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Jazzzeitung

2013/02  ::: seite 22

geschichte

 

Inhalt 2013/02

Inhaltsverzeichnis

Sternlein STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene /Jazz-ABC: Charlie Ventura no chaser: Europa und der Jazz standards: Giant Steps farewell: Günther KlattLeo von Knobelsdorff

Sternlein TITELSTORY: <Mit Swing in die Zukunft
Das Parov Stelar-Projekt belebt die Clubszene

Sternlein GESCHICHTE -
New York – Kopenhagen – New York
Dextivity: Gedanken zum 90. Geburtstag des Saxophonisten Dexter Gordon (2)

Sternlein DOSSIER: It’s a man’s world
Instrumentalistinnen im frühen Jazz · Von Hans-Jürgen Schaal

Sternlein Berichte
Nachwort zur Ausstellung „ECM – Eine kulturelle Archäologie“ //50. Jazz it!-Konzert in Germering // Max von Mosch Orchestra im Leeren Beutel Regensburg // 8. Festival Women in Jazz // Billy Martin’s Wicked Knee & Mostly Other People Do The Killing beim Salzburger Jazzit

Sternlein Portraits / Jubilee
Efrat Alony// German Jazz Trophy 2013 für Lee Konitz //Youn Sun Nah // Fotograf Guy Le Querrec

Sternlein Jazz heute und Education
Abgehört: Ein singender Trompeter
Chet Bakers Scat-Solo über „Dancing On The Ceiling ...

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

New York – Kopenhagen – New York

Dextivity: Gedanken zum 90. Geburtstag des Saxophonisten Dexter Gordon (2)

In der ersten Folge verfolgte Marcus A. Woelfle Dexter Gordons Weg bis zu seinem Wirken in New York in der Mitte der 40er-Jahre und ging der Frage nach, was seinen Stil in den Jahren, als der Bebop sich durchsetzte, so wegweisend machte. Hier schließt der zweite Teil nahtlos an.

EINFLUSS LESTER YOUNGS

Dexter Gordon: Foto: Hans Kumpf

Dexter Gordon: Foto: Hans Kumpf

Vor allem durch Dexter Gordon wurde auch Lester Youngs innovative Spielweise ein wichtiger Einfluss für Bebop-Tenoristen. Allerdings dürfte auch Budd Johnson, der mit Lester Young befreundet gewesen war und selbst auch den Berühmteren geprägt haben soll, in der Übertragung „prezischer“ Stilelemente auf den Bebop eine, wenn auch wesentlich geringere, Rolle gespielt haben. Hieß Young zu folgen in späteren, coolen Zeiten, leise und verhalten, wenn nicht gar ein Flüsterhorn zu spielen, so war das bei Dexter Gordon noch ganz anders. Indem er Youngs Neigung zur Reduktion (Understatement statt Dramatik, weniger Töne) und Hawkins Neigung zur Fülle (sonore Muskulösität) auf geniale Weise verband, schuf er etwas ganz Neues. Die Botschaft wurde bald gehört. Dexters Freund Gene Ammons etwa wurde das Extrembeispiel eines Young-Schülers mit einem wuchtigen, massiven Sound. Was der so schlank tönende Lester „Pres“ Young wohl dazu gedacht hat? Nun, es gibt Aufnahmen aus dieser Zeit, auf denen er relativ laut spielt...

Dexter Gordons Stil war aber auch eine Novität innerhalb des Bebop, da er ja nicht nur ein „Parker auf dem Tenor“ war. Das Wort „Be­bop“ gilt auch heute noch als Synonym für unglaub­lich schnell gespielte, nervöse, hektische, aus unendlich vielen Tönen bestehende Musik. Genau das brachte die Bop-Gegner auf die Barrikaden. Indem Dexter Gordon, der von Young kommend relaxed hinter dem Beat spielte, Gelassenheit über Raserei bewahrte, und sich auch bei aller Virtuosität nie dazu verleiten ließ, eine überflüssige, unbegründete Note zu spielen, brachte er ein Maß an Ruhe in den Bebop, das zumindest nicht an der Tagesordnung war. Nicht dass seine Musik dadurch weniger hot gewesen wäre. Sie kochte trotzdem!

