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Kaum hat sich der Vorhang im Theater am Kurfürstendamm geöffnet, fühlen sich die Zuschauer mitgerissen – vom fetzigen Fourbeat einer Swingband und mehr als einem Dutzend eigenwillig gekleideter junger Leute, die tanzend über die Bühne fegen. Der erste Beifall braust auf und steigert sich nach dem Titelsong „Swinging Berlin“ und dem gleich darauf folgenden Leitmotiv „The Swing is on tonigt“. Dann schält sich eine Kerntruppe eng befreundeter Swingboys und -babies heraus, die sich Anfang der vierziger Jahre allabendlich in „Leos Bar“ am Berliner Kurfürstendamm treffen, um ihrer Leidenschaft, dem Swingtanzen, zu frönen und dem Disziplinierungsdruck von HJ und BDM für ein paar Stunden zu entgehen. Es wird gehottet und geflirtet, man grüßt sich mit „Swing Heil“ und „Heil Hotler“, tauscht heiße Scheiben von Benny Goodman und anderen Swing-Legenden und verspottet dem Regime genehme Ufa-Sterne wie Marika Rökk als „Zahnschmerz im Ohr“.
Hinterm Tresen steht lässig elegant Oscar Leonhardt, Besitzer, Barkeeper und zugleich Beschützer und väterlicher Freund der Swinger-Clique. Ihm war es bisher gelungen, den Schnüfflern der Reichsmusikkammer, der HJ-Streifen und eines ihn besonders hartnäckig observierenden SS-Obersturmbannführers keine Vorwände zur Schließung seiner Bar zu liefern. Das wird sich im Verlauf der Handlung des Musicals „Swinging Berlin – Tanzen verboten“ ändern. Ein jüdisches Mädchen taucht auf und bittet Oscar um Schutz. Sie ist die Schwester seines von den Nazis umgebrachten Lebenspartners. Oscar versteckt sie und stellt sich seinem Intimfeind von der SS, als durch den Verrat eines Mitglieds der Clique herauskommt, dass er mit gefälschten Pässen Fluchthilfe betreibt. Auch seine eigene Flucht nach Schweden hatte er schon vorbereitet, aber er verzichtet zugunsten der Schwester seines Freundes. Keine Frage, dass „Leos Bar“ dicht gemacht wird und die Swings sich ein neues Refugium suchen müssen, falls sie – wie einige der Jungs – nicht ohnehin ihrem inzwischen eingetroffenen Einberufungsbefehl zu folgen haben. Und eine solch ernste Handlung als unterhaltendes Musical? Dass dieser Grenzgang gelingt, und zwar gleichermaßen nach dem Urteil der Kritiker wie dem des Publikums, ist vor allem einem Mann zu verdanken: Helmut Baumann, Jahrgang 1939, in Berlin ein „Local Hero“, hat er doch fünfzehn Jahre lang, bis 1999, mit großem Erfolg als Intendant das „Theater des Westens“ geführt, wo er, der frühere Solotänzer der Hamburger Staatsoper, viele Musicals selbst inszeniert und auch als Darsteller brilliert hat. Nun kehrte er nach Berlin zurück, von Medien und Publikum warmherzig begrüßt, übernahm die Regie von „Swinging Berlin“ und zugleich die Rolle des Oscar Leonhardt. Er singt und tanzt mit der jungen Truppe eben noch wie ein klassischer Crooner, um gleich darauf ernsthafte Gespräche mit seinen jungen Freunden zu führen oder geschickte Wortgefechte mit den Spähern des Regimes auszutragen. Postives LebensgefühlBaumann sollte mit seiner vor der Uraufführung geäußerten Prognose recht behalten: „Die Zuschauer werden sich glänzend unterhalten. Das Stück vermittelt ein positives Lebensgefühl.