahres 2004 und „Das Schöne lauert überall“ anstelle von „Kultur ist was für jeden Tag“. Die aus der öffentlichen Kommentierung dieser Veränderungen ablesbaren anfänglichen Irritationen sind inzwischen weitgehend verflogen. Ein sich in Richtung Quassel- und Berieselungswelle bewegender Friseursender ist nicht entstanden. Der Leitsatz, die Zuhörerschaft jeden Tag kulturvoll zu begleiten, gilt unvermindert. Nur wird nun versucht, eine verengte Auslegung des Kulturbegriffes in noch stärkerem Maße als zuvor aufzubrechen. Neben den herkömmlichen Feldern eines Kulturradios wie Lesungen, Hörspiele und Konzertübertragungen wird Alltags- und Lebenskultur mehr in den Blick genommen, ohne gewohnte Qualitätsmaßstäbe zu verlieren. Nicht zu Lasten von Sparten wie Neue Musik und Jazz, die bei manch anderem Sender als vermeintlich nicht quotenträchtig in Nischen abgedrängt werden. Nach wie vor besitzt Jazz im Figaro-Programm monatlich mehr als 30 eigenständige Termine mit dem weit gefächerten Spektrum dieser faszinierenden, weltoffenen, sich immer wieder erneuernden Musikart. Zudem erscheinen im offener gestalteten Sendeablauf häufiger Jazztitel als verbindende Musik in anderen Programmsegmenten. Zu den regelmäßigen Sendeplätzen gehört wochentäglich
zur besten Sendezeit im Vorabendprogramm „Jazz populär“
mit Mainstream und eingängigen Jazztiteln, gewissermaßen als
Schnupperkurs für potentielle Jazzinteressenten. „Klangaspekte“
stellt freitags vor Mitternacht zeitgenössischen Jazz mit seinen
vielschichtigen Strömungen vor. In „Jazz-Zeit“ sind samstags
vor Mitternacht vorwiegend Neuveröffentlichungen zu hören. Sonntags
vor Mitternacht wechseln sich „Jazz In Concert“ und „Jazz
Classics“ mit bedeutenden Tondokumenten der Jazzgeschichte ab. Das
„Jazz Journal“ ist monatlich an jedem ersten Freitag im Vorabendprogramm
prall gefüllt mit Neuigkeiten aus der nahen und fernen Welt des Jazz:
Ehrungen, Künstlerjubiläen, Projekten, CD-Tipps, Vorstellen
eines Jazzclubs oder Veranstalters aus der Region, Veranstaltungshinweisen
und Vorschauen auf bevorstehende Sendungen. Zu wünschen bleibt, Jazzsendungen
in konsequenterer Weise in der Playlist der Internet-Seite wiederfinden
zu können. Ihm zur Seite steht mit dem 1948 geborenen Bert Noglik einer der profundesten
deutschen Jazzpublizisten. Der studierte und promovierte Kulturwissenschaftler
arbeitet freiberuflich für verschiedene Printmedien sowie eine Reihe
von ARD-Rundfunkanstalten. Er ist ein für Symposien und Wettbewerbe
auch international gefragter Experte für zeitgenössischen Jazz
und improvisierte Musik. Anerkannte Buchpublikationen sind „Jazz
im Gespräch“, „Jazzwerkstatt International“ und
„Klangspuren – Wege improvisierter Musik“. Als künstlerischer
Leiter der Leipziger Jazztage erarbeitete er erfolgreiche musikalisch-szenische
Projekte („Survival Songs“, „Jazz Japan“, „Bach
Now“). Sein Markenzeichen sind erhellende Interviews, lebendige
Musikerporträts, analytische Betrachtungen mit auf den Punkt gebrachten
Formulierungen und als Moderator ein markanter Sprachgestus. Bert Noglik
ist seit 1992 freier Mitarbeiter von MDR Kultur beziehungsweise MDR Figaro. Harry Nicolai begann seine künstlerische Laufbahn 1961 als Pianist – sein Nachfolger war Joachim Kühn – im Quintett des Trompeters Werner Pfüller. Es folgten eigene Formationen, LP-, Funk- und Fernsehproduktionen und ab 1973 die Tätigkeit als Produzent beim Funkhaus Leipzig. In dieser Zeit konnte er für die zuletzt vom Pianisten Eberhard Weise geführte Radio Big Band Leipzig (u.a. Henry Walther, Werner Schmidt, Julian Januschew) renommierte Gastsolisten gewinnen (Georg Gruntz, Hans Koller, Jiggs Wigham, Peter Herbolzheimer, Franco Ambrosetti, Ack van Rooyen, Ferenc Snetberger…), die seine Kompetenz zu schätzen wussten. Gelegentlich war er als Pianist, Vibraphonist und Komponist beteiligt. Seit 1992 leitete Harrry Nicolai die von ihm selbst aufgebaute Jazzredaktion.
