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Inzwischen wurde Youn Sun Nah der französische Verdienstorden verliehen, und die Preise stapeln sich in der Vitrine. Sie gilt als wichtige neue Kraft des Jazzgesangs und macht doch eigentlich Kammermusik – insbesondere mit ihrem neuen Album „Lento“. Foto: Ralf Dombrowski Beim Stöbern im Internet stieß Youn Sun Nah auf das Video eines jungen Pianisten, der ein Prélude von Alexander Skrjabin spielte. Das Stück mit der Tempoangabe „Lento“ packte die Sängerin, und sie hatte das Gefühl, zehn Minuten lang eine kleine Sinfonie erlebt zu haben, obwohl nur rund eine Minute vergangen war. So wurde es zum Anlass dafür, wieder ins Studio zu gehen, um die 2009 begonnene Arbeit mit dem schwedischen Gitarristen Ulf Wakenius fortzusetzen: „Für mich ist ,Voyage’, ,Same Girl’, ,Lento’ eine Trilogie. Es geht um das Erforschen dieser intimen musikalischen Atmosphäre. Für mich ist der Erfolg der Alben ein kleines Wunder. Auf der anderen Seite bin ich immer noch die gleiche Person, mein Leben hat sich nicht viel geändert, außer dass ich etwas mehr Geschwindigkeit gelernt habe und das Bedürfnis entwickelt habe, zwischendurch auch wieder zu bremsen. ,Lento’ bedeutet daher für mich vor allem: ,Lass Dir Zeit! Keine Panik!’ Das gilt auch für die Bühne. Ich habe da alle Zeit der Welt und nehme sie mir.“ Der eigene BlickBis Youn Sun Nah dieses Selbstverständnis entwickelt hatte, sind einige Jahre ins Land gegangen. Geboren in Seoul und Tochter aus musikalischem Hause – der Vater war Dirigent, die Mutter Sängerin der traditionellen koreanischen Komödie – hatte sie es zunächst im klassischen Fach und mit Musicals versucht. Mit Mitte Zwanzig allerdings zog sie nach Paris, und damit änderte sich ihr musikalischer Horizont grundlegend: „Bevor ich nach Paris kam, kannte ich keinen Jazz. Als ich dann Unterricht genommen habe, versuchte ich es erst einmal mit Standards und habe nur Swing gesungen. Aber das klang falsch. Mir war schnell klar, dass ich nie wie Ella Fitzgerald sein könnte, schon gar nicht mit meinem asiatischen Aussehen. Alle, die ich gefragt habe, meinten zu mir: ,Mach deinen eigenen Jazz!’ Das habe ich dann versucht. Letztlich hat mir diese Musik viel Freiheit gegeben.“ Der Erfolg setzte ein, denn die gewaltige Stimme der zierlichen Frau beeindruckte die Menschen. Sie nahm eine Handvoll Alben auf, tourte durch Europa und Asien, gewann Preise und Wettbewerbe. Mehr und mehr wagte sie sich auch an Musikstücke in ihrer Muttersprache und entwickelte eigene Klangvorstellungen, die mit einem Mal auf besondere Resonanz stießen, als sie den schwedischen Gitarristen Ulf Wakenius kennenlernte. Er war der Partner, den sie brauchte, versiert, vielseitig, ein stilistischer Alleskönner, dem wiederum ein wenig Unverwechselbarkeit gefehlt hatte. In der Kombination ergänzten sie sich so symbiotisch, dass man sie bald auf vielen Bühnen und im Studio erleben konnte: „Die produzierte Seite beim Jazz interessiert mich eigentlich nicht so sehr. Ich bin schon mit meiner früheren Band am liebsten ins Studio gegangen und habe dann einfach aufgenommen, was kam. Mit Ulf Wakenius ist das ähnlich. Ich bin Sängerin und will am liebsten drei, vier, fünf Versionen eines Stücks aufnehmen. Aber Ulf meint, das bringt nichts. Wir haben dann oft den ers-ten Take genommen. Er war tatsächlich meistens der beste.“ Feinheit, FreiheitNeben Ulf Wakenius gehören der Bassist Lars Danielsson und der Perkussionist Xavier Desandre Navarre zum festen Team der Studiosessions. Inzwischen ist außerdem der Akkordeonspieler Vincent Peirani hinzugekommen, mit dem Youn Sun Nah schon seit einem Jahrzehnt immer mal wieder gespielt hat: „Vincent ist Akkordeonist, aber er könnte auch Sänger sein. So wie er spielt, wie er schreibt, denkt er in vieler Hinsicht gesanglich und melodisch.“ Und das ist wichtig, denn auch „Lento“ lebt von der Atmosphäre des musikalischen Kammerspiels, die den Liedern die Kraft gibt. Skrjabins Prélude steht am Anfang, ein Song von den Nine Inch Nails ist dabei, eine Melodie aus Korea und ein aufbrandendes „Ghost Riders In The Sky“. Das Meiste jedoch ist aus eigener Feder der Beteiligten, Musik, die ebenso fragil wie nachdrücklich mit den Möglichkeiten der improvisierenden Kommunikation agiert. „Für mich ist jedes Stück wie ein Theater und erzählt eine Geschichte, die dargestellt werden will“, meint Youn Sun Nah. Das aber ergibt eine Sammlung von Miniaturen, deren individuelle Stimmkunst auch bei „Lento“ aus dem Rahmen fällt. Text/Foto: Ralf Dombrowski |
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