“ Das liegt nicht nur an seiner Regie, sondern auch an den glänzend aufgelegten jungen Darstellern, die herzerfrischend und – wenn gefordert – herzbewegend aufspielen und nicht zuletzt furios Swing tanzen. Baumann hat das Stück, das als „Swinging St. Pauli“ vor vier Jahren monatelang im Hamburger „Schmidts Tivoli“ vor ausverkauftem Haus lief, „auf Berlin“ umschreiben lassen, denn die Reichshauptstadt war in den dreißiger und vierziger Jahren die Metropole des Jazz und des Swing. Die Handlung ist fiktiv, aber sie hätte sich so abspielen können. „Leos Bar“ gab es tatsächlich, im Mendelsohn-Bau am Lehniner Platz, unweit des heutigen Theaters am Kurfürstendamm, eine der Oasen für Jazz- und Swingfans vor und während des Zweiten Weltkrieges; sie wurde 1943 geschlossen. Und die Musik? Der Swing? Es wurden keine Standards, keiner der altbekannten Hits aus der Swingära kopiert oder adaptiert. Martin Lingnau, musikalischer Leiter am Schmidt Theater und Schmidts Tivoli in Hamburg, komponierte alle zwanzig Songs und Instrumentals des Musicals im Stil der Zeit, ließ sich inspirieren vom Big Band Sound wie auch von den damaligen Schlagern, aber es kam dabei doch eine neue Musik heraus, nicht weniger swingend, doch frisch und unverbraucht. Präsentiert wurde dieser modernisierte Swing von einer kompakten Acht-Mann-Band unter der Leitung des Posaunisten und Arrangeurs Ferdinand von Seebach, die als „Hausband“ in „Leos Bar“ sichtbar über der Bühne platziert bleibt. „Swinging Berlin – Tanzen verboten“ steht bis zum 21. Mai auf dem Spielplan des Theaters am Kurfürstendamm. Helmut Baumann, der Spiritus Rector des Unternehmens, sagte gegenüber dem Berliner „Tagesspiegel“, es sei reiner Zufall, dass das Stück zeitlich mit dem 60. Jahrestag des Kriegsendes zusammen falle. Aber es ist ein dankenswerter Zufall, bietet es doch einen begrüßenswerten Anlass, sich erneut mit einem interessanten Kapitel deutscher Musikgeschichte, der auch hierzulande in den Dreißigern und Vierzigern blühenden Swing-Ära, dem Jazz während des „Dritten Reiches“ und zugleich mit der jugendlichen Subkultur der Swingfans zu beschäftigen. Die Nazis und der SwingTrotz einer ganzen Anzahl ausgezeichneter Untersuchungen zu diesem Themenbereich wird immer wieder die undifferenzierte Behauptung wiederholt, Jazz - und somit auch der Swing – sei von den Nazis verboten worden. So oder ähnlich steht es auch in den Vorankündigungen und den – übrigens durchweg positiven – Kritiken des Musicals einiger Berliner und märkischer Zeitungen – ja selbst im Pressematerial und im Programmheft des Theaters.
