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Solacium auf deutsch Trost nannte Tommy Flanagan eine seiner Kompositionen, die sich auf dem 1957 mit John Coltrane und Kenny Burrell eingespielten Album The Cats findet. Ein kleiner Trost ist es für uns heute, dass es so viele Aufnahmen von Tommy Flanagan gibt! Der Blick auf das Schallplattenwerk dieses feinsinnigen Künstlers lehrt auch, dass Qualität und Quantität
nicht immer Widersprüche zu sein brauchen.
Dass der Jazz-Poet aber selbst eine Größe und keineswegs auf die Rolle der zweiten Geige festgelegt war, setzte sich erst langsam im Bewusstsein durch. Denn hinter gar nicht so sehr vorgehaltener Hand kursierte trotz bester Platzierungen bei Meinungsumfragen das Vorurteil, unter eigener Regie sei Flanagan nicht so interessant. Die Unsinnigkeit dieser Ansicht kann man mit den Alben unter eigenem Namen leicht nachweisen. Sie stammen von wenigen Ausnahmen abgesehen aus den späten 70er- bis 90er-Jahren. Sie alle belegen das Diktum des Wiener Pianisten Fritz Pauer von Tommy Flanagan als einen der geschmackvollsten Pianisten der Bebop-Schule. Er hat einen großartigen Klaviersound, der von perkussiven Akzenten bis ins samtweiche Spiel reicht, ohne eine Sekunde lang Spontaneität, Intensität oder Vielfalt zu verlieren. Auf Alone Too Long, Flanagans erstem 1977 eingespielten Solo-Album, findet sich ein Stück, das Flanagan mit Dignified Appearance überschrieben hat. Jeder, der selbst einmal einen Auftritt des würdigen Herren erlebt hat, wird wohl bestätigen, dass der Titel dieser Komposition bestens seine Persönlichkeit und Kunst charakterisiert. Dass Flanagan nicht als großer Jazz-Star gehandelt wurde, lässt sich aus seinem eher verhaltenen Spiel, seiner bescheidenen Persönlichkeit und den Mechanismen des Marktes leicht erklären: Flanagan war weder Blendwerker noch Exzentriker. Sonst fehlte ihm nämlich überhaupt nichts: Beherrschung aller Anschlagsnuancen, melodische Inspiration, ebenso zwingende wie swingende Phrasierung, harmonische Raffinesse, das Spiel mit Zitaten. Stilistisch gehörte er zu jenem vornehm zurückhaltenden Zweig der Bebop-Pianistik, deren Urbild Hank Jones
ist. Als Vertreter dieser Richtung kam Flanagan zwar wie andere Bopper von Bud Powell, spielte aber viel sanfter und
ruhiger als der leidenschaftliche Powell und seine direkten Schüler. Der Grund ist in der Verwurzelung in der
Eleganz des Swing-Idols Teddy Wilson und in der Anschlagskultur Art Tatums zu suchen. Ein Konzert mit Art Tatum bewegte
übrigens den angehenden Klarinettisten 1945 dazu, beim Klavier zu bleiben. Als weitere Lieblingspianisten nannte
Flanagan einmal Fats Waller, Barry Harris, Wynton Kelly, Horace Silver und Erroll Garner. Die geglückte Mischung
aller Einflüsse führten bei Flanagan zu einem Stil, den man als essenzielles Mainstream-Piano bezeichnen
könnte und der ihn zum idealen Begleiter ebenso stilistisch älterer wie modernerer Musiker machte. Den Europäern kommt das Verdienst zu, frühzeitig die Bedeutung Flanagans in vollem Ausmaß erkannt zu haben: Sein erstes Album unter eigenem Namen, Tommy Flanagan Overseas, entstand, als Flanagan 1957 mit Johnson nach Schweden kam, mit dessen Rhythmusgruppe, dem Bassisten Wilbur Little und dem am Anfang einer großen Karriere stehenden Drummer Elvin Jones. Eigene Alben wie dieses aus den ersten Jahrzehnten seines Schaffens muss man mit der Lupe aus einem Haufen von Hunderten Alben heraussuchen, die er durch seine Mitwirkung buchstäblich veredelte. Wenn auch nicht als Leader, so gehörte Tommy Flanagan doch zu den meistaufgenommenen Pianisten des Jazz. Auf Alben von Coleman Hawkins, dessen regulärer Begleiter er einige Jahre war, wirkte er mit, ebenso wie auf Meilensteinen von John Coltrane, Wes Montgomery, Gene Ammons, Gerry Mulligan oder Roland Kirk. Vor allem aber lernten ihn die Fans Ella Fitzgeralds schätzen. 1956 spielte Flanagan erstmals mit Ella Fitzgerald, die in den Jahren 1962 bis 1965 sowie 1968 bis 1978 auf Flanagans Dienste zurückgriff. Als geistesgegenwärtiger, vielseitiger Pianist war Flanagan auf alle Bedürfnisse Ellas zugeschnitten. Flanagan erinnerte sich: Ich lernte viel in der Rolle und Ella war immer in exzellenter Form. Sie änderte ihr Repertoire ständig und in der Periode, als ich bei ihr war, hatte sie über 800 Arrangements. Das viele Touren mit Ella ermüdete Tommy Flanagan, er erlitt eine leichte Herzattacke und beschloss 1978 nur noch sein Trio zu leiten. Nun erschien auf einmal eine ganze Reihe herausragender Alben; viele von ihnen wurden vom bedeutenden Münchner Jazzlabel Enja produziert, so im Jahre 1982 In Memory of John Coltrane: Giant Steps. 1959 hatte Flanagan an Coltranes legendärem Album Giant Steps mitgewirkt, allerdings hatte er damals Schwierigkeiten mit den modernen Harmonien der Titelkomposition gehabt. Also nahm er das Album mit seinem Trio, zu dem damals der Bassist George Mraz und der Drummer Al Foster gehörten, einfach noch einmal auf und erbrachte den Beweis, wie sehr er in den dazwischen liegenden Jahren gereift war. Tommy Flanagan war ein großer Verehrer Thelonious Monks, dessen so viel sperrigere Tonsprache nur scheinbar
einer anderen Welt angehört. Sein 82er Album Thelonica, das kurz nach dessen Tod aufgenommen wurde, ist inzwischen
ein Klassiker unter den Monk-Tribut-Alben. Trotz seiner Herzkrankheit war Tommy Flanagan nicht nur die letzten Jahrzehnte bis kurz vor seinem Tod aktiv, sein
Spiel gewann sogar zunehmend an Biss. Sunset and the Mockingbird, sein letztes Live-Album, entstand 1997
an seinem 67. Geburtstag, noch dazu an einem so jazzgeschichtsträchtigen Ort wie dem Village Vanguard. Marcus A. Woelfle |
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