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Rekonstruktion einer freien Rede anlässlich der Ausstellungseröffung zum 50. Geburtstag vom Matthias Creutziger in Ulrich Kneises Eisenacher Fotogalerie im Hause Bohl, Dezember 2001 Matthias Creutztiger lernte ich vor 25 Jahren in der kleinen Ortschaft Peitz kennen. Peitz, genauer gesagt, die Jazzwerkstatt Peitz galt für uns als Wallfahrtsort. Dort versammelten sich alle paar Wochen führende Musiker des Freejazz und der improvisierten Musik aus der DDR, im Laufe der Zeit zunehmend auch aus der Bundesrepublik, aus England oder Holland. Die Jazzwerkstatt Peitz wurde zu einem Treff- und Sammelpunkt für eine Fangemeinde und ein Ort der Inspiration. In einer kulturellen Grauzone der DDR zwischen gerade noch geduldet und schon nicht mehr ganz legal entfaltete sich eine vitale Szene von Außenseitern, die für uns zu Zentralgestalten wurden. Es ging um neue musikalische Erfahrungswelten, um eine Öffnung zur Welt und um den Anschluss an eine internationale Avantgarde.
Viele, die nach Peitz kamen und zu den großen Open-Air-Veranstaltungen pilgerten manchmal zwei- bis dreitausend , genossen wohl vor allem das subkulturelle Flair. Doch es gab einige, die versuchten, die Motivationen und Ästhetik dieser neuen Klangproduktionen zu erfassen. Wir wollten nicht nur konsumieren, sondern an diesen Prozessen teilhaben, selbst zur Szene gehören, sie dokumentieren und begleiten. Ich begann damals, über Jazz zu schreiben und Gespräche mit Musikern aufzuzeichnen. Matthias Creutziger wandte sich dem Fotografieren zu. Die informelle Atmosphäre ermöglichte die Nähe zu den Musikern und Musikerinnen. Und die nächtelangen Gespräche ermöglichten uns die Orientierung in neuen Koordinatensystemen, trugen zu unserer Selbstfindung bei. Bei der Improvisation ging und geht es um die Präzision, im Augenblick etwas Gültiges zu gestalten oder zu erfassen. Aus diesem Geist heraus entwickelte Matthias Creutziger seinen fotografischen Blick auf den Jazz. Beim Interview wie beim Foto kommt es nicht nur auf das wo und das wie, sondern immer auch auf das wann an, auf den richtigen, den fruchtbaren Augenblick. Nähe zu den Musikern impliziert für einen guten Bild- oder Text-Journalisten/Autor immer auch Respekt. Matthias Creutziger wird niemals ungebeten in eine Garderobe stürzen oder während eines Konzertes im Pianissimo unsensibel auf den Auslöser drücken. Eben das zählt zum Bestand von Moral: Vor die Alternative gestellt, ein gutes Bild zu machen oder einen Musiker zu stören, gar zu verletzen, gibt es keine andere Wahl als den Verzicht auf das Bild. Alles hängt, um in Begriffen der Fotografensprache zu reden, vom richtigen Blickwinkel, von der richtigen Perspektive, von der angemessenen Einstellung ab. Respekt schließt es aus, sich anzubiedern, führt aber bei Matthias Creutziger nicht zu einer Heroisierung der Abzulichtenden. Er begegnet ihnen in Augenhöhe und sucht nach Bildern, die das Wesen einer Erscheinung aufdecken. Wert des ZufälligenAnders als beim platten Abbilden zielt die Wahl des einen geeigneten Augenblicks darauf ab, die Persönlichkeit zu erfassen, ein Psychogramm in Gestalt einer Fotografie zu entwerfen. All das hat mit den Avantgarde-Ästhetiken des 20. Jahrhunderts zu tun, mit dem Wert des scheinbar Abfälligen, Zufälligen, Plötzlichen. Erinnert sei an einen Dialog zwischen Heinz-Klaus Metzger. Beim Betreten eines Restaurants auf den Champs-Élysées fragte Metzger, worin denn der Unterschied zwischen dem gewöhnlichen Türöffnen und dem Türöffnen als künstlerische Aktion bestehe, und Cage antwortete: If you celebrate it, its art: if you dont it isnt. Viele sehen möglicherweise das gleiche Bild im gleichen Augenblick, aber diesen Augenblick zu zelebrieren und das Bild festzuhalten, macht die Besonderheit der fotografischen Ästhetik aus.