Ganz so einfach war es aber nicht. Die Geschichte des Jazz im Deutschland der dreißiger und der ersten Hälfte der vierziger Jahre verlief sehr viel komplizierter. Sie kann hier nur in Stichworten und mit Hinweisen auf die Fachliteratur wiedergegeben werden. Ein besonderes Augenmerk soll dabei – angeregt durch das Berliner/Hamburger Musical – auch auf die Swing-Jugend gerichtet werden. Bereits in den Zwanziger Jahren polemisierten Nationalsozialisten und Rechtsradikale gegen Jazz oder was sie dafür hielten, etwa die Josephine-Baker-Show oder Revuen schwarzer Tänzer und Musiker oder auch die Auftritte erster schwarzer Jazz-Bands wie dem Aufsehen erregenden Gastspiel des Sam Wooding Orchestra im Berliner Admiralspalast im Jahre 1925. „Verjudete Niggerschau und Urwaldklamauk“ waren Verunglimpfungen, die schon die ideologische, sprich: rassistische Richtung späterer Aktionen der Nazis gegen Jazz und Swing sowie generell gegen die gesamte zeitgenössische moderne Musik, Kunst und Literatur vorgaben, die immer gebetsmühlenartig mit Begriffen wie „entartet“, „verjudet“ oder „undeutsch“ beschimpft wurden. Erinnert sei nur an die öffentlichen Bücherverbrennungen von 1933 und die Ausstellungen „Entartete Kunst“ 1937 in München und „Entartete Musik“ 1938 in Düsseldorf. Bezeichnend für den Stellenwert, den die nationalsozialistischen Kulturfunktionäre dem Jazz im Rahmen der gesamten „entarteten“ Musik beimaßen, ist das Plakat und zugleich Titelblatt der Broschüre zur Düsseldorfer Ausstellung. Es zeigt die Karikatur eines Saxophon spielenden schwarzen Jazzmusikers mit Davidsstern am Revers seines Fracks (die Titelseite ist abgedruckt in: „That’s Jazz – Der Sound des 20. Jahrhunderts“, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung des Jazz-Instituts Darmstadt, 1988, S. 382). Die Verbindung zwischen jüdischer und schwarzer Rasse im Jazz als „jüdisch-negroider Musik“ wurde im Laufe der Verschärfung des nationalsozialistischen Rassenkampfes in der Propaganda gegen Jazz und Swing „Ende 1938 verstärkt eingesetzt mit Artikeln, in denen der ‚Nigger-Jazz’ als eine ‚Vermischung von Niggerrhythmus und jüdischem Gefühlsleben’ hingestellt wurde.“ (Horst H. Lange: Jazz in Deutschland, Berlin 1966, S. 103 f) Eine solche, uns heute auch in der Wortwahl völlig absurd vorkommende Injurie ist nur eines von unzähligen Beispielen für die Tiraden der Nazi-Propaganda gegen den Jazz. Diese Sprache aus dem „Wörterbuch des Unmenschen“ findet sich auch in den mannigfachen Versuchen, den Jazz zu verbieten. Ein Vorbote dieser Verbote stammt bereits vom 5. April 1930, als der nationalsozialistische Innen- und Volksbildungsminister von Thüringen, Dr. Wilhelm Frick, einen Erlass „Wider die Negerkultur für deutsches Volkstum“ verfügte, mit dem er die „von der Republik geförderte entartete Kultur, wie sie sich auch in der Jazzmusik, Juden- und Negerkunst äußert…“ verbieten ließ. (Lange, S. 57; Wortlaut bei Martin Lücke: Jazz im Totalitarismus, Münster 2004, S. 246 f) Inwieweit dieses Verbot durchgesetzt wurde, ist der Literatur nicht zu entnehmen. Obwohl in der NS-Presse und von NS-Funktionären nach der Machtübernahme strikte Maßnahmen gegen die „entarteten“ Künste im allgemeinen und den Jazz im besonderen gefordert wurden, „folgte aus der Konsolidierung des NS-Regimes, wie in der wissenschaftlichen Literatur so oft fälschlich dargestellt wurde, kein abruptes und striktes Verbot für den Jazz in Deutschland“. (Lücke, S. 77) So kam es – wahrscheinlich durch besonders eifrige und „linientreue“ Ortsgruppenleiter und kommunale NS-Beamte – unmittelbar nach der Machtübernahme vorerst nur zu lokal begrenzten „Jazzverboten“, etwa in Bamberg und Passau, kleinere Städte, die nicht gerade als Hochburgen des Jazz bekannt waren. Einschneidender war da schon die Auflösung der Jazzklasse des Hoch’schen Konservatoriums in Frankfurt am Main noch in der ersten Jahreshälfte von 1933. (Lücke, S. 77 f). Wichtiger und folgenschwerer war die zentralistische Neuordnung und damit Gleichschaltung des gesamten Kulturlebens, denn – so der neue Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, im Dezember 1934: „Der Nationalsozialismus ist nicht nur das politische und soziale, sondern auch das kulturelle Gewissen der Nation.“ So wurde am 1. November 1933 die Reichskulturkammer (RKK) und als Unterkammer die späterhin sich als berüchtigte Zensur- und Reglementierungsbehörde erweisende Reichsmusikkammer (RMK) gegründet. In ihr sollten alle Musikschaffenden des Reiches zusammengefasst werden. Die eigentliche Aufgabe der RMK war die Säuberung von „artfremden“ Einflüssen und Elementen im deutschen Musikbetrieb. Nur wer Mitglied in der RMK wurde, konnte seinen Beruf als Musiker ausüben. Die Aufnahmebögen enthielten auch die Frage nach der „arischen“ Abstammung. Zudem implizierte ein Paragraph der Durchführungsverordnung des Reichskulturkammergesetzes vom 1. November 1933, dass „Nichtariern“ die geforderte Zuverlässigkeit und Eignung zur Ausübung ihres Künstlerberufs jederzeit versagt werden könne, getreu Goebbels’ Postulat „Judentum und deutsche Musik, das sind Gegensätze, die ihrer Natur nach im schroffsten Widerspruch stehen.“ Gewagtes SpielAnfangs verlief die Eliminierung jüdischer Musiker „planlos und mühsam“, denn nicht alle folgten der Aufforderung zur Registrierung oder gaben ihre Abstammung korrekt an. Auch zog die Fragebogenaktion „komplizierte bürokratische Vorgänge und juristische Erwägungen nach sich, die alle zeitraubend waren“. (Michael H. Kater: „Gewagtes Spiel“, Köln 1995, S. 79 f). Doch spätestens nach Verabschiedung der Nürnberger Rassengesetze von 1935 konnten „Volljuden“ nicht mehr auf eine Arbeitserlaubnis als Musiker durch die RMK rechnen. Da der Anteil der jüdischen unter den deutschen Jazzmusikern überdurchschnittlich hoch war, verursachten diese rassistischen Maßnahmen einen ziemlichen Verlust, gleich dem in anderen Bereichen des deutschen Kulturlebens, von der Tragik manchen Einzelschicksals ganz abgesehen. (Beispiele bei Kater, 1995, S. 79 ff)
Dennoch gelang es einigen Musikern, die nach der nazistischen Definition „Halb-“ oder „Vierteljuden“ waren, noch bis zu dem für die deutschen Juden so verhängnisvollen Jahr 1938 Mitglieder der RMK zu bleiben und mit deutschen Orchestern und Bands aufzutreten. Das war auch Goebbels aufgefallen, der bereits 1936 verkündet hatte, die Reichskulturkammer sei „völlig judenrein“, Anfang 1938 jedoch feststellen musste, dass es in der RMK in dieser Hinsicht „nicht recht vorwärts“ gehe, so dass er weitergehende Maßnahmen zur völligen „Entjudung der Musik“ anordnete, was sich auch nochmals verschärfend auf die Aufführungs- und Aufnahmeverbote von Kompositionen und Texten jüdischer Autoren auswirkte. Davon war vor allem die Jazz- und Tanzmusik amerikanischer und englischer Provenienz betroffen, die sich bei deutschen Orchestern besonderer Beliebtheit erfreute. Das führte zu den oft zitierten Tarnungstricks bei der Eindeutschung englischsprachiger Titel, mit denen Teddy Staufer bereits 1936 einfallsreich begonnen hatte und