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Beinahe jedes Mal, wenn es an das Schreiben dieser Kolumne geht, habe ich ein schlechtes Gewissen, denn meistens sitze ich an meinem Schreibtisch, den Abgabetermin im Nacken, und kein konkretes „jazziges“ Thema ist in Sicht. Es hat sich sozusagen in den letzten Wochen in meinem Leben nichts ergeben, was es wert wäre, in einer Kolumne, die sich um den Jazz dreht, behandelt zu werden. Was nicht heißen soll, dass mein Leben über lange Phasen jazzfrei ist, nein, aber einen großen Anteil des Jazzerdaseins macht – neben dem Musik hören und machen – eine ständige Neuorientierung im Bereich der Musik sowie die eingehende kontinuierliche Beschäftigung mit dem Begriff „Jazz“ an sich aus. Und immer darüber zu schreiben, über was man nun eigentlich schreibt, mutet dem Kolumnisten besonders in Phasen musikalischer Desorientierung paradox an und erzeugt damit das eingangs erwähnte schlechte Gewissen. Denn, ich habe jetzt einfach mal mitgezählt, in diesen zwei kurzen Absätzen wurde, obwohl ich versucht hatte, es zu vermeiden, bereits fünfmal der Begriff „Jazz“ in verschiedenen Abwandlungen verwendet – soeben zum sechsten Mal. Was ist an diesem Begriff dran, dass jeder, der sich mit Musik auch nur ansatzweise beschäftigt, ihn beinahe inflationär gebraucht, ihn zur Aufwertung seichter Lounge-Musik genauso wie als Schimpfwort für zu avantgardistische Instrumentalmusik nutzt? Dient er der Einteilung bestimmter Musik in ein bestimmtes Genre, der Zuordnung zu einer bestimmten kulturellen Herkunft oder gar der Bezeichnung einer bestimmten Herangehensweise an die Musik und das Musizieren? Ein Blick ins Lexikon, stellvertretend für die Volksmeinung, erklärt Jazz als „eine [...] Musik“, sprich einen Stil, ein Genre, gekennzeichnet durch den eigenen Rhythmus, die harmonischen Besonderheiten in Form der Blue Notes, die Bandbesetzungen und das Element der Improvisation. Macht man sich nun jedoch von jeglichem archaischem Purismus frei – dieser hat in der Musik zumeist sowieso nichts verloren – wird es einem unmöglich gemacht, Jazz weiterhin als eine Musikrichtung zu sehen, denn beinahe jede Band dieser Erde hat sich heute schon einmal einem oder mehrerer dieser genannten musikalischen Merkmale bemächtigt, andererseits ist vieles, was in letzter Zeit auf Jazzlabels erschien, fern jeglicher Improvisation und teilweise fast ohne „echte“ Band aufgenommen. Vor einigen Wochen hatte ich einmal einen Freund von mir, der mit Jazz im klassischen Sinne im Grunde wenig am Hut hat, zu einem Konzert von „Bartmes“ (einem Duo aus Schlagzeuger und Organist, mit Samples zu einem wirklich anregenden Electronic-Jazz-Cocktail zubereitet) in den Regensburger Leeren Beutel mitgenommen, und in der Pause stellte er mir die essentielle Frage: „Was würdest Du denn sagen, was macht denn Jazz aus?“ In einem meiner wenigen wirklich weisen Momente konnte ich es ihm mit den folgenden Worten beantworten: „Jazz ist, wenn die Musiker sich beim Spielen zuhören!“ Egal, was Sie als Leser jetzt dazu sagen, ich bin sehr stolz auf diesen Satz, hilft er doch, den Jazzbegriff aus der Rolle der Genreeinordnung herauszuholen und ihn eher damit zu betrauen, die Herangehensweise bzw. das musikalische Bewusstsein zu beschreiben. Das sei zu allgemein, wird mir nun wahrscheinlich seitens der verschrienen Jazzpolizei vorgeworfen werden, darum ginge es doch gar nicht, das habe doch alles nichts mit Jazz zu tun und und und. Doch, kann ich da nur sagen, denn der Jazzbegriff hat im Grunde weitaus mehr identifikatorischen als musikalischen Wert, ein Jazzer zu sein, bedeutet weniger, jede Veröffentlichung von Coltrane und Miles erkennen und benennen zu können, sondern die Ohren zu spitzen, wenn Musiker es schaffen, sich in ihrer Kunst sensibel und einzigartig auszudrücken. Auch diesmal hat es jedoch offenbar nicht geklappt, das J-Wort weniger als 17-mal zu verwenden, na ja, sei’s drum, ich bin eben irgendwie doch ein Iatzer (andere Schreibweise, trotzdem muss das mitgezählt werden, also: 18-mal J). Und, wenn ich meine stolzgeschwellte Brust einen Moment ungestraft vorzeigen darf, ein besonders weiser. Ich werde jetzt auch mal nachsehen, ob ich mir meinen großartigen Satz von vorhin, den mit dem „zuhören“, schützen lassen kann. Sebastian Klug |
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