Gern erwähnt er, wie hilfreich bei der Umsetzung seiner Ideen die
grundsätzliche Unterstützung durch Programmchef Detlef Rentsch
und Musikchef Steffen Lieberwirth war. Nicht nur möglichst viel Jazz
senden war das Ziel, sondern in So wurde das von der Moritzbastei Leipzig und dem jazzclub leipzig ins Leben gerufene bundesweite Jazznachwuchsfestival begleitet, ein in einmaliger Weise von Enthusiasmus getragenes jährliches Treffen der künftigen deutschen Jazzelite (Konzertübertragung, CD der Preisträger). Das vom Deutschen Musikrat betreute Bundesjazzorchester unter Leitung von Peter Herbolzheimer wurde bekannt gemacht, dessen Probenarbeit unterstützt und Kontakte zu den Jugendjazzorchestern und Schüler-Big-Bands der drei Bundesländer hergestellt. Die junge LeipzigBigBand unter Frank Nowicky sowie David Timm (Kontraste, LeipzigBigBand mit Allen Vizzutti – live in concert, Bach Big Visions) und das Jazzduo David Timm & Reiko Brockelt (Johann Sebastian Bach – Visions) erhielten die Gelegenheit zu CD-Produktionen. Konzertübertragungen aus dem Sendegebiet wie von den Leipziger Jazztagen, einem der wichtigen deutschen Festivals des zeitgenössischen Jazz von internationalem Rang, zeugen deutschlandweit von der Attraktivität der Region. Der bald siebzigjährige Harry Nicolai ist mittlerweile im (Un-)Ruhestand. Der Jazzredaktion steht er als freier Mitarbeiter noch zur Verfügung, und als Musiker hofft er nach früheren Begegnungen mit Rolf Kühn, J.F. Jenny-Clark, Wolfgang Schlüter, Slide Hampton und Larry Coryell auf neue spannende Erlebnisse. Übrigens, auch Triangel jazzt. Nicht das Musikinstrument, sondern „Das Radio zum Lesen“ – das Magazin, das mehr ist als eine ausführliche monatliche Programmvorschau für MDR Figaro. In dieser Maßstäbe setzenden Publikation spüren namhafte Autoren mit sorgfältig recherchierten Beiträgen auf niveauvolle Weise Spannendes, noch Unentdecktes oder beinah Vergessenes aus allen Bereichen der Kultur und des gesellschaftlichen Lebens auf. Und auch der Jazz kommt zu Wort. Nicht verschwiegen werden soll an dieser Stelle die Gefahr, dass trotz großer öffentlicher Akzeptanz der Fortbestand eigenständiger Kultursender in der ARD in Frage gestellt werden könnte. Zu befürchten ist, einige Kulturwellen könnten im Taumel von Spardebatten dem bundesweiten Sender Deutschlandradio Kultur zum Opfer fallen. Eine verheerende Perspektive. Kann doch ein zentralistisch orientiertes Programm nicht den Bedürfnissen einer Region gerecht werden, die von ihrer hörbar vermittelten Bedeutung als Kulturlandschaft lebt, zumal zuzeiten nicht gefestigter Identität der Bevölkerung in zunehmend schwierigerer ökonomischer Lage. „Jazz wird weiter leben!“, war sich der jüngst leider verstorbene Nestor des deutschen Jazz Albert Mangelsdorff ganz sicher. „Er hat heutzutage so viele verschiedene Facetten, immer wieder gibt es eigene Entwicklungen und neue Persönlichkeiten. Das Interesse am Jazz wächst!“ In diesem Sinne hofft die Jazzgemeinde in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und anderswo, es möge auch in Zukunft heißen: Figaro jazzt! Steffen Pohle |
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