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Ein toller Deal: im Programmheft des Jazzbaltica-Festivals war der Gitarrist Domenic Miller für den Samstag angekündigt. Just an dem Tag aber brauchte ihn sein sonstiger Arbeitgeber Sting für den „Live 8“-Auftritt im Hyde Park dringend. Na gut, dachte sich Miller, dann erfülle ich eben erst am Sonntag meine Verpflichtung in Salzau und bringe als kleine Wiedergutmachung meinen Boss mit. Der flog dann tatsächlich kurz mit dem Privatjet aus London ein, tauchte um Mitternacht plötzlich aus dem Bühnennebel auf und riss das Publikum mit seinem Charme und seiner Natürlichkeit hin. Dann verschwand er so schnell wie er gekommen war, und noch während Domenic Miller seinen manchmal nah am Kitsch gebauten Set zuende brachte, düste der Herr Sting schon wieder Richtung Insel. Das Jazzbaltica Festival, das im Ländlichen bei Kiel abgehalten wird und jetzt seine 15. Ausgabe feiern durfte, war nicht nur wegen dieses Überraschungsauftritts erfreulich. Es gibt wohl kaum ein größeres Sommerfestival in unserer Republik, auf dem es so familiär und ungezwungen zugeht. Sieht man mal vom gar schauerlichen Regenguss ab, der kurz vor Festival-Beginn auf Salzau niederging, trug auch das Wetter über drei Tage zur Gesamtstimmung bei. Manch einer machte es sich mit Wolldecke und Picknickkorb auf der Wiese vor dem Schloss Salzau bequem und genoss das eine oder andere Amateur-Ensemble, das sich auf der Open Air-Bühne abmühte. Die anderen Besucher pendelten auf dem herrlichen Areal immer schön zwischen den beiden Konzertscheunen hin und her, die die Witterung in eine Sauna verwandelt hatte. Ein Großteil derer, die bei den Hauptkonzerten im Dauereinsatz schwitzten, zeigten nachts sogar noch genug Kondition, um zu den Jam-Sessions im Schloss zu gehen, die oft bis sieben Uhr morgens andauerten. Musikalisch ging es beim Jazzbaltica lange ziemlich gesittet zu. Zumindest der Kritiker der Jazzzeitung hätte sich zwischen all den munter swingenden, relaxed dahinschnurrenden Acts der ersten Tage mal einen musikalischen Aufreger gewünscht oder zu mindest ein paar stilistische Brüche, einen radikalen Klangfarbenwechsel. Aber da musste er bis zum Sonntag warten, als etwa das perfektionistische Hamburger Percussion-Ensemble „Elbtonal“ mit dem Gast Christopher Dell Hochkomplexes auf sehr luftige Art klöppelte. Apropos Percussion: „On Drums“ war das Programm des Festivals überschrieben. Hinter Becken und Trommeln saß etwa Wolfgang Haffner, der diesmal als Leiter des Jazzbaltica Ensembles (das traditionell aus Musikern aus Ostsee-Anrainerstaaten besteht) und als Kopf der Gruppe „Zooming“ Spannendes zwischen Fusion, Jazz und NuJazz zu bieten hatte. Der älteste Drummer des Festivals hat 80 Lenze hinter sich, bewegt sich wie ein 40-Jähriger und spielt wie ein 20-jähriges Energiebündel mit der Weisheit eines 100-Jährigen. Gut, abgesehen vom eigenen Spiel, war das, was in seiner Gruppe „Fountain of Youth“ abging, nicht so prickelnd, dafür war Haynes’ Duo mit dem Pianisten Chick Corea dann spannender. Zwei Drummer waren in Salzau zu „Artists in Residence“ ernannt worden: Jack DeJohnette und Brian Blade. Während DeJohnette fragwürdige Projekte mit andalusischen Musikern und einer ungarischen Piano Family bot, begeisterte Blade mit seiner Gruppe „Fellowship“, die sich einen ganz eigenen, hymnischen, gospelschwangeren Bandsound erarbeitet hat. Auch im feinsinnigen Duo mit dem Gitarristen Wolfgang Muthspiel riss Blade sein Publikum mit. Sonst in Salzau: ein famoser, von unendlichem Charme und unbändiger Spielfreude geprägter Solo-Auftritt des mittlerweile 87-jährigen Pianisten Hank Jones (13 Zugaben!), eine launige Geburtstagsfete zum 70. des Pianisten Don Friedman, Solides von Saxer Joe Lovano, erfrischend Widerborstiges vom Gitarristen Jim Hall oder vom polnischen Trompeter Tomasz Stanko, Tiefgründiges vom Tenoristen Heinz Sauer, der die fantastische Gruppe (em) verstärkte. Text/Foto: Ssirus W. Pakzad |
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