die nach Kriegsbeginn, als englische und später amerikanische Stücke, weil aus Feindesland, überhaupt nicht mehr aufgeführt werden durften, zur Perfektion gedieh. Aus dem äußerst populären Tiger Rag, auf den keine Band verzichten konnte, wurde der „Schwarze Panther“, aus dem St. Louis Blues „Das Lied vom Blauen Ludwig“, aus dem Woodchopers’ Ball der „Holzhacker-Ball“ et cetera. Auch wurden die Namen englischer und amerikanischer Komponisten und Arrangeure – jüdischer ohnehin – von den Notenblättern abgetrennt oder unkenntlich gemacht. So konnten die Jazz- und Swing-Fans noch bis in die letzten Kriegsjahre hinein mit manchem beliebten Jazz-Standard beglückt werden, denn die Schnüffler der RMK und der HJ-Streifen, die überfallartig in den Etablissements und Bars auftauchten, waren offensichtlich bar jeder Fachkenntnis. Rundfunk und Schallplatte waren seit den Zwanziger Jahren maßgeblich für die Verbreitung des Jazz in Europa. Merkwürdig ist nun, dass die Nationalsozialisten im Hinblick auf die Verfemung des Jazz beide Medien sehr unterschiedlich behandelten. Während Goebbels als Erster erkannt hat, wie ideal sich der Rundfunk als „das allermodernste und allerwichtigste Massenbeeinflussungsinstrument“ anbot und bereits Ende 1933 die Gleichschaltung des Reichsrundfunks abgeschlossen hatte, wurde die deutsche Schallplattenindustrie, die größte in Europa, in ihrer privatwirtschaftlichen Struktur nicht angetastet, „was auch auf eine geringere Akzeptanz als Mittel der Propaganda schließen lässt.“ (Lücke, S. 86, 106). Einmal abgesehen von den Einschränkungen und Verboten aus rassenpolitischen Gründen blieb die deutsche Schallplattenindustrie, die größte in Europa, bis Ende 1937 weitgehend unbehelligt von Eingriffen der RMK in die eigene Jazzplatten-Produktion und die Übernahme ausländischer Jazz-Aufnahmen,. Der Grund lag in den langfristigen Verträgen mit englischen und amerikanischen Partnern, die selbst durch ein totalitäres Regime nicht ohne weiteres aufgekündigt werden konnten, zumal der Devisenhunger des Reiches gewaltig war. So konnten sich die deutschen Jazz- und Swing-Fans bis Ende 1937 in den Fachgeschäften aus einem reichhaltigen Angebot ausländischer Jazzplatten bedienen. Erst dann wurde der freie Verkauf durch eine neue „Anordnung über unerwünschte und schädliche Musik“ beendet. Zusätzlich wurde die für den Rundfunk gebildete Reichsmusikprüfstelle auch für die Schallplattenindustrie zuständig, was zur Überprüfung und Säuberung der Plattenkataloge führte. Die Kontrolle wurde jedoch niemals lückenlos ausgeübt. Immer wieder gelang es den Plattenproduzenten, den Schnüfflern ein Schnippchen zu schlagen, durch ungenaue oder „getürkte“ Angaben analog denen der Orchesterchefs. Auch herrschte eine doppelte Geschäftsmoral insofern vor, als die Plattenfirmen aufgrund ihrer Verträge bis Ende 1944 fleißig weiter englische und amerikanische, für den deutschen Markt verbotene Jazz- und Swingaufnahmen pressten, für den Export in die von der Deutschen Wehrmacht besetzten west- und nordeuropäischen Länder, von wo sie durch swing-begeisterte Soldaten und Offiziere in die Heimat re-importiert wurden. So konnten sich die deutschen Fans auf mehreren Wegen mit den begehrten heißen Scheiben versorgen, so dass der Jazz-Historiker Horst H. Lange zu dem Urteil gelangt, es sei „purer Unsinn und leicht widerlegbar, wenn heute behauptet wird, Deutschland sei damals vom Jazz und Swing völlig abgeschnitten gewesen. Wer sich für diese Musik interessierte, konnte alles bekommen (auf Platten), was er nur wollte...