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Jean Paul Belmondo erklärte einmal, was einen Star zur Pop-Legende macht. In Melvilles Streifen Die Millionen eines Gehetzten fuhr er nach Hoboken zum heruntergekommenen Geburtshaus eines Sängers. Warum gerade er sein absolutes Idol sei, das hatte einen einfachen Grund: Er hatte aus nichts alles gemacht, und das wollte ich auch. Damit war Francis Albert Sinatra gemeint, oder besser: seine Biografie. Aber das Zitat gilt genauso für Sinatras sängerische Fähigkeiten. Rein technisch war Ol blue eyes nämlich bestimmt kein makelloser Perfektionist. Dennoch muss man nicht erst alle zehn Scheiben der DVD-Box A Life In Performance gesehen haben um zu begreifen, dass es keineswegs Übertreibung war, wenn seine Fans ihn schlicht The Voice nannten. Schon die erste der fünf TV-Shows, die Sinatra zwischen 1965 und 1969 im Jahresrhythmus produzierte, zeigt die hohe Musikalität des damals 50-Jährigen. Ive got you under my skin etwa: Wie er da subtile Rubati in seine ohnehin schon sagenhaften Phrasen baut, wie er sein einzigartiges timing spielen lässt und die Tonartwechsel meistert! Unterstützt von Nelson Riddle und Gordon Jenkins mit ihren Big Bands wird das alles zu einem spannenden Set mit Klassikern wie Come fly with me oder I get a kick out of you. Obwohl das Repertoire der restlichen vier Shows etliche Überschneidungen aufweist, wird einem die Zeit nie zu lang. Das hängt damit zusammen, dass sie ohnedies kein reines Musikprogramm bieten und auch kein Sinatra-Konzert: Oft spielen die Songs von Cole Porter, Johnny Mercer und den Gershwins in verschiedenen Kulissen, die zu den Inhalten der jeweiligen Lieder passen: Mal sitzt Ol blue eyes dabei lässig am Barhocker, die obligate Zigarette immer griffbereit. Dann wieder sieht man ihn allein in einem Hotelzimmer, es regnet und Sinatra singt zarte Elegien mit jener lässigen Tristesse, die Generationen in Bann schlug. Dazu gesellen sich Gäste wie seine Tochter Nancy (66), Ella Fitzgerald und Carlos Jobim (67) und Bands, die heute keiner mehr kennt, etwa 5th Dimension (68). Nun sollte man sich das Ganze mitnichten als, wenn auch gut gemachtes, so doch nur seichtes Entertainment vorstellen. Im Gegenteil sogar gewinnen manche Shows brennende Aktualität, weil Sinatra sie unter ein bestimmtes Thema stellt. Das Set von 1968 etwa widmet er der Jugend und kommentiert die Umwälzungen, die sich damals weltweit vollzogen. Ein anderes Mal steht der Abend unter dem Titel Rhythmus (67), für meine Begriffe die gelungenste Show. Durch die thematischen Schwerpunkte werden die ersten fünf DVDs auch zu einem Stück Kulturgeschichte. Tochter Nancy etwa vollführt psychedelische Tänze, die selbst hartgesottenen Retro-Fans nicht im Traum eingefallen wären. Das alles würde wohl niemand hinter einem lapidaren Titel wie A Man and his Music erwarten. Das Phänomen Sinatra ist damit sowieso nur halb erklärt. Denn Sinatra war wohl auch deshalb ein derart begnadeter Entertainer, weil er als Interpret des Great American Songbook ein Schauspieler mit überwältigender Bühnenpräsenz war. Egal ob in zarten Balladen wie One for my baby oder im dröhnenden Bläsergewitter von The lady is a tramp sein Sinn für Dramatik und Ausdruck überträgt sich immer unmittelbar. Zudem ist jedes Wort zu verstehen, die Big Bands agieren auf hohem Niveau. Schade nur, dass man mit den zehn DVDs kein einziges Booklet bekommt und die Spielzeit von je einer Stunde ziemlich mager ist. Nur auf einer Scheibe hätte etwa das vierfache an Information Platz trotz der insgesamt hervorragenden Bild- und Tonqualität. Das tröstet über die sängerischen Defizite der späten Jahre nur bedingt hinweg. Überhaupt wirkt die zweite Hälfte der Box manchmal wie ein schales Echo vergangener Tage. Die Konzerte in der Royal Festival Hall (71) und im Madison Square Garden (74) zeigen einen alternden Star mit brüchigem Bariton. Die 1981er-Show hingegen ist allein deshalb schon sehenswert, weil special guest Count Basie and his Orchestra zeigen, wie tief Sinatra in Jazz und Swing verwurzelt war. Im letzten Konzert (85 in Japan) ist das nur mehr zu erahnen. Doch selbst die musikalischen Mängel machen klar, warum Sinatra zur Pop-Legende wurde: Aus limitierten stimmlichen Reserven holt er noch einmal das Maximum heraus. Oliver Wazola Frank Sinatra
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