Wann immer Nils Petter Molvaer in der musikalischen Arena erscheint,
gärt es in Medien und Musikerkreisen. Denn der Norweger genießt
unermessliches Prestige: regelmäßig perfekter Sound, unablässig
kreative Spielereien quer durch alle Genres und konstant trotzig hält
er dabei sein Hauptinstrument, die Trompete, in den Wind. Sein letztes
Studioalbum „NP3“ durfte man vorwiegend mögen, weil Nils
Petter Molvaer die Studio- bzw. Kreativitätstechnologie als Freundin
akzeptierte, seinen sibyllinisch bis spiritistischen Einsiedler-Stil über
ihr ansiedelte und einen vorläufigen Höhepunkt seiner Alben-Karriere
erreichte. Allerdings steht nun „Streamer“ an, das fünfte
(inkludiert das Remixalbum „Solid Ether“) NPM Album. Live.
Mitgeschnitten in London und Tampere (Finnland). Gemischt von Bandmitglied
DJ Strangefruit, der die dunklen Verbundstoffe zwischen Technologie, Musik
und Trompete heraus kitzelte. Die Jazzzeitung sprach Ende August mit Nils
Petter Molvaer über das aktuelle Album.
Jazzzeitung: Sie sprechen bei „Streamer“ von der logischen
Fortführung des letzten Studioalbums „NP3“. Erklären
Sie doch mal, wie ein Livealbum eine Studioaufnahme weiter transportieren
kann?
Nils Petter Molvaer: Auf eine gewisse Weise kann es das, weil sich
zum einen hinter „Streamer“ eine Art Livedokumentation der
Band verbirgt und zum anderen das Livealbum als Zwischensumme der voran
gegangenen drei Studioalben steht. Sagen wir mal, es ist ein kleiner Schnitt,
denn mit dem nächsten Album würde ich gerne eine andere Richtung
einschlagen und von einer neuen Plattform aus arbeiten.
Jazzzeitung: Möchten Sie andeuten wie diese Plattform aussehen
könnte?
Molvaer: Ich werde auf jeden Fall mit Stimmen, also Gesang arbeiten.
Und ich habe mir vorgenommen, wenn ich die Band zusammenstelle, noch mehr
auf die einzelnen Persönlichkeiten und die musikalischen Fähigkeiten
dieser Menschen einzugehen. Dafür möchte ich eine Menge Platz
schaffen, um speziell deren musikalischen Ausdruck in der Musik hörbar
zu machen. Für das nächste Album werde ich mir enorm viel Zeit
nehmen. Auch um zu testen, wie ich die Trompete vielseitiger einsetzten
kann. Nicht nur weiter als Soloinstrument, sondern vielleicht als eine
Art „Sänger oder MC“.
Jazzzeitung: Die „Streamer“ Aufnahmen hat Ihr Bandgefährte
DJ Strangefruit im Studio gemischt und seinen mystischen Ambient-Sound
eingebracht, der relativ dunkel wirkt.
Molvaer: Strangefruit musste quasi einen Live-Remix vornehmen und
musste mit dem Material auskommen, das es auf Band gab. Kann schon sein,
dass man das Endprodukt als düster bezeichnen könnte, wenngleich
ich der Meinung bin, dass genug Platz vorhanden ist, genügend Licht
und hellere Seiten herein zu lassen.
Jazzzeitung: Die Konstellation ein Bandmitglied mit der Mischung
der Platte zu beauftragen, schien aber trotz fehlender Distanz kein Problem
zu sein.
Molvaer: Ich wollte ihn bewusst dafür einsetzen, insbesondere
weil er sich langsam vom großartigen Musiker zum feinfühligen
Produzent entwickelt. Für mich hat die Nähe zu den Songs und
der Band nie eine Rolle gespielt. Ich sehe das unbedingt positiv, denn
er kennt den Sound und die Songs.
Jazzzeitung: In welchem Maß haben Sie sich in die Endproduktion
eingemischt?
Molvaer: Na ja, über ein paar Sachen mussten wir diskutieren.
Manche Songs waren schlicht zu lang und benötigten eine sinnvolle
Kürzung. Und dann wollte ich vor allem die Stellen in den Songs heraus
arbeiten, an denen neue Instrumente hinzukommen. Den Kontrast hörbar
machen, in etwa wenn ein Breakdown kommt, sollte er nach vorne schieben
und nicht beiläufig wirken. So gesehen musste ich mit Strangefruit
ein bisschen über Lautstärken-Verhältnisse und einzelne
Level-Niveaus beraten. Aber grundsätzlich hat er zusammen mit seinem
Toningenieur den Hauptanteil produziert, auch wenn ich mich ab und zu
im Studio neben ihn gesetzt habe.
Jazzzeitung: Manche Songs scheinen sich wie auf „Streamer“
hörbar live noch einmal in eine unvorhersehbare Richtung zu entwickeln.
Molvaer: Das ist sowohl für die Band als auch für mich
ein unverzichtbarer Prozess. Wir haben die Songs natürlich schon
Hundert mal gespielt, aber wäre es immer das gleiche Muster, müssten
wir uns wirklich Gedanken machen. Wir lassen stets genug Platz, die Songs
in die Länge zu ziehen oder kleine Interaktionen und Improvisationen
in die Songs zu bringen. Für uns ist dann manches Mal sehr überraschend,
was auf der Bühne so passieren kann.
Jazzzeitung: Ein letztes Vorurteil wäre noch zu klären.
Ständig wird behauptet, Menschen könnten wunderbar zu Ihrer
Musik tanzen. Komische Tänze, oder?
Molvaer: Ich verstehe, was Sie meinen, denn eine verlässliche
Rhythmik lässt sich schwer ausmachen. Aber natürlich dürfen
Menschen zu meiner Musik tanzen. Von mir aus machen sie den Abwasch dabei,
tapezieren das Wohnzimmer oder zeugen Babys. Sie können machen, was
sie wollen.
Sven Ferchow |