Fotografie hat mit Direktheit zu tun, mit Plötzlichkeit. Diese kann hoch sensibel, ja gar durchgeistigt empfunden werden, aber auch wie ein Griff in die Eingeweide. Jazz war und ist immer beides: Verinnerlichung und Expression des Körperlichen. Für kaum eine andere Musik ist das Hören und zugleich auch das Sehen so wichtig wie für den Jazz. Der Ausdruck wird nicht zurückgenommen und auch nicht vorgespielt, er ist Bestandteil des Musikmachens. Subjektive Befindlichkeit wird nicht nur gestattet, sondern gefordert. Die Gestaltung im Moment und aus dem Moment heraus erscheint wichtiger als alle Vorausplanungen. Das hat Konsequenzen für die Rezeption, für die Teilnahme am Hier und Jetzt. Der letztlich zum Scheitern verurteilte Versuch, das Flüchtige festhalten zu wollen, gipfelt in der Illusion des Festhaltens. Diese macht den Jazz ebenso wie die Erotik zu einem bevorzugten, zu einem vorzüglichen Genre für die Fotografie: Immaterielles, abgelichtet in den Tönen zwischen Schwarz und Weiß. Kinder der selben ÄraDie engen Beziehungen zwischen Jazz und Fotografie erscheinen nahe liegend, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Wurzeln beider bis weit in das 19. Jahrhundert zurückreichen und beide dann im 20. Jahrhundert als Medien freien, individuellen Ausdrucks in einer urbanen Welt ihre Blütezeiten erleben. Dabei verstärkte der Jazz eben jenes Gefühl für die Aura, das mit der Reproduktion zu schwinden drohte. Und die Fotografie als ein technologisch fortschrittliches Medium der Reproduktion erwies sich wie die Schallplatte als adäquate Möglichkeit der Dokumentation und Verbreitung des Jazz. Die Fotografie hat den Jazz von seinen Anfängen begleitet. Stets ging es um das Magische im Bild und um das Bild des Magischen. Dass die Jazzfotografie in den 40er- und 50er-Jahren ihren Kunstanspruch intensivierte, spiegelt die musikalischen Prozesse im Prozess des Übergangs vom Swing zum Bebop wider. Mit der Individualisierung im Bebop und Cooljazz rückt das Bild vom und als Selbstausdruck in den Vordergrund. Und in Gestalt von William Claxton betrat ein Fotograf die Szene, der zu einem Klassiker werden sollte. Vergessen sei nicht, dass die Bedeutung der Covergestaltung, die auditive und visuelle Ästhetik der Langspielplatten, wesentlich zum Erscheinungsbild, zum Image des Jazz beigetragen hat. Das Label Blue Note, Alfred Lion und Francis Wolff, hat auf diesem Gebiet Maßstäbe gesetzt.
Mit dem Freejazz und der freien Improvisationsmusik ging eine Steigerung, manchmal auch eine Übersteigerung des Expressiven daher. Dort fand Matthias Creutziger seinen Ansatzpunkt. Er hat diese Musik fokussiert und zugleich seinen Blickwinkel erweitert. Wir haben uns in Peitz getroffen, aber auch beim Jazzfestival in Prag und beim Jazz Jamboree in Warschau, das bis zum Ende der 80er-Jahre zu unseren Pflichtveranstaltungen zählte. Vom europäischen Freejazz ausgehend, hat sich Matthias Creutziger auch andere Bereiche des Jazz angeeignet Bereiche der afroamerikanischen Ästhetik ebenso wie populärere Spielarten. Wenn ihm vermeintliche Außenseiter ebenso bemerkenswert erscheinen wie Prominente oder Stars, so gelang es ihm, mit dieser Sichtweise zur Demokratisierung der Jazzmusik beizutragen. Dabei entwickelte er einen untrüglichen Sinn für das, was guten Jazz, was im Eigentlichen Kunst ausmacht: Authentizität. Matthias Creutziger gelingt es, Wesentliches im Bild festzuhalten. Das Augenmerk auf das Charakteristische zu legen, drängt mitunter zum künstlerischen Minimalismus. WahlverwandschaftDie Künstlerfreundschaft zwischen dem 1999 tragisch früh verstorbenen Grafiker Jürgen Haufe und dem Fotografen Matthias Creutziger drückte sich in wahlverwandten Bestrebungen aus. In Arbeiten beider kann man das Ringen um das Signifikante verfolgen. Und wie Jürgen Haufe Fotografien von Matthias Creutziger als Ausgangspunkt für grafische Arbeiten nutzte, wie er von diesen abstrahierte oder wie er sie als konkretes Material collagierte, offenbart Unterschiede der Genres wie auch Korrespondenzen im ästhetischen Denken und Empfinden. In überbordenden Bilderwelten