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Jazzzeitung
2005/10 ::: seite 16
rezensionen
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Mervyn Cooke and David Horn
(Ed.): The Cambridge Companion to Jazz, Cambridge University
Press, United Kingdom, 403 Seiten
19 eigens für dieses Buch verfasste Aufsätze von zum Teil
unseren Lesern durch Buchbesprechungen bereits bekannten Autoren; bemerkenswert
die Mitwirkung von Darius Brubeck (ältester Sohn Dave Brubecks),
der als Professor of Jazz Studies an der University of Natal in Südafrika
tätig ist. Die behandelten Themen sind weitgespannt, aber leider
wird bei der Lektüre nicht recht klar, für wen dieser Band
eigentlich gedacht ist (oder sollte es für jeden etwas sein?).
Zudem gibt es bei den Betrachtungen über die ersten Jahrzehnte
des Jazz weder neues Material noch neue Gedanken zu bereits Bekanntem.
So wird es erst ab der Mitte des Buches interessant. Darius Brubeck
legt überzeugend dar, dass 1959 eines der wesentlichen Jahre der
Jazzgeschichte war (die Stichworte „Kind of Blue“ und „Giant
Steps“ sind nur zwei einer ganzen Reihe). Stuart Nicholson steuert
eine komprimierte Zusammenfassung zum Thema „Fusions and Crossovers“
bei. David Laing untersucht die Marktsituation des Jazz; hier wäre
ein zusätzliches Kapitel über Jazz und Urheberrecht sehr wichtig
gewesen. Krin Gabbard schließlich behandelt die Rolle des Jazz
in Verbindung mit anderen Kunstformen. Bemerkenswert eine 20-seitige
Literaturliste am Ende des Buches.
Bruno Nettl with Melinda
Russell (Ed.): In the course of performance/Studies in the world of musical
improvisation, The University of Chicago Press, 413 Seiten
Der Jazz ist nur eine von vielen Musikarten, in denen improvisiert
wird. Aber vor allem durch ihn wurde im 20. Jahrhundert das Bewusstsein
für Bedeutung und Möglichkeiten der Improvisation geschärft,
und er hat neue komplexe Formen entwickelt, die langsam auch die internationale
Musikwissenschaft beschäftigen. Da ist es verwunderlich, dass von
den 15 Aufsätzen des vorliegenden Sammelbands, verfasst von Autoren
aus verschiedenen Ländern, nur drei dem Jazz gewidmet sind. Der
Essay von Lawrence Gushee über Louis Armstrong gehört allerdings
zu den besten. Andere Arbeiten beschäftigen sich mit javanischer,
indischer, chinesischer, arabischer und lateinamerikanischer Musik,
aber auch mit den Preludes von Clara Schumann, die aus Improvisationen
am Klavier entstanden. Unverständlicherweise fehlt Schwarz-afrika
völlig. Gerhard Kubik und Alfons M. Dauer hätten zu diesem
Thema bestimmt eine Menge zu sagen gehabt. Für die Beurteilung
der einzelnen Beiträge wäre es auch sehr nützlich gewesen,
genauer zu wissen, über welche Erfahrungen im Improvisieren die
einzelnen Autoren verfügen. Die Kurzbios am Ende des Buches geben
hierüber leider fast keine Auskunft. Trotzdem ist dies eine wichtige
Veröffentlichung, die bald ins Deutsche übersetzt werden sollte.
William Knoedelseder:
Stiffed. A true story of MCA, the music business and the mafia,
HarperPerennial, New York, 480 Seiten
Ein Buch, in dem von Musik überhaupt nicht und von Musikern nur
selten die Rede ist. Und doch geht es um sie, besser gesagt, um Geschäfte
mit ihrer Kunst, wobei im Mittelpunkt die Plattenfirma MCA in den 80er-Jahren
steht, damals die kleinste der „Big Six“ hinter CBS, Warner
Communications, RCA, Capitol-EMI und Polygram. Der Anfang sieht aus
wie das Personenverzeichnis eines Kriminalromans. Da werden aufgelistet
„The Music Men“ (im wesentlichen Führungspersonal von
MCA), „The Middle Men“ (Händler und Werbeleute), „The
Mobsters“ (Mafiosi) und „The G-Men“ (Ermittlungsbeamte).
