Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
Seine Musik drehte sich auf den Plattentellern in den Townships, als er bereits des Landes verwiesen war. Und er spielte Klavier, als Nelson Mandela in das Amt des Präsidenten eingeführt wurde. Abdullah Ibrahmis Vita gleicht einer Odyssee in Jazz. Seine Musik spiegelt Südafrika als Himmel und Hölle, aber auch die Abgründe der Seele, die hochfliegenden Hoffnungen und den Griff nach dem Glück. Er galt bereits als ein Botschafter des freien Südafrika, als ein Ende der Apartheid noch nicht abzusehen war. Politisch entschlossen und sozial engagiert, ist er auch in Mystik eingetaucht, in die verborgenen Bezirke des Ichs, in die Tiefendimensionen des Existenziellen, für die es keine Worte, vielleicht aber Klänge gibt. „Die südafrikanische Erfahrung“ sagt er, „ist mehr als eine landesspezifische, auch mehr als eine der Rassen, sie ist eine von allgemein menschlicher Bedeutung.“ Lebenswege und Lebenszyklen. Abdullah Ibrahim, geboren am 9. Oktober 1934 in Kapstadt. Bereits früh drängte es ihn, die unterschiedlichen kulturellen Facetten seiner an ethnischer Vielfalt so reichen Heimat kennenzulernen. „Ich kann von Glück reden,“ sagt er, der später zum Islam konvertierte, den Namen Abdullah Ibrahim annahm und nach Mekka pilgerte, „weil ich schon in jungen Jahren reisen konnte.“ Als Jugendlichen nannte man ihn Dollar Brand, weil er jeden Dollar zusammenkratzte, um von den Seeleuten in Kapstadt Jazzplatten abzukaufen. Mit fünfzehn Jahren wurde er Profimusiker. Er spielte mit Bands wie den „Tuxedo Slickers“ und den „Streamline Brothers“, begleitete Revuen und traf bereits damals mit einer Sängerin zusammen, mit der er später in großen Konzertsälen der westlichen Welt auftreten sollte: Miriam Makeba. Gemeinsam mit dem Trompeter Hugh Masekela, dem Altsaxophonisten Kippie Moeketsi, dem Posaunisten Jonas Gwanga sowie Johnny Gertze, Bass, und Makaya Ntshoko, Schlagzeug, formierte er 1959 eine der damals stilprägenden Ensembles, die „Jazz Epistles“, mit denen er im folgenden Jahr die erste Jazzplatte Südafrikas einspielte. Es trieb ihn umher in den unterschiedlichen Landschaften und Kulturen Südafrikas, und es drängte ihn in die Welt. Mit Sathima Bea Benjamin, seiner Lebensgefährtin und späteren Ehefrau, machte er sich 1962 auf die Reise nach Europa. Johnny Gertze und Makaya Ntshoko folgten ihm nach Zürich, wo das Trio für drei Jahre im Klub „Africana“ eine zweite Heimat fand. Traveller, ein passendes Wort für einen Vielgereisten und einen in der Welt der Klänge auf Reisen gehenden. Als Duke Ellington eines Abends mit seiner Band in Zürich spielte, gelang es Sathima, den Duke und seine Musiker dazu zu überreden, nachts noch einmal im „Africana“ vorbeizuschauen. Ellington war von Dollar Brands Musik dermaßen beeindruckt, dass er dessen Trio nach Paris einfliegen ließ und dort im Studio mit ihm produzierte. Die Musik der Townships, die von Thelonious Monk und Duke Ellington zählen zu den wichtigsten Einflussquellen der Musik von Abdullah Ibrahim. Die Freiheit des Ausdrucks hat ihre Ursprünge in den Stammesritualen der Xhosa und Zulu. Für Abdullah Ibrahim bedeutete der Free Jazz Extension des bereits früh Erfahrenen. Er hat mit Musikern wie Don Cherry, auch mit Max Roach, Gato Barbieri und dem die dem die Coltrane-Tradition weitertragenden Elvin Jones zusammengespielt. Zu den Konstanten in seinem Schaffen zählen Solospiel, die Arbeit mit eigenen Trioformationen und mit großen Besetzungen. Abdullah Ibrahim schuf preisgekrönte, atmosphärisch dichte Filmmusiken. Wiederholt hat er mit Big Bands und Sinfonieorchestern zusammengearbeitet. Aus der Kooperation mit Daniel Schnyder, der Kompositionen von ihm orchestrierte, entstand 1997 die „African Suite“ für Jazztrio und Sinfonieorchester. Als wir 1999 in der Leipziger Oper als Produktion der Jazztage, die musikalisch-szenische Aufführung „CapeTown Traveller“ vorbereiteten, kristallisierten sich zwei Kompositionen Abdullah Ibrahims als „Hauptstücke“ heraus: „Manenberg“ und „Knysna Blue“. „Manenberg“ wurde einst in Südafrika zu einem musikalischen Fanal, zu einem Feuerzeichen. „Knysna Blue“ steht für Trauer, Heimkehr und eine ins Irdische zurückführende Mystik. „Westliche Musik“, doziert Abdullah, „ist linear, auf ein Ende hin konzipiert, unsere Musik bewegt sich in Zyklen.