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So genannte Crossover-Kunst spielt in den Festivalprogrammen mitlerweile eine große Rolle. Eine unmissverständliche Ermunterung für all jene Musiker, die traditionelle Gattungsgrenzen überschreiten wollen. Zeitgenössische Komponisten flirten ohne Verlegenheit mit Jazz, elektronischer Musik und Rock, auf der anderen Seite gestehen Jazzmusiker ihre Beziehungen zur Zweiten Avantgarde ein. Obschon effektvoll und verführerisch, bergen diese Experimente immer auch die Gefahr des Banalen und Kommerziellen. Hans-Peter Jahn – künstlerischer Leiter des Festivals für Neue Musik „Eclat“ in Stuttgart – schlug dem Publikum beim Abschlusskonzert einen Blick durchs Schlüsselloch vor: ein Sinfonieorchester geht auf Freiersfüßen zur Big Band – und umgekehrt. Moderatoren der Romanze: Erkki-Sven Tüür mit seiner neuen „Sinfonie Nr. 5 für Big Band, E-Gitarre und Orchester“ und Bernd Konrad mit seinem aktuellen Werk „Stepping Stone – I have a dream“ für großes Orchester, Big Band und Solisten. In beiden Kompositionen erkennt man von Beginn an, dass die Künstler sich von der stilistische Mélange faszinieren ließen. Sie spielen mit den Möglichkeiten, benutzen das große Instrumentarium, schmelzen jeweils charakteristische Klänge ein und verbinden kunstvoll andersartige Elemente. Man hört farbenreiche Musik, Kaskaden atemberaubender harmonischer Sequenzen, gebrochene rhythmische Strukturen und meisterhafte Soli. Etwas aber in dieser Musik fehlt: der Mut zum Verlassen der genretypischen Klangklischees. Eine neue ästhetische Qualität offenbart sich nicht. Erkki-Sven Tüür – einer der bekanntesten Komponisten der mittleren Generation aus Estland – studierte bei Jaan Rääts und Lepo Sumera. Gleichzeitig spielte er in der Gruppe „In Spe“, eine der berühmtesten Rockkapellen im Baltikum der 80er-Jahre. In seiner Sinfonie bringt er nun empfindsame Streicher-Cluster und brutale Big-Band-Interventionen unter; glasklare Orchesterklänge vervollständigt er mit einem angriffslustigenSolo von der Gitarre; perlenden Akkorden der Big Band stellte er weiche Melodien der Holzblasinstrumenten gegenüber. Leider gibt es in diesem Stück aber kleinere handwerkliche Instrumentationsfehler: Die Proportionen zwischen der großen Bläsergruppe und den Streichern waren unausgewogen, was sicher nicht die Schuld der SWR Big Band und des Radio-Sinfonienorchesters Stuttgart unter Olari Elts war. Und noch etwas: Obwohl Tüür betont, dass das musikalische Ausgangsmaterial des Stücks – in seinem Sprachgebrauch „Gene“ genannt – ein einheitliches sei, entsteht der Eindruck von Bausteinen, die nicht immer zueinander passen. Mit „Stepping Stone – I have a dream“ bezieht der
Jazzkomponist und Saxophonist Bernd Konrad Stellung zu den pazifistischen
Protesten in Washington um 1963. Dieses Werk, zu dessen Uraufführung
Konrad seine treuen musikalischen Weggefährten Greetje Bijma (Gesang),
Herbert Joos (Trompete) und Günther „Baby“ Sommer (Schlagzeug)
eingeladen hatte, ist aber nicht nur ein politisches Manifest, das heute
neue Bedeutung gewinnt, sondern wirft auch einen nostalgischen Blick zurück.
Und doch: Obwohl die Konzertsituation mit ihrer Karikatur von Bühneneleganz nicht so recht zu dieser von intellektueller Konzentration befreiten, effektvollen Musik passen mochte, war es schön zu beobachten, mit wieviel Spaß die Musiker bei der Sache waren. Ihrer Sensibilität, Präzision, Offenherzigkeit und Lust auf diese musikalische Liebesaffäre zwischen den so verschiedenartigen Klangkörpern gebührt höchstes Lob. Daniel Cichy |
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