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Das Gespräch mit ihm begleitet ein herzliches Lachen, ein Leuchten. Eine der seltenen Stunden, in denen man jemanden trifft, mit dem man gleich Freund sein kann. Ohne Vorstellungen und Vorreden und ohne umständliche Erklärungen. Er kommt und strahlt, ein Star ohne Allüren. Ein Interview, nein, eine Unterhaltung, in der Al von sich selbst erzählt.
Dass sein Album von 2004 nicht zufällig den Titel „Accentuate The Positive“ bekommen hat, war klar. Im Gespräch offenbart er, dass es den Kern seiner Lebensphilosophie zum Ausdruck bringt. Freimütig erzählt Jarreau von seiner Rückenoperation und darüber, wie er sich freut, dass sein Publikum gar nichts von seinen Gesundheitsproblemen mitbekommen hat. Al Jarreau glaubt an die Selbstsuggestion auf dem Weg einer positiven Lebensgestaltung. „Schau dir die Sportler vor dem Start an,“ so eines seiner Beispiele, „sie sprechen oder murmeln etwas zu sich selbst, und sie sehen, in höchster Konzentration, ein Ziel, das sie noch gar nicht erreicht haben.“ Die letzten Alben von Al Jarreau tragen alle Titel, die auf etwas Lebensphilosophisches oder Autobiographisches hinweisen. „Tomorrow Today“ vom Jahr 2000 kommentiert der Ausnahmesänger so: „Du kannst heute mit der Zukunft beginnen.“ Und „All I Got“ von 2002 beinhaltet eben alles, was er bekommen und erfahren hat, was zu ihm gehört. „Ac-cent-tchu-ate The Positive“ könnte eine Formel von Al Jarreau sein, tatsächlich handelt es sich um einen Standard, einen Titel von Harold Arlen und Johnny Mercer, eine der zeitlosen Juwelen aus dem Great American Songbook. Mit „Accentuate The Positive“ nimmt sich Al Jarreau eines Materials an, dass der als „die große Bibliothek“ oder auch als seine „Classroom Songs“ bezeichnet. „Ich möchte diese wunderbaren Songs auf frische Weise interpretieren“, so Al Jarreau, „und ich bin froh, wenn ich sie einem jüngeren Publikum und auch meinen Fans aus der Pop-Musik näher bringen kann.“ Erst wer alles gezeigt, sich wie Al Jarreau als Stimmakrobat und virtuos perkussiv-vokaler Hürdenläufer, als falsettierender Stabhochspringer und punktgenauer Hochgeschwingskeits-Phrasierer bewiesen hat, kommt zu einem Song wie „Lotus“, in dem es heißt „less is more“. Al Jarreau muss nichts mehr beweisen, und er weiß, dass weniger mehr sein kann. Das ist Teil seiner Souveränität. Als er vor sieben Jahren die Plattenfirma wechselte und zu Universal Records ging, versprach er, sich wieder stärker dem Jazz zu widmen. Mit „Accentuate The Positive“, den sehr eigenen Interpretationen von Standards, hat er dieses Versprechen eingelöst. Al Jarreau strotzt nur so vor Dankbarkeit – dafür, dass er diese Songs singen darf und dass er damit auch noch erfolgreich ist. Songs von Hoagy Carmichael, Duke Ellington, Lionel Hampton, Dizzy Gillespie und Bill Evans, auch eine Widmung an die unvergleichliche Betty Carter, „Betty Bebop’s Song“. Virtuose Vokalversionen von „Take Five“, „Spain“ und „Blue Rondo á la Turk” zählen zum Markenzeichen von Al Jarreau. Einem nach Millionen zählenden Publikum ist er vor allem als Pop-, Soul-, Rhythm & Blues-Sänger bekannt geworden. Heute braucht er bloß „aha“ zu sagen, und schon weiß man: das ist Al Jarreau. Seine Ausgestaltung des Titels „Ac-cent-tchu-ate The Positive“ beginnt tatsächlich mit „aha“. „Um dieses kleine Besondere herauszufinden, das die Unverwechselbarkeit ausmacht,“ resümiert Al Jarreau, „benötigt man Zeit. Das ist das Problem: die Plattenindustrie lässt den Künstlern oftmals nicht genug Zeit. Und die schnell Erfolgreichen nehmen sie sich nicht.