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Das Leben hält mich momentan in einer Daseinsphase fest, die in Filmen oftmals als die beste des gesamten Lebens dargestellt wird, es aber, und da werden mir meine Generationsgenossen zustimmen, zeitweise überhaupt nicht ist: Das Leben als Twentysomething, frei von Verpflichtungen wie Frau, Kind oder Job, und doch immer belastet mit den Erwartungshaltungen der Gesellschaft, Themen betreffend wie etwa Frau, Kind oder Job, ist die wunderschönste höllische Phase, die man sich vorstellen kann. Die vermeintliche Freiheit wird zeitweise zur tatsächlichen Losigkeit, und ich wünschte, dieses Wort gäbe es wirklich. Einen nicht unerheblichen Anteil an dieser Situation hat das Gehirn, das sich, besonders bei Studenten, zeitweise eine Machtposition im Körper ausbedingt, die es nicht lange innehaben sollte. In totalitärer Manier versucht es dann, dem Rest der weltlichen Hülle vorzuschreiben, wie sich diese verhalten soll, was dann wiederum zu Migräne, psychosomatischen Magenschleimhautenszündungen und bei einigen Probanden zu zeitweisem sexuellen Versagen führen kann (man hört da so einiges…). Dieser Übermacht des Gehirns versuchen wir Menschen dann gerne mit entgrenzenden Verhaltensweisen wie z.B. dem Konsum von Alkohol und Drogen entgegen zu wirken, was zumeist nur übergangsweise funktioniert, oder wir versuchen es mit den schönen Künsten, die quasi wie „probiotische Neuroleptika“ wirken. Bei mir schafft es der Funk, dass meine Beine mein Gehirn besiegen. Reggae verhilft den Hüften aufs Siegertreppchen. Eine gute Rock- oder Popballade (heißer Tipp ist derzeit „Sometimes You Can’t Make It On Your Own“ von U2, oder auch „Consequence“ von den Weilheimern The Notwist), alternativ eine extraordinäre Lasagne, geben meinem Bauch ein Gefühl von Übermacht. Verliebe ich mich, gewinnt das Herz und damit das bessere Gehirn die Oberhand und befiehlt dem Bauch, dem Ohr zu befehlen, wiederum nach schönen Rockballaden Ausschau zu halten. Der Jazz fehlt in dieser Aufzählung. Ist er damit unnützes Geplänkel? Oder ist die Frage vielleicht einfach hinfällig? „Frag nicht, was der Jazz für Dich tun kann, frag, was Du für den Jazz tun kannst!“ Vielleicht ist der Jazz hier der Retter der Musik in ihrer reinsten Form, nicht als funktionalisiertes Konsumgut, das einem nicht Antworten gibt, einen aus den Untiefen des Lebens scheinbar herausholt, sondern als Kulturtechnik, die erst dadurch, dass man sich mit ihr beschäftigt, zur Kunst wird. Jazz fordert uns, lässt kein Selbstmitleid zu, sondern gibt dem Hörer oder auch dem aktiven Musiker die Möglichkeit, seine eigenen Empfindungen nicht nur in denen anderer gespiegelt zu sehen, wie es zum Beispiel in der Popmusik geschieht, sondern sie einfach auszusenden und dadurch zu lernen, mit ihnen umzugehen. Jazz funktioniert nicht als „probiotisches Neuroleptikum“, er schafft es nicht, das Gehirn auszuschalten oder ein anderes Organ zu stärken. Im Jazz bleibt das Gehirn der Geschäftsführer des Körpers, aber der Jazz kann durch eine eingehende internistische Gruppentherapie das Gehirn besser in den Organismus integrieren. Er vermag es nicht, Gefühle einfach zu erzeugen, aber hilft, die eigenen Gefühle irgendwie besser zu verstehen. Jazz ist nicht oberflächliche Romantik, sondern tiefe Leidenschaft
und Überzeugung. Über Rockmusik kann man sich selten wirklich
streiten, über Jazz jedoch in einer Art und Weise, dass einem manchmal
körperliche Gewalt als die einzige Lösung erscheint. Besonders
schön zu beobachten ist das auch bei der „Scheibenjury“,
die am 10. Mai wieder im Regensburger Leeren Beutel tagt, das sei an dieser
Stelle mal eingeworfen. Sebastian Klug
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