“ „Manenberg“ ist der Name eines Townships von Kapstadt, in das viele Einwohner, dem sozialen Druck folgend und der elementaren Not gehorchend, übersiedeln mussten, nachdem District Six zu einem Gebiet der Weißen deklariert und zerstört wurde. „Manenberg“ heißt eine Komposition, die Abdullah Ibrahim aufnahm, als er in den siebziger Jahren zeitweise nach Südafrika zurückkehrte. Im Studio stand ein heruntergekommenes Klavier, dessen Saiten präpariert wurden und mit dem Abdullah einen unnachahmlichen Sound erzeugte. „Manenberg“ ist ein Stück, das sich unmittelbar mit den im ganzen Land aufflammenden Unruhen, mit dem Widerstand gegen die Apartheid assoziierte, Da keine der etablierten Firmen die Platte veröffentlichen wollte, entschlossen sich die Musiker zu einer Eigenproduktion. Tausende von Exemplare wanderten über den Ladentisch einer Tankstelle, von der die Busse zu verschiedenen Townships abfuhren. „Noch heute“, so Abdullah Ibrahim, „wollen die Leute bei unseren Konzerten in Südafrika immer wieder diesen Titel hören, der zu einer Art inoffizieller Nationalhymne avancierte: ‘Manenberg’.“ In der Originalaufnahme huscht in der Musik eine Stimme vorbei: „Djulle kan maar New York toe gaan, ek bly here in Manenberg: You can go to New York, I stay here in Manenberg.“ Die Konfliktzone Manenberg wird für Abdullah Ibrahim zum Zentrum des Weltgeschehens. Doch er muss sie verlassen, nicht freiwillig, sondern zwangsweise. Mit seiner Frau Sathima, Sohn Tsakve und Tochter Matsidiso ging er Mitte der siebziger Jahre nach New York. Er tauschte Himmel und Hölle Südafrikas gegen die Heimatlosigkeit des Exils. Traveller, was für ein mildes Wort für einen Musiker, der vierzehn Jahre lang nicht zu seinen Quellen zurückkehren durfte. Außenstehende können allenfalls erahnen, welchen inneren Qualen und realen Repressalien Menschen ausgesetzt waren, die sich auch im Exil nicht in Sicherheit befanden, sondern einem Konfliktfeld rivalisierender und gegenseitig bekämpfender Parteien ausgesetzt waren. „Weißt du, was Apartheid bedeutet,“ Abdullah spricht immer, wenn er einem Satz besonderen Nachdruck verleihen will, besonders leise, „Apartheid bedeutet, Exzeme zu bekommen und die Angst, umgebracht zu werden.“ Er wurde oft gefragt, warum denn seine in den Jahren des Exils geschriebene Komposition mit dem Titel „Mandela“ einen vergleichsweise fröhlichen Charakter trage. Und er antwortete: „Das entsprach schon damals meiner Art, ihn zu sehen: als eine Lebenslinie unserer Communities.“ Unmittelbar nach der Befreiung von der Apartheid folgte Abdullah Ibrahim mit seiner Familie einer Einladung zur Rückkehr nach Südafrika. Er hat die Aufregung beschrieben, dieses überwältigende Gefühl beim Anflug auf Kapstadt. In den Jahren des Exils wusste er stets klar Stellung zu beziehen. Dennoch sagt er jetzt: „Wir alle haben uns zu verändern.“ Das kann nicht folgenlos bleiben für die Musik eines Mannes, der Zeit seines Lebens stärker in der Erfahrung südafrikanischer Communities verwurzelt war als in irgendeiner westlichen Avantgarde-Ästhetik. Eben das gab ihm die Kraft, einfache und prägnante Stücke zu komponieren, die alles andere sind als trivial. Für das, was gegenwärtig abläuft, oder für die Hoffnungen auf das, was ist, sein oder werden könnte, wählt Abdullah Ibrahim immer wieder, fast beschwörend das Wort „reconciliation“, Aussöhnung, Versöhnung. Und er weiß wohl zu gut, dass das nicht innerhalb einer Generation, auch nicht innerhalb eines Lebenswerkes zu bewerkstelligen ist. Folglich engagiert er sich für die Bildung nachwachsender Generation, ruft er Schulen und Ausbildungszentren ins Leben, die die Künste zusammenführen und einen ganzheitlichen Ansatz musischer Entfaltung fördern. Die kontinuierliche, sorgfältige und engagierte Dokumentation des Schaffens von Abdullah Ibrahim seit Mitte der siebziger Jahre verdanken wir einem deutschen Plattenlabel: Enja Records. Aufnahmen, die Abdullah Ibrahim in den letzten Jahren einspielte, insbesondere solche mit seinem Trio, lassen eine unerwartete Zartheit aufscheinen. Beides gehört zu ihm, zu seiner Persönlichkeit und zu seinen Erfahrungen: das Ungestüme, die aufbrechende Expressivität ebenso wie die Sanftheit und der schwarze Samt. Der Meister in asiatischen Kampfsportarten, passt in dieses Bild wie der Meditierende. Beides ist Abdullah Ibrahim. Und seine Vorgeschichte als Dollar Brand gehört ebenso dazu wie der Ausblick auf eine Zeit, die erst im Werden ist. Bert Noglik Mit freundlicher Unterstützung von Triangel
|
|