und richtungslosen Bilderfluten bedeuten dem Wortsinn nach wertvolle Fotografien so etwas wie visuelle Anhalts- und Orientierungspunkte. Besinnung bedeutet zugleich, neuen Sinn für eine Ökologie der Bilder zu entwickeln. Das hat Susan Sontag in ihrer bereits 1977 veröffentlichten genialer Essay-Sammlung On Photography herausgearbeitet. Sätze wie diese erscheinen heute hochaktuell: Unser niederdrückendes Gefühl der Flüchtigkeit aller Dinge hat sich nur noch verstärkt, seit uns die Kamera die Möglichkeit gegeben hat, den flüchtigen Augenblick zu fixieren. Wir konsumieren Bilder mit ständig wachsender Geschwindigkeit, und man denke an Balzacs Vermutung, dass eine Kamera Schichten des Körpers verbrauche Bilder konsumieren die Realität. Die Kamera ist Gegengift und Krankheit zugleich, Mittel zur Aneignung der Realität und Mittel zu ihrer Abnutzung. (...) Die Macht der fotografischen Bilder leitet sich ab aus der Tatsache, dass sie unabhängige materielle Realitäten sind, höchst informative Ablagerungen dessen, was sie ausgesendet hat, Mittel, die überaus geeignet sind, den Spieß umzudrehen gegenüber der Realität das heißt diese Realität zum Schatten zu machen. Bilder sind realer, als irgend jemand hätte ahnen können. Und gerade weil sie eine unerschöpfliche Quelle sind, die keine noch so ungehemmte Konsumgier erschöpfen kann, besteht umso mehr Grund, sie zu erhalten. Wenn es für die reale Welt eine bessere Möglichkeit geben kann, die Welt der Bilder in sich einzuschließen, dann wird es nicht nur einer Ökologie der realen Dinge bedürfen, sondern auch einer Ökologie der Bilder. Für sein Foto-Buch 1999 A Visual Diary, seinen persönlichen Abschied vom 20. Jahrhundert, hatte sich der Fotograf Frank Horvath, in Europa umherreisend, zum Ziel gesetzt, jeden Tag ein Bild zu machen, das für ihn Gültigkeit besitzt. In einem Fernsehinterview danach befragt, ob er daran gedacht habe, sich dabei irgendwann in jemanden verlieben zu können, antwortete er: Ja, daran habe er schon gedacht, aber am Ende des Jahres hätte er gewusst, dass er sich in die Wirklichkeit verliebt habe. In seinem Buch mit Jazzfotografien, veröffentlicht 1996 im Wolke Verlag, Hofheim, arbeitet Matthias Creutziger mit sparsam eingestreuten, genau an die richtige Stelle gesetzten Zitaten aus der Belletristik. Auf einer der letzten Seiten finden sich Worte von Julio Cortázar, die auf den Fotografen Creutziger zutreffen, der sich einst in Peitz lebenslang in den Jazz verliebt hat: Jazz ist wie ein Vogel, der wandert oder auswandert und einwandert oder weiterwandert, ein Überdieschrankenspringer, ein Zollgrenzenverspotter, ein Läufer, der überall ist... Überall mit der Gabe der Allgegenwart... In Birmingham, in Warschau, in Mailand, in Buenos Aires, in der ganzen Welt, er ist unvermeidlich, er ist der Regen und das Brot und das Salz... eine Wolke ohne Grenzen. Matthias Creutziger hatte oft einen glücklichen Griff, was Zitate anbelangt. Auch in dem von ihm gestalteten Jazzkalender, der zu DDR-Zeiten ein Profil ausprägte, das Wert gewesen wäre, länger weitergeführt zu werden, schließlich aber keinen Verleger mehr fand, arbeitete er mit Texten und Aphorismen. Jean Cocteaus Ausspruch Nichts ist intensiv genug, es sei denn, es ist Jazz passt trefflich zu Creutzigers Bildern. Und auf einer Neujahrskarte, dem Foto eines armseligen, aber in seiner Existenz wohl glücklichen Straßenmusikers, brachte Matthias ein Zitat von Isaac B. Singer unter: Der Mensch lebt nicht nach den Gesetzen der Vernunft. Vom Jazz inspiriert, hat sich Matthias Creutziger auch mit anderen Wirklichkeitsbereichen beschäftigt und in den letzten Jahren in romantischen Natur- und Stadtlandschaften neue Bezugspunkte für eine außergewöhnliche Betrachtung gefunden. Wer nur vom Jazz etwas versteht, versteht auch davon nichts, könnte man in Abwandlung eines Zitates von Hanns Eisler anmerken. Jazz ist für Matthias Creutziger ein Objektiv und ein subjektives Bekenntnis, ein Brennpunkt und ein Weitwinkel. Bert Noglik Aktuelle Ausstellungen von Matthias Creutziger:
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