“ Das sagt einer, dessen erstes Album veröffentlicht wurde, als er bereits fünfunddreißig Jahre alt war. Seine erste Platte aufgenommen hatte er 1965, doch damals wollte sie keiner, erschienen ist sie dann 1980. „Du musst warten können und deine eigene Sache entwickeln,“ und Al Jarreau präzisiert, „nein, sie muss sich von selbst entwickeln.“ Aufgewachsen ist der 1940 in Milwaukee Geborene in einer Pfarrersfamilie, der Vater war Pfarrer, die Mutter Pianistin. Der Gospelchorgesang als Basis. Dann, noch während seiner Schulzeit, gründete Al Jarreau ein Quartett im Stil von „Lambert, Hendricks & Ross“. Während seines Psychologie-Studiums tingelte er mit einer eigenen Band. In den Jahren 1964 bis 1968 tummelte er sich nachts in der Clubszene. Mit der Entscheidung, Profi-Musiker zu werden, fiel die Wahl auf Los Angeles als Wohnsitz. Al Jarreau sang in Clubs, erwies sich als der geborene Live-Artist, entfaltete seine unnachahmliche Gesangs-Äquilibristik, imitierte und verschränkte die Stimmen eines ganzen Orchesters, assimilierte Afrikanisches und Brasilianisches, scattete durch die Oktaven und wusste mit seinem Charisma das Publikum zu faszinieren. Doch erst 1971 entdeckten ihn zwei Talent-Scouts einer großen Plattenfirma im „Troubadour“ in „Hollywood“. Er bekam umgehend einen Vertrag – für eine Laufzeit von mehr als 20 Jahren. Erst 1975 erschien das erste Album „We Got By“. Als wirklich erfolgreich erwies sich Al Jarreau allerdings zunächst in Europa, beginnend mit einem Engagement in Hamburgs „Onkel Pö“. Al Jarreaus virtuose Jazz-Ästhetik wurde auf dem alten Kontinent eher anerkannt als in den USA, wo er dann mit Pop- und Rhythm & Blues-orientierten Titeln an die Spitze der Charts kletterte. Da der Name „The Voice“ bereits an Frank Sinatra vergeben war, nannte man Al Jarreau „The Voice of Versatility“. Als einzigem Sänger gelang es ihm, den „Grammy“ in drei verschiedenen Kategorien mit nach Hause zu tragen: Jazz, Pop und Rhythm & Blues. Dass er das Album „Tenderness“ von 1994 als eines mit seinen „Lieblingsmusikern“ bezeichnet, spricht Bände. Dabei waren Jazzmusiker wie Michael Brecker, David Sanborn, Joe Sample, Steve Gadd und Marcus Miller. Jazz hat für Al Jarrau immer eine große Rolle gespielt, auch dann, wenn er Pop-Titel gesungen hat. Er, der Ad-hoc-Vokalist und Scat-Improvisator par excellence bekennt: „Bei der Improvisation geht es nicht immer und nicht ausschließlich darum, dass man mit einem Solo dran ist. Improvisation bedeutet spielerischen, kreativen Umgang mit dem Material und auch Modulation innerhalb der Phrasen.“ „Tomorrow Today“ und „All I Got“ waren jazz-infiltriert, mit “Accentuate The Positive bekennt sich All Jarreau offen zum Jazz und damit auch zu seinen Anfängen. Er wolle sich etwas von der Freude eines Kindes bewahren, sagt er, und wörtlich: „Das jetzt ist meine zweite Karriere“. Die positive Lebenseinstellung von Al Jarreau lässt sich nicht auf das simple „think positive!“ reduzieren, aber sie schließt formelhafte Vorsätze ein. „Ähnlich wie ein Gebet und mehrfach am Tag,“ verrät er, „und es beginnt mit der Dankbarkeit, morgens, beim Aufwachen, dass ich sehen, hören, fühlen kann.“ Und bezogen auf seine musikalischen Aktivitäten: „Ich bin davon überzeugt, dass die Musik, dass das Musizieren dazu beiträgt, den Körper, den Intellekt, den Spirit zu erneuern.“ Bert Noglik Radio-Tipp MDR Figaro, 12. März 2005, 23.00 Uhr: Al Jarreau |
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