Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
Im oralen Luftstrom flattern feine Metallzungen, klingen wie Seelenseufzer, rauh schmeicheln sie am Ohr. Die Mundharmonika, von ihrem Erfinder Friedrich Buschmann 1821 noch Mundäoline genannt, ist ein populäres Musikinstrument. Etwa ein Jahrhundert später sieht Jean Baptiste Thielemans in amerikanischen Filmen Larry Adler: „Er brachte die Mundharmonika in mein Bewusstsein“, und dieses Erlebnis dem Jazz einen „außergewöhnlichen Improvisator, der die Mundharmonika wie Bird singen lassen kann.“
In Brüssel, wo Jean Thielemans am 29. April 1922 geboren wurde,
spielt er als Kind zunächst Akkordeon im Café seiner Eltern.
Die Musik des legendären Gitarristen Django Reinhardt lenkt ihn mitten
im Zweiten Weltkrieg auf die Spur des Jazz. Er gründet eine Tanzkapelle,
hört amerikanische Swingplatten und perfektioniert sich an der Mundharmonika.
Bis seine Kollegen ihm raten, doch alternativ Gitarre zu lernen, wofür
er sich in kürzester Zeit begeistert. Sie schlagen für die Plakatwerbung
auch den Namen „Toots“ (nach dem damals bekannten Saxophonisten
Toots Mondello aus der Band von Benny Goodman) vor, weil dieser Name besser
zum Swingstil passe. Dabei bleibt es. Bei einem USA-Besuch 1948 hört
ihn der Musikagent Billy Shaw und vermittelt einen Kontakt zu Benny Goodman,
der Toots Thielemans dann während einer Europatournee engagiert.
Der Bebop gibt ihm danach einen kreativen Schub zur Entwicklung seines
Stils: Charlie „Bird“ Parker, mit dem er 1951 in Schweden
auftritt, für die Mundharmonika, und Charlie Christian für die
Gitarre.„ Du musst aufmerksam und andächtig zuhören, darum
geht es in der Musik“, meint der Autodidakt Jean Thielemans. „Beim
Jazz ist man entweder ein Genie oder steht unter dem Einfluss derer, die
den Weg angeben. Ich glaube nicht, dass ich einer der Wegweiser bin, vielleicht
ein bisschen auf der Mundharmonika. Musikalisch gesehen bin ich ein Folgender“,
der allerdings die Spuren seiner Vorgänger mit sehr individuellen
Silhouetten imprägniert. Da Toots Thielemans nicht so gern reist, macht er öfter Tourneepausen und komponiert, weil Quincy Jones ihn dazu ermuntert, für Filme wie „The Getaway“ und sogar die Titelmelodie für die amerikanische „Sesamstraße“. Seine „verführerischen Mundharmonikaklänge“ (Washington Post) und sein mildes, variables Jazz-Parlando wünschen sich nun auch viele zeitgenössische Kollegen wie Jaco Pastorius und Pat Metheney, Popstars wie Paul Simon und Billy Joel sowie brasilianische Stars wie Gilberto Gil und Milton Nascimento für ihre Musik. Viele Jahre führt er die Liste der Down Beat Befragung „Verschiedene Instrumente“ an, sodass die Redaktion schon überlegte, diese Rubrik „Toots“ zu nennen. Die Firma Hohner spendiert ihm die Modelle „Toots Mellow Tone“ und „Toots Hard Bopper“, beim Konzert zum 75. Geburtstag 1997 in Brüssel sogar ein Unikat. Trotz seines Alters ist Toots Thielmans immer noch im Quartett mit Michel Herr (p), Bart de Nolf (b) und Hans van Oosterhout (dr) sowie im Duo mit Kenny Werner (p) aktiv auf der Bühne. Toots Thielemans gehört, wie Quincy Jones feststellte, „zu den bedeutendsten Musikern unserer Zeit.“ Hans-Dieter Grünefeld
|
|