Und wie ein Krimi liest sich das Ganze, spannend und flüssig erzählt,
obendrein überaus sachlich, was die Glaubwürdigkeit sehr erhöht.
Die Handlung ist vielschichtig. Da gab es beispielsweise Schiebereien
mit „cutouts“ (nicht verkaufte Platten, wobei sehr große
Mengen und entsprechend auch sehr viel Geld im Spiel war). Da wurden
Platten illegal vervielfältigt und vertrieben („counterfeits“).
Da wurde Rundfunkmitarbeitern Geld (oder anderes) gegeben, um bestimmte
Musikstücke immer wieder zu senden und bestimmte andere nicht,
und ebenso auch Ladenbesitzern, um überhöhte Verkaufszahlen
weiterzumelden, was die Hitlisten zugunsten bestimmter Titel beeinflussen
sollte („payola“). Und im Gefolge all dieser Aktionen wurden
massenhaft Steuern hinterzogen. Es ist lustig, zu lesen, wie dabei Betrüger
andere Betrüger hereinlegten; weniger lustig ist freilich, dass
immer wieder Künstler um ihnen zustehende Tantiemen betrogen wurden.
Und schließlich wurden auch noch die Ermittlungen oftmals behindert…
Wie gesagt: ein Krimi. Und zwar ein echter.
Doug Ramsey: Take Five. The public and private lives of Paul Desmond,
Parkside Publications Seattle, 371 Seiten mit zahlreichen Abbildungen
und sechs Solo-Transkriptionen
Paul Desmond war einer der großen Melodiker des Jazz und blieb
dies auch (wie etwa Gerry Mulligan, Stan Getz und Lee Konitz) in einer
Zeit, in der von Jazzmusikern ganz anderes erwartet wurde. Er war witzig
bis zum Sarkasmus (darin Dick Wellstood sehr ähnlich) und zugleich
scheu, fantasievoll, manchen ein Rätsel, eine komplexe Persönlichkeit,
hochsensibel, oft einsam, sein Altsaxophonspiel aber klang immer klar,
logisch, einprägsam. Er mochte Charlie Parker, aber er brauchte
ihn nicht als Vorbild (wie Lee Konitz). Als seine Ideale nannte er einmal
„beauty, simplicity, originality, discrimination and sincerety“
(S. 108). Er liebte Filme und Wortspiele (eine Vorstufe zu seiner ausgeprägten
Vorliebe für Zitate in seinen Improvisationen?) und schrieb gerne
Briefe, von denen dieses Buch eine ganze Reihe enthält, und Denkschriften
für sich selbst (ungewöhnlich im Jazz). Er plante auch ein
Buch mit dem wunderbaren Titel „How many of you are there in the
quartet?…“, das aber leider nie zustande kam. Er wurde als
Paul Emil Breitenfeld am 25. November 1924 in San Francisco geboren.
Sein Vater war Organist, Arrangeur und Komponist, dessen Vater Arzt
(kam Ende des 19. Jahrhunderts aus Deutschland oder Österreich
nach New York). Seinen Namen änderte er später in Desmond;
ein eindeutiger Grund hierfür ist nicht mehr zu ermitteln. Mit
16 Jahren (1940) wurde er Profi. Bereits während seiner Militärzeit
lernte er 1944 Dave Brubeck kennen. Von 1951 bis 1967 spielten sie im
Dave Brubeck Quartet zusammen. Erfolge stellten sich schon bald ein,
aber erst sein Thema ,,Take Five“ im 5/4-Takt (1959) machten ihn
und die Gruppe weltbekannt. Danach wurden Jim Hall und der kanadische
Gitarrist Ed Bickert für ihn neue Partner. Er starb mit 52 Jahren
an Krebs (Raucher!) am 30. Mai 1977. Seinen Flügel bekam Bradley
Cunningham für seinen Club „Bradle’s“ in New
York, sein Altsaxophon Michael Brubeck. Einen Teil seines Geldes einschließlich
späterer Tantiemen vermachte er dem Roten Kreuz.
Der Autor, der Paul Desmond gut kannte, erzählt das Leben dieses
großen Einzelgängers des Jazz anschaulich, detailliert und
einfühlsam. Dazu viele Fotos, auf Kunstdruckpapier hervorragend
reproduziert.
Joe Viera |