Joachim Kühn eröffnet mit seiner neuen Solo-CD „Allegro
Vivace“ (ACT 9750-2) die Reihe „Piano Works“ auf dem
Münchner Label ACT. Für die Jazzzeitung sprach Dirk Meissner
mit dem Pianisten in seiner Hamburger Wohnung.
Jazzzeitung: An der Türklingel steht Joachim Kühn,
aber eigentlich dachte ich, du lebst in Paris?
Joachim Kühn: Nein, also ich lebe auf Ibiza. In
Hamburg war ich 1981 bis 1984, dann war ich auch 13 Jahre in Paris, aber
jetzt wohne ich auf Ibiza. Im Übrigen steht keine zehn Minuten von
meiner Wohnung so ein riesiger Bösendörfer Imperial, also, für
alles ist gesorgt.
Jazzzeitung: Auf deiner CD spielst du Werke von Bach
und Ornette Coleman, wie entsteht denn so eine Stückauswahl?
Kühn: Die CD wurde in Frankreich aufgenommen und
eigentlich war das gar nicht als CD gedacht. Ich hatte da die Möglichkeit,
auf einem sehr guten Instrument an einem Tag ein paar Aufnahmen zu machen.
Dann hab ich gesagt, gut, wir nehmen die Lieblingsstücke auf, die
ich gerade so habe, das waren 39 Stück, und dann nehm’ ich
die Aufnahmen nach Hause mit und hör mir mal an, was damit so ist.
Jazzzeitung: Alles nur einmal aufgenommen, 39 Stücke
an einem Tag?
Kühn: Genau. Dann gefielen mir eine Reihe von Stücken
sehr gut und dabei kam so ein Konzept für eine Platte zum Vorschein
und ich habe jetzt elf Stücke, die eine Art Chronologie bilden. Die
reicht von Couperin über Bach und Mozart, dann Coltrane und Coleman
bis zu mir selbst.
Jazzzeitung: Wie kommst Du denn auf Couperin aus dem
17. Jahrhundert?
Kühn: Da ich in Leipzig aufgewachsen bin, habe ich
natürlich eine große Nähe zu Bach. Irgendwann tauchte
für mich auch die Frage auf: Gab es eigentlich vor Bach schon Jazzmusiker?
Und da habe ich auch einige gefunden, deren Themen hervorragend in einen
Jazzzusammenhang passen. Auch hatte ich vor Jahren mal Aufnahmen mit dem
Thomaner Chor in Leipzig gemacht und dann direkt im Anschluss mit Ornette
Coleman gespielt. Weiter auseinander können Musikstile ja kaum sein,
aber für mich war es eigentlich fast das gleiche…
Jazzzeitung: …nun, aber gerade die Gralshüter
der Klassischen Musik zucken da sicher zusammen. Du fängst mit den
klassischen Themen an, und ohne dass ich da einen Übergang hören
kann, stehst du in einer ausgewachsenen zeitgenössischen Improvisation.
Kühn: Das freut mich, dass du die Übergänge
nicht hören kannst. Mir ist dieses Bebop-Ding, also erst mal ein
Thema spielen und dann kommt ein Solo und dann wieder das Thema, das ist
mir schon lange zuwider. Ich versuche immer Musik zu machen und klar gibt
es Entwicklungen und irgendwo muss so ein Solo auch hingehen, aber eigentlich
geht es bei der Improvisation immer um Freiheit. Und das Ganze zusammen
muss doch die Musik ergeben, nicht die einzelnen Teile. Auch ist es natürlich
so, dass ich mit Klassik und Jazz aufgewachsen bin, ich geb’ auch
klassische Konzerte, ich spiele Jazzkonzerte und ich spiele auch mit Musikern
aus aller Welt: Ich kann da einfach nicht so große Unterschiede
sehen. Ich mache auch keine Unterschiede zwischen Arbeit und Freizeit,
das kann man doch nicht einfach so trennen.
Jazzzeitung: Aber andere machen einen Unterschied,
so ist für die GEMA die Hälfte deiner CD „Unterhaltungsmusik“
und die andere Hälfte „Ernste Musik“.
Kühn: Mann, was für ein Blödsinn, ich
musste die ganze CD als U-Musik anmelden, weil ich da in jedem Stück
improvisiere. Damit es E-Musik ist, hätte ich jedes Solo aufschreiben
müssen! Das kann man zwar machen, aber das ist mir zu doof, da meine
Soli rauszuhören. Oder irgendwas aufzuschreiben.
Jazzzeitung: Ist das andererseits dann noch Jazz? Ich
kenne jedenfalls keine Jazzplatte die „Allegro Vivace“ heißt.
Oder hast du noch eine Ahnung, was Jazz eigentlich ist?
Kühn: Nein. Weißt du, früher war das
alles einfacher, da haben alle gespannt auf die neue CD von Coltrane oder
Miles gewartet und das war dann ein richtiger Fortschritt. Da konnten
sich noch alle auf irgendwas einigen. Dann kam der Free Jazz und die Sachen
waren nicht mehr so klar und auch sind dann viele Fans leider abgesprungen.
Jazz war schon immer eine Fusion aus verschiedenen Stilen und jetzt ist
das einfach zu unübersichtlich. Und wirkliche Innovation wird immer
mehr nur im Untergrund passieren.
Jazzzeitung: Auffallend ist auch, dass du keine Klavierwerke
aufgenommen hast. Die Stücke von Mozart und Bach sind eigentlich
für Klarinette oder Violine.
Kühn: Die guten Klavierstücke sind doch einfach
schon viel zu oft aufgenommen worden, da brauch ich nicht nochmal was
dazustellen. Die Stücke auf der CD mag ich einfach und da ist doch
egal, für welches Instrument die geschrieben wurden.
Jazzzeitung: Übst du eigentlich noch regelmäßig Klavier?
Kühn: Ich spiele sehr viel und ich übe Musik und setze mich
immer wieder mit neuen Sachen auseinander, aber so mit Tonleitern und
so, das schon lange nicht mehr. Auch bin ich etwa von Akkorden und Skalen
weggekommen, ich interessiere mich mehr für Klänge und Melodien.
Wenn schon Akkorde, dann Übermäßige oder Verminderte.
Dirk Meissner |