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Auch in New York und Chicago findet Jazz immer häufiger in seriösen Konzertsälen und zu unerschwinglichen Eintrittspreisen statt – ganz so wie Bach- und Beethoven-Konzerte. Deshalb glauben selbst die schwarzen Kids in Amerika heute, Jazz sei eine europäische Erfindung. In der Tat haben die Europäer einmal wichtige Rezept-Zutaten für den Jazz nach Amerika geliefert: schottische Tänze, irische Balladen, italienische Opern, französische Rohrblatt- und deutsche Blechkultur. Die afroamerikanischen Köche vor Ort mussten eigentlich nur noch ihren federnden Rhythmus, ihre Improvisationsfreude und ein paar Blue Notes beimischen – und fertig war der Jazz. Daher sind die Europäer so stolz auf diese Musik. Franzosen und Engländer schrieben die ersten ernsthaften Jazzbücher. Europäische Clubs, Festivals, Plattenfirmen und Radios wurden in schwierigen Jahren sogar zur Überlebensgarantie für amerikanische Jazzmusiker. Ganz Europa liebt den Jazz – als Utopie. Denn Europa wäre gerne so spontan, so überzeugend, so kompakt, so gefestigt wie diese Musik. Ist es aber nicht. Und ob der Jazz, den die Europäer heute selber machen, den Namen „Jazz“ überhaupt verdient, das bezweifelt nicht nur Branford Marsalis. Deshalb braucht Europa jetzt dringend EU-Normen für seinen Jazz. Es gibt bereits EU-Normen für die Länge und Dicke von Bananen, die Festigkeit der Pizza, den Durchmesser und das Volumen eines Kondoms, den Abstand zwischen Grillstäben, die elektrische Leitfähigkeit von Honig und den Salzanteil im Brot. Höchste Zeit also, dass auch die Sattheit der Jazz-Grooves und die Dichte der Jazzballaden-Akkorde normiert werden. Auch der notwendige Swing-Anteil, der Höchstabstand zwischen den Beats und die Größe des Saxophontons verlangen nach EU-Vorschriften. Hier kann sich Europas Jazz-Liebe zeitgemäß beweisen. Rainer Wein |
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