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Der Saal der „Rosenau“ in Stuttgart ist voll bis auf den letzten Platz. Im Veranstaltungsraum mit dem Charme der 50er-Jahre harrt eine erwartungsfrohe Menge auf ein Ereignis, das – noch – nur hier stattfindet. „Bobby Burgess Big Band Explosion”, das Sammelbecken hochkarätiger Musiker, gegründet 1985 durch die Initiative des amerikanischen Posaunisten Bobby Burgess. Damals waren es junge, talentierte Musikstudenten, die er, einer der führenden Posaunisten im Jazz, zu einem außergewöhnlichen Klangkörper vereinigte.
Es war der Reiz, abseits vom üblichen Repertoire traditioneller Big Bands nach neuen, unverbrauchten und originellen Arrangements zu suchen. Bei dem 1929 geborenen Texaner fanden die jungen Jazzbegeisterten ausgewählte Kompositionen und Arrangements von Thad Jones, Bob Brookmeyer, Bill Holman und vielen Anderen, die Burgess zu einem mittlerweile legendären Songbook zusammengestellt hatte. Er brachte die geballte Erfahrung als versierter Orchestermusiker in Formationen von Charlie Barnet, Stan Kenton, Maynard Ferguson, Terry Gibbs und Woody Herman und nicht zuletzt auch durch sein Engagement bei der SDR Big Band mit. Hier, in der heutigen SWR Big Band finden sich noch immer einige der Gründungsmitglieder, inzwischen längst etablierte Könner mit gutem Ruf. Altsaxophonist Klaus Graf und Tenorsaxofonist Andi Maile gehören zu denen, die am Standort Stuttgart die Band am Leben halten und immer wieder zu Auftritten in der „Rosenau“ zusammen rufen. Dann strömen sie aus weiten Teilen Deutschlands, ja sogar Europas hierher, um ihrer unbändigen Spielfreude freien Lauf zu lassen. Durch das jahrelange intensive Zusammenspiel hat sich die „Bobby Burgess Big Band Explosion“ mit einem unvergleichlichen Sound zu einer der führenden professionellen Jazzformationen der deutschen und auch der europäischen Musikszene entwickelt. Auch nach dem Tod von Bobby Burgess am 9.Juni 1997 stand für alle Beteiligten fest, dass man diese außergewöhnliche Formation im Sinne des Gründers weiter führen sollte. Selbst eine dreijährige Unterbrechung konnte das Feuer der Begeisterung nicht löschen. So sind die Konzerte in der „Rosenau“ der Treffpunkt eines „who is who“ der deutschen Jazzszene. Für die Beteiligten ist das eine Sternfahrt (oder oft eher ein „Sternflug“) in die Baden-Württembergische Landeshauptstadt. Aus dem Großraum Frankfurt und der HR Big Band kommen mit Stephan Zimmermann, Thomas Vogel und Axel Schlosser allein schon drei Trompeter; dazu noch der Altsaxophonist Heinz-Dieter Sauerborn. Schlagzeuger Holger Nell nimmt gerne die weite Reise aus Berlin auf sich, ebenso wie die Posaunisten Edgar Schmid aus Zürich, Johannes Herrlich aus München und Rainer Müller aus Hilversum. Frühere Jazzpreisträger des Landes Baden-Württemberg, wie die Bassistin Karoline Höfler und der Trompeter Claus Stötter (außerdem Klaus Graf, Andi Maile und Steffen Schorn) gehören wie die Posaunisten Ernst Hutter und Ian Cumming, der Pianist Martin Schrack, der Gitarrist Martin Wiedmann und der Schlagzeuger Herbert Wachter gewissermaßen zum „einheimischen Inventar“. Der Stuttgarter Tenorsaxophonist Libor Sima, von Anfang an dabei, sitzt neben dem Nachwuchstalent Steffen Weber aus Mannheim. was zeigt, dass auch Newcomer in die Band aufgenommen werden, wenn sie dem hohen Anspruch der Band gerecht werden können. Schließlich ist da noch eine starke Gruppe aus Köln, einer der Jazzhochburgen in Deutschland, mit den Saxofonisten Paul Heller, Ralf Hesse