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Jazzzeitung
2005/03 ::: seite 14
portrait
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Stephan-Max Wirth, in Tettnang geboren und aufgewachsen, hat in den
Niederlanden sein Musikstudium gemeistert. Anschließend lebte er
ein paar Jahre lang in Köln – dort spielte er unter anderem
intensiv beim Cologne Jazz Orchestra mit – bis schließlich
1999 Berlin seine Wahlheimat wurde. Der Tenorsaxophonist brachte nun mit
„Illumination“ sein neues Album heraus.
Jazzzeitung: Wird die Musik dadurch, dass ein Instrumentarium
wie Sitar oder Udu auf dem Album eingesetzt wird – und vor allem
der ungewöhnliche Obertongesang – automatisch zu World Jazz?
Stephan-Max Wirth: Meiner Meinung nach ist das nicht der Fall –
es sind natürlich, wenn man in diesen Kategorien denken will, solche
Elemente dabei. Als aber das Saxophon zum ersten Mal im Jazz Einzug gehalten
hat, war das auch neu: davor war es eher ein Marschmusikinstrument. Heute
würde da auch keiner mehr dran denken. Von daher, wenn es jemand
als World Jazz betrachtet – liebend gerne! Wenn es jemand als puren
Jazz sieht – liebend gerne! Da habe ich überhaupt keine Probleme
damit …
Ich gehe da allerdings schon in der Tradition der Jazzmusik heran. Deswegen
handelt es sich aus meiner Sicht – ich meine den Obertongesang –
eher um ein Instrument aus dem World Jazz eingebettet in den Jazz. Gut,
hätte das jemand anders gemacht, der selbst aus der Weltmusik kommt
und hätte meine Musiker und mich dazugeholt, dann wäre es wahrscheinlich
eher Weltmusik mit Jazz. Das ist vermutlich eine Sache der Perspektive.
Jazzzeitung: Alle Mitmusiker deines Ensembles leiten auch eigene
Bands – ist das grundsätzlich positiv für das kreative
Potential so einer Band oder auch oft anstrengend, weil jeder „sein
Ding“ machen will?
Wirth: Es ist nur positiv – von vorne bis hinten! Also, dadurch,
dass die einen eigenen Kopf haben, spielen die natürlich ein bisschen
eigen. Die Herausforderung besteht dann darin, dass man Kompositionen
zur Verfügung stellt, bei denen jeder sich auch austoben darf. Und
meine Konzeption ist die, dass ich im Jazz nix begrenzen will: Ich stehe
überhaupt nicht auf die Art von Musik, wo alles limitiert ist, wo
wir im Prinzip schon wieder in der Popecke rauskommen und trotzdem noch
das Banner „Jazz“ oben drüber hängen.
Jazzzeitung: Wie wichtig sind dir in deiner Musik organische Sounds
im Vergleich zu künstlich erzeugten Klängen? Anders gefragt:
wieviel Elektronik tut gut und wieviel Einsatz von akustisch-selbsterzeugten
Sounds ist notwendig?
Wirth: Also, ich bin als Saxophonist von vornherein natürlich
ein Akustiker. Und ich mag es sehr gerne, dass ich, wenn ich mit der Trompete
zusammenspiele, ein weiteres rein akustisches Instrument dabei habe. Wenn
ich aber, wie auf dieser Platte, mit Fender Rhodes und E-Gitarre arbeite,
finde ich das einfach wunderbar. Es kommt aus den Lautsprechern ja auch
ein akustischer Klang, es ist ja nicht so, dass da nur Elektronik rauskommen
würde! Wenn die sinnvoll eingesetzt ist, dann – absolut klasse!
Was ich für mich nicht haben wollte, sind Dinge, die in einer Art
und Weise vorprogrammiert sind, dass die Musik „eng“ wird:
also beispielsweise ein Drumpattern mit festem Ablauf, der keine Interaktion
mehr möglich macht, das fände ich schade.
Wenn aber, wie bei „Week E,“ der Stefan Weeke in seinem Solo
mit Loops arbeitet kann das in eine freie Bahn übergehen: Er hat
ja auch die Loops eingespielt – die sind fest, aber es macht Sinn!
Wenn etwas Neues von der Band hinzukommt, kann diese Art von „Elektronik“
direkt beeinflusst und das sofort umgemünzt werden, sodass wiederum
Interaktion entstehen kann. Hat man sehr musikalische Leute mit dabei,
wie eben auch gerade der Stefan Weeke, dann kann man sich darauf verlassen,
dass es auch so kommen wird. In dem Fall habe ich überhaupt nichts
dagegen, wenn elektronische Sachen eingesetzt werden. Ich möchte
es nur nicht haben, dass Sachen vorprogrammiert sind, das fände ich
in Anbetracht des Jazz doch ziemlich unangebracht.
Jazzzeitung: Deine Albumtitel und Coverdesigns zeichnen sich
oft durch eine humorige Komponente aus („The Noise of Starlight,“
„Mythos,“ „Fish & Monkey“). Inwieweit sind
Humor und gelegentlich auch Ironie wichtig für die Musik, für
den Umgang mit ihr und vielleicht auch für die Selbstwahrnehmung?
Wirth: Die „Illumination“-CD ist wahrscheinlich nicht
die humorigste – das Vorgängeralbum „Fish & Monkey“
wird es wahrscheinlich eher sein. Und „Mythos“ hatte auch
eine gewisse Ironie mit drin. Ich finde, dass Humor oder Ironie absolut
Bestandteil vom Ganzen sein sollten. Ich halte überhaupt nichts mehr
davon, oder habe noch nie etwas davon gehalten, dass wir Jazzmusiker uns
jetzt, 2004, benehmen sollten, als ob wir 1954 unterwegs wären! Die
Einstellung bei Jazzmusikern ist oftmals die, dass die Leute von sich
denken, sie wären irgendwie an der Spitze der Musikentwicklung. Das
stimmt definitiv nicht! Wer sich mal ein bisschen in andere Musikstilistiken
reingehört hat: bei der Neuen Musik, da sind Sachen dabei, da können
wir Jazzer ganz schön die Ohren anlegen! Und wir sind ja schließlich
auch in der Branche der Unterhaltung zugange.
Was aber nicht heißt, dass keine Ernsthaftigkeit in der Musik enthalten
sein sollte: Die Sachen müssen gut gespielt sein, müssen Inhalt
haben, eine Aussage treffen. Wenn das nicht der Fall ist, dann ist man
sowieso verloren. Aber man kann auch nicht eine Sache mit Aussage auf
die Art und Weise trimmen, dass man beim Cover auf das zurückgreift,
was vor fünfzig Jahren aktuell war. Ich finde, wir sollten da schon
ein wenig mit der Zeit gehen.
Carina Prange
CD-Tipp
Stephan-Max Wirth: Illumination
Bos.Rec. 216-04/Vertrieb: JARO
www.stephanmaxwirth.de
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