“ (Lange, S. 89; in diesem Buch finden sich auch die ausführlichsten Hinweise auf die während des Nazi-Regimes in Deutschland produzierten Jazzplatten). Selbst im gleichgeschalteten Reichsrundfunk tat man sich anfangs mit der Behandlung des Jazz nicht leicht. Gemäß der Goebbelschen Maxime, es sei das Geheimnis der Propaganda den von ihr zu erfassenden Volksgenossen, „ganz mit den Ideen der Propaganda zu durchtränken, ohne dass er überhaupt merkt, dass er durchtränkt ist“ (nach Lücke, S. 88), sollten die Radioprogramme überwiegend der Unterhaltung und Entspannung der Hörer dienen, wohl um die Hitler- und Goebbels-Reden wohlverpackt in gefällige Musik durch die Ohren in die Hirne der Menschen zu träufeln. Um ein bisschen Jazz kam man in den Programmen mit Tanz- und Unterhaltungsmusik anfangs nicht herum, denn wenn auch die meisten Deutschen Jazz ablehnten oder kaum kannten, so traf das doch nicht für die Großstädte zu, insbesondere für die noch immer von der Weimarer Vergnügungslust geprägte Reichshauptstadt. Jazz-VerbotAber irgendwann reichte es den Programmverantwortlichen dann doch mit dieser Konzession, zumal erste Versuche, einen konformen „deutschen Jazz“ (mit der „Goldenen Sieben“) zu schaffen, sich bald als untauglich erwiesen. So kündigte der Reichsrundfunkintendant Eugen Hadamovsky am 12. Oktober 1935 ein Jazz-Verbot für den deutschen Rundfunk an, zugleich mit der Gründung eines Prüfungsausschusses zur Kontrolle der Tanzmusik in den Programmen, um das deutsche Volk vor der „Unkultur“ des Jazz zu schützen. (Lücke, S. 89 ff) Das Jazzverbot für den Rundfunk blieb das einzige landesweite Verbot der unerwünschten und von der Propaganda immer wieder verleumdeten und bekämpften Musik. Doch selbst dieses Verbot wurde nicht rigoros und stringent durchgesetzt. „Ein reguläres Verbot auf Gesetzesbasis hat es nie gegeben“ (Lange, S. 72). Auch spätere Verbote von einzelnen Gauleitern wie 1939 in Hamburg und in Pommern, in Sachsen noch 1943 (!) waren Erlasse oder gar Abkommen mit Tanzveranstaltern und Gastwirten. Einer der Gründe für diese unsystematische Praxis lag sicher auch darin, dass es an einer eindeutigen Definition des Jazz durch die zuständigen Amtsinhaber und Institutionen mangelte. Selbst Goebbels Definitionsversuche blieben schwammig und wirken seltsam hilflos (so 1941: „Musik mit verzerrten Rhythmen, Musik mit atonaler Melodieführung und Verwendung von so genannten gestopften Hörnern“ (sic!), nach Lücke, S. 96; zuvor war das Saxophon als typisch für den Niggerjazz bekämpft worden, später aber, als man entdeckt hatte, dass es auch in Militärkapellen benutzt wird, wurde ihm eine öffentliche „Ehrenrettung“ zuteil, Lücke, S. 83 ff). Nachdem auch spätere Versuche gescheitert waren, den verfemten „Niggerjazz“ durch eine „deutsche“ Tanzmusik zu ersetzen („Das Deutsche Tanz- und Unterhaltungsorchester“ DTU), stellte einer der Kulturfunktionäre resigniert fest: „Wenn aber eine Einrichtung derart im Volke Wurzel geschlagen hat wie der Jazz, dann ist es nahezu unmöglich, mit Verboten allein Erfolg zu erzielen, wenn man nicht Besseres an die Stelle der Jazzband zu setzen weiß.“ Und 1942, sieben Jahre nach dem Jazzverbot im Radio, wurde in der „Zeitschrift für Musik“ beklagt, dass noch immer „amerikanische“ und „negroide“ Elemente in der deutschen Tanzmusik vorhanden waren – und das unter dem bezeichnenden Titel „Der Jazz ist tot – es lebe die Jazzband!