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Manchmal habe ich das Gefühl, verheiratet zu sein. Verheiratet mit dem scheinbar so offenen Jazz, der sich dann, abseits seiner vorgeschobenen Liberalität, als konservativ, spießig und monogam outet. Es kommen dann so Phasen, in denen ich mich frage, ob ich wirklich so ein „Jazzwichser“, wie die „Schweinerocker“ gerne sagen, bin oder überhaupt sein will. Und wie auch bei einer „echten“ Ehe – zumindest hoffe ich, dass es so ist, ich war ja noch nie wirklich verheiratet – kommen dann immer wieder diese Momente, in denen man sich seiner Sache wieder sicher ist. In denen man seinen Liebling einfach nur knuddeln möchte und ihm all die Zickereien verzeihen möchte, die er sich in den letzten Monaten geleistet hat. Wenn er – der Jazz – es für hohe Kunst hielt, seine Musiker völlig unharmonisch auf ihre Instrumente eindreschen zu lassen, wenn er die Bemühungen von Popmusikern wie Robbie Williams, sich in ihm einzufinden, als null und nichtig abtat und in seiner grenzenlosen Borniertheit sich selbst für den einzig legitimen Stil hielt und die anderen Genres damit provozierte zu fragen, wer denn eigentlich dieser Slash sei, von dem momentan wieder alle redeten. Einen dieser Momente durfte ich neulich eines Nachts wieder erleben, als ich um circa halb vier Uhr morgens von einem mehr oder minder kurzen Kneipenbesuch nach Hause kam und zum Einschlafen noch den Fernseher durchzappte. Auf 3sat dann die Erlösung, völlig unvermittelt, ein Mitschnitt vom Salzauer JazzBaltica 2003, Nils Landgren singt Stings „Fragile“, mit dem legendären Sound von Ringelpullover Pat Metheny hinter sich, dem unglaublichen Esbjörn Svensson am Piano, Michael Brecker am Saxophon undundund. Als Nils Landgren zu singen ansetzt, „If blood will flow when flesh and steel are one...“, ist jeglicher Zweifel verflogen: Ja, ich liebe Dich! Ja, ich stehe zu Dir, auch wenn ich dafür als Jazzwichser beschimpft werde! Die Lösung aller Probleme ist das jedoch natürlich nicht, dieses stille Bekenntnis entstand aus einem Begehren des Momentes, quasi musikalische Geilheit. Eine Lösung auf Dauer ist gefragt. Das größte Problem zwischen uns beiden ist – wie bei manchen „echten“ Ehen auch – das der Monogamie. Man hat manchmal das Gefühl, jeder Seitensprung könnte einem als Untreue ausgelegt werden. Dabei dient sie doch nur der Erweiterung der eigenen Perspektive, um wieder etwas Schwung in die Sache zu bringen. Unabhängig davon, dass sie objektiv betrachtet alles andere als lohnenswert ist, ist die Beschränkung auf nur eine Stilrichtung darüber hinaus weitaus schwerer als die auf nur eine Frau. Und so ist es unglaublich befreiend, beispielsweise einen jazzliebenden Poeten wie den Freundeskreiskopf Max Herre in seinem CD-Regal stehen zu haben, der sich unverblümt zum Jazz bekennt („...auf der Bergmannstraße kauf ich ‚A Love Supreme’“ Erste Schritte, Esperanto, Four Music 1999) und trotzdem in all seiner geballten Coolness ein Hip-Hop-Recke reinsten Wassers ist. Sein Hip-Hop jedoch hat mit dem der in Jogginghosen und Goldkettchen gewandeten Pseudo-Gangster nichts zu tun, er vertritt eher den amerikanisch Native-Tongue-Gedanken von Bands wie „De La Soul“ und „A Tribe Called Quest“, der wiederum – wie zu erwarten war – auf dem Jazz aufbaut (hierzu wieder ein Zitat aus oben genanntem Stück: „...it’s a Jazz Thing, De La und Tribe sind Hype“). Und als hätte er damit gerechnet, dass er seine Jazz-Credibility (wieder so ein Hip-Hop-Ausdruck, soll „Glaubwürdigkeit“ bedeuten) beweisen muss, ist sein Kumpel und BuJazzO-Gitarrendozent Frank Kuruc an der Gitarre immer dabei. Nun, bei uns zweien ist also momentan wieder alles okay, ich akzeptiere ihre instrumentalen Masturbationsorgien und sie (also eigentlich er, ist ja DER Jazz) meine Vorlieben für platte Beats auf der einen und tiefhängenden Gitarren (gibt’s wirklich Leute, die nicht wissen, wer Slash ist?) auf der anderen Seite. Die Offenheit hat sich durchgesetzt, die Eheberater Landgren und Herre haben es möglich gemacht! Sebastian Klug
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