„When Lester came out he played very melodic. Everything he played you could sing. He was always telling a story and Bird did the same thing. That kind of musical philosophy is what I try to do because telling a story is, I think, where it’s at”, erklärte Dexter Gordon einmal Chuck Berg vom Down Beat: „In the ‘30s, cats were playing harmonically, basically straight tonic chords and 7th chords. Lester … was playing the 6th and the 9th. He stretched it a little by using the same color tones used by Debussy and Ravel, those real soft tones… Then Bird extended that to 11th’s and 13th’s like Diz, and to altered notes like the flat 5th and flat 9th. … I was just lucky. I was already in that direction, so when I heard Bird it was just a natural evolution.” Seinem in den späten 40er-Jahren gefundenen Stil sollte Gordon treu bleiben, nicht ohne ihn unter dem Eindruck seiner von ihm als „Söhne“ bezeichneten Kollegen Sonny Rollins und John Coltrane zu modifizieren.

ZURÜCK IN DEN WESTEN

Obwohl die Musik in New York spielte, wo er so nachhaltige Eindrücke hinterließ, zog es Dexter Gordon nach Los Angeles zurück, wo er sich mit dem geistesverwandten Wardell Gray anfreundete, dessen Stil ebenfalls von „Pres“ und „Bird“ geprägt war. The Chase hatte 1947 ihren Ruhm als legendäres Tenor-Tandem der Bebop-Geschichte gegründet, zahlreiche Live-Auftritte hatten ihn untermauert, bis die Zusammenarbeit 1952 endete, als Dexter Gordon wegen Drogenbesitzes ins Gefängnis kam. Kaum dass er 1955 wieder auf freiem Fuß war, starb Gray (dessen Todesursache lang Zeit geheimnisumwittert war) an einer Überdosis Heroin. Noch in diesem Jahr wirkte Gordon an einigen Aufnahmen mit, den einzigen Dokumenten für lange Zeit: zwei Alben, deren programmatische Titel seinen Status als Vater der tenoristischen Moderne unterstreichen – Daddy Plays The Horn und Dexter Plays Hot And Cool – und eines als Sideman des Drummer Stan Levey. Die Freiheit dauerte nur wenige Monate: Gordon wurde rückfällig und landete wieder bis 1960 hinter Gittern.

Diese unglaublich lange, erzwungene Auszeit ist umso tragischer, als die Stimme Gordons gerade dort, wo sie so gut hingepasst hätte, im New York der 50erJahre, in der musikalischen Landschaft Art Blakeys, Miles Davis’, Sonny Rollins, Max Roachs, Thelonious Monks und Cannonball Adderleys, nicht zu Gehör kam. „Actually, jail probably saved my life”, lautete Gordons positivere Sichtweise der Dinge: „I got a chance to rest my body, to build it up, to get healthy.”

Es ist das große Verdienst des Altsaxophonisten Cannonball Adderley, den frisch aus der Haft Entlassenen wieder in ein Plattenstudio gebracht zu haben. Cannonball produzierte 1960 für Jazzland das Comeback-Album, The Resurgence of Dexter Gordon, das eine rege Aufnahmetätigkeit einleitete. (Eine gemeinsame Platte mit dem beliebten und beleibten Altisten wäre sicherlich auch interessant gewesen, doch so ein Treffen kam erst 1973 in Montreux zustande).

DIE BLUE-NOTE-JAHRE

Wieder in New York stellte Gordon fest, dass ihm wegen seines gesühnten Drogenkonsums die für Auftritte in Lokalen mit Alkoholausschank benötigte berüchtigte cabaret card verweigert wurde. Das kam fast einem generellen Auftrittsverbot gleichkam. Dass er ab 1961 für Blue Note eine Reihe späterer Kultplatten aufnehmen konnte, Meilensteine wie etwa „GO!“ und „A Swinging Affair“ (1962 mit Sonny Clark, Butch Warren und Billy Higgins), änderte nichts an dieser Misere. Während Thelonious Monk einige Jahre zuvor in der gleichen Situation die Zähne zusammenbiss und in New York ausharrte, packte Gordon 1962 für Auftritte in London die Koffer. Obwohl dies ursprünglich gar nicht beabsichtigt gewesen war, blieb er 14 lange Jahre in Eu ropa, wo er in Frankreich und insbesondere in Dänemark eine neue Heimat fand. Dort wurde der Kopenhagener Jazzclub „Montmartre“ sein „Hauptquartier“. Er machte wie so viele amerikanische Exilmusiker die Erfahrung, dass man in der alten Welt eher dazu bereit war, Schwarze als gleichwertige Menschen und Jazzmusiker als Künstler zu behandeln. Der dänische Rundfunk übertrug sogar regelmäßig seine Live-Konzerte im Rundfunk – eine Ehre, die ihm in den Staaten wohl kaum zu Teil geworden wäre. Natürlich gab es bisweilen auch Schwierigkeiten: Als Dexter 1966 in Frankreich wegen Drogenbesitzes verhaftet wurde, wollte ihm das dänische Innenministerium die Wiedereinreise verweigern. Doch es hatte die Rechnung ohne seine Bürger gemacht. Sie gingen mit Transparenten auf die Straße – „We want Dexter – we don’t want the NATO“ – und schafften es, den Tenortitanen wieder in seine Wahlheimat zu holen.