“ (Lücke, S.. 93 f) Kläglich scheiterte auch ein Versuch, den „Negertänzen“ der zwanziger Jahre wie Charleston, Shimmy und Foxtrott und später erst recht dem getanzten Swing, der seit Teddy Stauffers sensationellem Gastspielen im Delphi-Palast während der Olympischen Spiele von 1936 über Berlin hinaus die deutsche Jugend weitgehend erobert hatte, im Rückgriff auf Polka, Rheinländer, Walzer und – als „Zugeständnis“ – den „Marschfoxtrott“ eine „deutsche“ Alternative entgegen zu setzen. (Kater, S. 201 f) Der Swing, wie er dann bis in den Zweiten Weltkrieg hinein von der – zuerst vom Staatsapparat so genannten – „Swing-Jugend“ bevorzugt getanzt wurde, basierte auf dem amerikanischen „Lindy Hop“ der späten zwanziger Jahre. Hauptmerkmal waren die schloddernden Extremitäten und das Fingerschnipsen, während die männlichen Tänzer ihre so lang wie möglich getragenen Haare in wilden Kopfbewegungen hin und her schwangen. Es wurde zwar paarweise, aber zumeist – ganz undeutsch – „auseinander“ getanzt, wie später beim Jitterbug and Rock’n Roll. Junge Menschen, die sich einem solchen „Urwaldgehopse“ ekstatisch hingaben, entsprachen natürlich nicht dem Nazi-Ideal vom jungen wehrhaften Mann „hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder, flink wie Windhunde“ und dem „sauberen Mädel“ mit Zopffrisur im Reigentanz. So blieben Verbote des „Swingtanzens“ nicht aus. Aber sie wurden nicht zentral für das ganze Reich verhängt, sondern auf örtlicher und regionaler Ebene, wenn auch mit ausdrücklicher Billigung der Machthaber in Berlin. Und Mitte 1939 war dann doch ein dichtes Verbotsnetz über große Teile Deutschlands gespannt. Verschärft wurden diese Swingtanz-Verbote nach dem Ausbruch und während des Krieges durch generelle Verbote öffentlichen Tanzes, die – je nach Kriegslage – zeitweise gelockert oder aufgehoben und erneut verhängt wurden. Aber getanzt wurde immer weiter, in Bars und Kellern mit Türstehern, die vor den HJ-Streifen, RMK- und Gestapo-Schnüfflern warnten, oder auf privaten Feten, wo man glaubte, unter sich zu sein – was leider nicht immer zutraf. Auch die bewusst als Protest zur durchgehenden Uniformierung und Militarisierung der Gesellschaft von den „Swings“ gewählte Kleidung provozierte die Vertreter des Staates – und oftmals auch den braven Bürger. Obligatorisch war ein weißer Schal, dazu ein schmaler Schlips mit kleinstem Windsorknoten, möglichst ein – stets eingerollter – Regenschirm, lange Haare mit „Klatschkotteletten“, überlange Jacketts oder Mäntel, Hüte mit eingerollter Krempe (Walter Kempowski: „Tadellöser und Wolf“, München 1978, S, 340 ff; Gunter Lust: „The Flat Foot Floogee... – Erlebnisse eines Hamburger Swingheinis“, Hamburg 1992, S. 18 f; Kater, S. 210 u.v.a.) Die „Swing-Babies“, wie die „Swing-Boys“ ihre Mädchen nannten, legten Wert auf figurbetonende Blusen und Kleider sowie kurze Röcke und Seidenstrümpfe, die Lippen wurden geschminkt, die Nägel lackiert. In solch „provozierender“ Aufmachung schlenderten die „Swingheinis“, wie sie erst im Volksmund und dann auch in amtlichen Papieren der Gestapo genannt wurden, „im tänzelnden Schritt oder in einem schiebenden, leicht vorgebeugten Gang“ (Lust, S. 18 ) die Boulevards entlang, bevölkerten die Tanzcafes, vor allem bei Gastspielen prominenter Swingbands, arrangierten halboffizielle oder private Partys, immer lässig und „cool“, würde man heute sagen. „Swing-Cliquen“ existierten nachweislich in mehr als 40 großen und kleineren Städten. Im noch immer weltoffenen und anglophilen Hamburg gab es die größte Zahl an „Swingern“, ein heute gut dokumentiertes Phänomen der jugendlichen