und Steffen Schorn. Schorn ist es auch, der die Leitung der Big Band übernahm, als Bobby Burgess in die USA zurückkehrte. Bis heute hat sich an diesem Status nichts geändert. Allerdings wechseln sich die Musiker, fast alle selbst versierte Bandleader, mit der Programmgestaltung ab. Eigene Arrangements halten mit ihrem hohen Level mit denen der Count Basie Big Band durchaus Schritt. Steffen Schorn bringt durch die Begegnung mit indischen und brasilianischen Traditionen, insbesondere den Kompositionen von Hermeto Pascoa, eine ganz eigene, faszinierende Klangsprache in das offene Bandkonzept ein. Schwerpunkt sind jedoch die fantastischen Arrangements von Bill Holman und Terry Gibbs. Bill Holman schrieb schon einzigartige Beiträge für Stan Kenton und Count Basie. Etwas ganz Besonderes ist der reichhaltige Fundus von Terry Gibbs’ Dream Band (1959–61), den die „Bobby Burgess Big Band Explosion“ wahrhaft explosiv und mit enormen Drive zu interpretieren versteht. Es heißt, dass der Vibraphonist Terry Gibbs den Swing gewissermaßen in den Bebop verlängert hat. Diese musikalische Wanderung zwischen zwei markanten Eckpunkten des Jazz gelingt den Musikern um Steffen Schorn außergewöhnlich gut. Das macht wohl gerade den unvergleichlichen Sound der „Band der Bandleader“ aus. Mit diesem abwechslungsreichen und sich ständig veränderndem Repertoire konnte der „Musiker-Pool“ jahrelang beachtliche Erfolge auf der Bühne und im Rundfunk feiern. Zwischenzeitlich tourten Gastsolisten wie Don Menza, Bobby Shew oder Claudio Roditi mit der Big Band. Die Erfahrungen der Musiker in diversen profilierten Bands wie dem Deutsch-Französischen Jazzensemble, Peter Herbolzheimers Rhythm Combination & Brass, WDR, HR, NDR und SWR Big Band sowie in den Jazzorchestern von Bob Brookmeyer und im Orchestre National du Jazz Paris schlagen sich bis heute positiv nieder. Wichtigste Voraussetzung ist, dass alle gute Blattspieler sind, denn Zeit für Proben bleibt nicht. Geprobt wird nur einmal vor jedem Auftritt in der „Rosenau“. Es war die Idee von Klaus Graf, dort anzufragen. Nach der dreijährigen Pause war das Interesse der Medien gleich Null, doch die Mund-zu-Mund-Propaganda beschert der „regionalen Kunst mit überregionalen Künstlern“ beständig und in kürzester Zeit ein volles Haus. Es ist ein interner Zirkel geworden, ohne „Special Guests“ – die Musiker können ihre Stärken ungehemmt ausspielen. Mit der Sicherheit ihrer Festanstellungen bleibt für die Big Band der pure Spaß am Jazzen. So passiert viel Spannendes, wenn zwei bis drei Musiker improvisieren und dabei Erstaunliches zutage fördern, für kurze Zeit abgenabelt vom Klangkörper Band. Dank der jahrelangen harmonischen Entwicklung dieser großen Ansammlung exzellenter Musiker ist auch jeder ohne Qualitätsverlust ersetzbar. An diesem Abend in der „Rosenau“ steigt die Vorfreude. Hohe Stapel abgegriffener Notenblätter liegen auf den Pulten. Der herzliche Begrüßungsapplaus lockert die Stimmung. Mit Don Menza’s „Groove Blues“ beginnt das Best-Of-Programm der letzten eineinhalb Jahre – Big Band Jazz vom Allerfeinsten. Angetrieben von Idealismus und unbändiger Spielfreude entsteht vom ersten Ton an eine Atmosphäre, wie sie heutzutage nur noch selten zu erleben ist. Der unvergleichbare Sound der „Bobby Burgess Big Band Explosion“ lässt den Funken der Begeisterung sofort überspringen. Terry Gibbs hatte vollkommen recht mit seinem Kommentar: „Eine unglaublich klingende Band!“ Text und Foto: Armin Köhnke
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