Er hatte in Europa immer genug Auftrittsmöglichkeiten und zudem häufig die Möglichkeit mit seinesgleichen, amerikanischen Exilmusikern wie den Pianisten Bud Powell und Kenny Drew oder den Tenoristen Ben Webster und Johnny Griffin zu musizieren. Our Man In Paris, 1963, mit Bud Powell, Pierre Michelot und Kenny Clarke aufgenommen, ist geradezu das Denkmal jener Ära, das Vorspiel zum zwei Jahrzehnte später entstandenen Film „Round Midnight“. „Setting the Pace“ ist das Dokument einer solchen Begegnung. Sie fand in München statt, als der explosive, bei Charles Mingus bekannt gewordene Tenorist Booker Ervin seinen musikalischen Vater Dexter, dessen „wirklich harten, lauten Sound“ er schätzte, zu einer groß angelegten Tenor-Battle herausforderte.

DIE Prestige-JAHRE

Diese Platte hatte zu einer Begegnung mit dem berühmten Plattenlabel Pres-tige geführt, zu dessen Aushängeschilder große Tenoristen wie Sonny Rollins, John Coltrane, Gene Ammons und Sonny Stitt gehörten beziehungsweise gehört hatten. Es war nur passend, dass Prestige später jenen Mann unter seine Fittiche nahm, ohne den die Entwicklung dieser Künstler wohl einen anderen Verlauf genommen hätte. Die Aufnahmeserie begann 1969, als Dexter Gordon erstmals seit 1965 wieder die Staaten besuchte, und endete vier Jahre später. Die Prestige-Alben zeigen die Saxophonlegende auf einem Höhepunkt ihrer Kreativität: Der Endvierziger verfügte hier noch über die Kraft der Jugend und schon über die Weisheit des Alters. Dass die Prestige-Alben wie „The Tower Of Power“ (1969) oder „The Jumpin’ Blues“ (1970) vergleichsweise weniger bekannt sind, dürfte an ihrer Entstehungsgeschichte liegen. Die meisten von ihnen kamen während der Hochzeit von Rock und Jazz-Rock heraus, als die von Gordon vertretene Musikrichtung weniger gefragt war denn je. Erst ab dem Comeback der späten 70erJahre schenkte man Gordon und seinen Alben die gebührende, so lange versagte Aufmerksamkeit. Das Album The Panther scheint auch die Hauptursache dafür gewesen zu sein, dass Dexter Gordon 1971 im Critics Poll des Down Beat erstmals den ersten Platz unter den Tenoristen belegte – einen Platz, den er Sonny Rollins entriss, der ihn sonst von 1969 bis 1976 innehatte.

DAS REPERTOIRE DER SPÄTEN JAHRE

Prestige, Steeplechase, Columbia und dann wieder Blue Note dokumentieren neben einigen kleinen Firmen das Schaffen der 70er- und 80er-Jahre. In den Uptempo-Stücken wie Rollins Airegin erwies er sich mehr denn je als gelassenster Saxophonist des Bop. Immer ein Zitat auf den Lippen, ein Büchmann der geflügelten Töne und ein Chorusarchitekt erster Garnitur war er auch ein unterschätzter Themenkomponist: Das auf den Harmonien von It Could Happen To You basierende Fried Bananas und das von All The Things You Are abgeleitete Boston Bernie gehörten zu den gefragten Dexter-Spezialitäten jener Zeit.