Subkultur während des „Dritten Reiches“. (Franz Ritter: „Heinrich Himmler und die Liebe zum Swing“, Leipzig 1994; Kater, S. 200 ff, 283 ff; G. Lust) In Hamburg trafen die „Swings“ auch die brutalsten Unterdrückungsmaßnahmen der Gestapo, die sich mit Beginn und wachsender Dauer des Krieges noch steigerten. Heinrich Himmler persönlich nahm sich aufgrund eines alarmierenden Berichts des Reichsjugendführers Axmann der Verfolgung der Hamburger Swing-Jugend an. In einer Anweisung an den Gestapo-Chef, Reinhard Heydrich forderte er:
Und so geschah es denn auch: Verhaftungen und Verhöre waren an der Tagesordnung, viele junge Leute, zumeist noch minderjährig, wurden für Wochen und Monate im berüchtigten Gestapo-Gefängnis Fuhlsbüttel oder für zwei bis drei Jahre bei härtester Arbeit und mangelhafter Ernährung in Jugendkonzentrationslagern festgehalten – die Jungen im Lager Moringen südlich Hannover, Mädchen im Lager Uckermark in der Nähe des Frauen-KZ Ravensbrück. Renitenz oder Widerstand?Die Frage, ob das „Gewagte Spiel“ (Kater) der Swing-Jugend eher als jugendlich-notorische Renitenz gegen eine ungeliebte – im Falle des Nazi-Regimes allerdings besonders repressive – Obrigkeit einzustufen sei oder nicht doch schon in politischen Widerstand überging, wurde mehrfach diskutiert, erscheint jedoch müßig angesichts der Opfer, die zahlreiche dieser Jugendlichen in Hamburg, Berlin, Frankfurt am Main und anderswo im „Reich“ für ihre Leidenschaft zu Jazz und Swing und eben auch für das Swingtanzen bringen mussten. „Ihre politische Bedeutung rührte ursprünglich daher, dass sie ... ausdrückliche Verbote des Swingtanzes mit unterschiedlichen Risiken für sich selbst ignorierten.“ (Kater, S. 203) Wer wagte es denn schon, sich gegen die gefürchteten HJ-Streifen, die den „Swingern“ auf den Fersen waren, handfest zu wehren, sie manchmal sogar in die Flucht zu schlagen? (Lust, S. 50 f) Natürlich können die „Swinger“ nicht mit Widerstandsgruppen
wie der „Weißen Rose“ verglichen werden. Aber allein
dadurch, dass sie mit ihrer Ablehnung der politischen und paramilitärischen
Disziplinierungsaktionen durch HJ und BDM sowie der allgemeinen Gleichschaltungsmaßnahmen
vom Regime als politisch gefährlich eingeschätzt und entsprechend
bekämpft und unterdrückt wurden, rückt die jugendliche
Swingbewegung in den politischen Raum. Das war zwar zuviel der Hoffnung, aber stellt eine ehrenwertere Einschätzung der deutschen Swing-Jugend dar als die ängstliche und leicht arrogante Kritik der zumeist älteren „Puristen“ in den gleichzeitig entstandenen „Hot-Clubs“, die „Swinger“ hätten durch den Swingtanz der Swingmusik und dem „echten“ Jazz nur geschadet (Lange, S.76, 91, 94 f ; selbst Dietrich Schulz-Köhn äußerte sich in diesem Sinne, nach Lücke, S. 123, Anm. 593). Zumal – wie auch aus ihren dokumentierten Erinnerungen hervorgeht – viele der einstigen Swinger auch kenntnisreiche Sammler von Jazzplatten waren, für deren legale und illegale Verbreitung sie sorgten. Für all die aber, die während des nationalsozialistischen Regimes für und auch vom Jazz lebten, für die Musiker, für die Plattenproduzenten, für die Betreiber von Tanzpalästen und die Barbesitzer, die ihren Gästen unter mancherlei Risiko live Jazz boten, für die vielen Jazzfans und für die risikobereite und unangepasste Swing-Jugend, gilt das Urteil des Musikhistorikers Michael H. Kater: „Der Jazz im Dritten Reich erwies sich als eine unverwüstliche Kunst.“ Dietrich Schlegel buch- und cd-tipps
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