Der keinen einzigen Ton verschwendende Riese mit dem robusten Sound zeigte sich selbst mit so unerwartetem Material wie Those Were the Days oder The Christmas Song als inniger Balladengroßmeister, der durch aufrichtige und unsentimentale Interpretationen stark berühren konnte. Wie Lester Young war Gordon davon überzeugt, man könne einen Song nur dann richtig spielen, wenn man den Text kennt. Im Alter verblüffte er daher bei Konzerten die Hörer immer wieder damit, dass er mit seiner langsamen, tiefen Stimme die Verse von Songs rezitierte. „Große Jazzmusiker sind wie große Regisseure“ meinte einmal der Regisseur Betrand Tavernier, dem das Verdienst zu kommt, den alternden Dexter Gordon durch den Film „Round Midnight“ vollends zur Kultfigur gemacht zu haben: „Sie können etwas aus Vorlagen machen, die nicht von Ihnen stammen. Dexter Gordon hat Standards gespielt wie Body And Soul, aber es klingt nicht wie das Body And Soul von Louis Armstrong oder das von John Coltrane.“ Und man möchte hinzufügen, das von Coleman Hawkins, der dem Song für alle Zeiten den Stempel aufdrückte und somit zu einem Test für nachfolgende Tenoristen machte. Dexter Gordon folgte bei dieser Ballade meist einem festen Konzept, das seine Inspiration von der Coltrane-Version nicht verleugnet und eine Verwendung bestimmter Zitate vorsieht. Insbesondere Zitate aus Nancy With the Laughing Face und in der Coda aus If You Coud See Me Now hat er so oft im Laufe seiner Karriere bei Body and Soul angebracht, dass sie für ihn einfach zu diesem Stück dazugehörten. Es wäre verfehlt Dexter deswegen Einfallslosigkeit vorzuwerfen, denn selbst Hawkins hielt bei diesem Song an einem einmal gefundenen Konzept fest. Innerhalb dieses Konzeptes spielte Gordon sehr variabel, Es gibt langsamere, schnellere, kraftvollere, elegischere Versionen von Body and Soul, das er nie müde wurde zu interpretieren und in über einem Dutzend seiner Versionen zwischen 1964 und 1985 erhalten ist.

Das COMEBACK

1976 kehrte Gordon nach New York zurück, in ein Amerika, dessen Jazz-Szene des Jazz-Rocks langsam müde wurde und bereit war, nach all dem Electric Jazz dem akustischen Straight Ahead Jazz wieder eine Chance zu geben. Das konnte Gordon zwar nicht ahnen, aber nach umjubelten Auftritten im vollen Village Vanguard wurde es immer offensichtlicher, dass er dazu berufen war, die Bebop-Renaissance einzuleiten.

Die Rückkehr in die USA war ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite war es seine Heimat, in der er auf einmal in bislang ungewohnter Weise Beachtung fand. Auf der anderen Seite dachte der von der europäischen Kultur und Mentalität stark geprägte Musiker nach eigener Aussage einfach nicht wie ein Amerikaner. Seine Musik kündete im Laufe der Jahre immer mehr von Wehmut, freilich einer Melancholie eines kraftvollen Menschen mit Humor. In den Vereinigten Staaten stieg sein Alkoholkonsum und verschlechterte sich sein Gesundheitszustand dermaßen, dass er kaum etwas anderes zu tun brauchte als sich selbst zu spielen, als er 1986 in der Rolle eines trunksüchtigen, erschöpften, dem Tode nahen Saxophonisten im Film „`Round Midnight“ spielte. Bei aller Hinfälligkeit im Leben und in dieser Rolle, die ihm sogar eine Oscar-Nominierung einbrachte, bewahrte er stets jenes hohe Maß an Würde und respektgebietender Größe, die ihn ein Leben lang auszeichnete.

Am 25. April 1990 starb in Philadelphia zwar der liebenswürdige Riese Dexter Keith Gordon, der Vater des modernen Tenorsaxophons, nicht aber seine Musik, denn „...Jazz is such a living thing. It will never die, because it can use things from everywhere, from all kinds of music, and you can take what is valid and incorporate it into jazz – into your thing.”

Marcus A. Woelfle

 

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