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Wer war Günther Klatt, der am 8. Dezember 2012 für immer sein Saxophon aus der Hand gelegt hat? Sein Jugendfreund, der Jazzgeiger Mic Oechsner, hat es so auf den Punkt gebracht: „Ein Angry Young Man, hochintelligent, Allrounder, Bastler, Sturschädel, Genießer, Einzelgänger, Anarchist. Ein Musiker, aber nicht nur. Auch Maler, Bühnenbildner. Ein von jeder Form des Ausdrucks faszinierter und ein faszinierender Mensch, ein Eigenbrödler und später auch ein Grantler.“ Foto: Petra Recht Wie nahtlos Klatts verschiedene Fähigkeiten Hand in Hand gingen, zeigt ein Zitat aus der JazzZeitung vom April 1998: „Balladen spielen ist das, was ich am liebsten tue und am besten kann… Ein Saxophonsolo spielen oder ein Bild malen: Das sind zwar ganz verschiedene Medien, aber eigentlich ist das genau dasselbe. Musikalisch denke ich in Formen und Farben. Für mich haben Balladen mehr mit Frauen und Malerei zu tun als mit irgendwas anderem. Manche sind impressionistische Collagen, andere sparsam und intim, wieder andere die pure Attacke.“ „Strangehorn“ heißt eine Ballade aus der Feder von Günther – oder wie es auf gut amerikanisch auf seinen Alben steht – Gunther Klatt. Eine Version findet sich auf seinem bekanntesten Album, „Gunther Klatt & Aki Takase Play Duke Ellington“ (1990). „Strangehorn“, das war freilich eine Verbeugung vor Billy Strayhorn, Duke Ellingtons Alter Ego. Da gibt es Passagen, in denen Klatt sich unmissverständlich als Blutsbruder von Ellington-Saxophonisten wie Ben Webster und Paul Gonsalves erweist. Doch in der Art, wie dieses ebenso sensible wie unangepasste Original so altehrwürdige Songs entstaubte, war Klatt selbst ein Mr. Strangehorn. Seine Angriffe auf verkrustete Hörgewohnheiten verdankten sich nicht irgendeinem ausgeklügelten System mathematisch-musikalischer Hirnakrobatik, sie waren schlicht die Folge unverhohlen dargereichter Emotionalität und sinnlicher Klanglust. Wenn Klatt spielte, klang es oft so, als risse er sich das Herz aus dem Leib, um es für alle sicht- und hörbar zu machen: Der Aufschrei der Wut, das Wehklagen des Schmerzes waren ebenso ehrlich wie Freudentaumel oder Zärtlichkeit, nur drückten sie sich bei diesem weitgehend autodidaktischen Künstler nicht so formelhaft und vorhersehbar aus, wie wir es in Zeiten einer zunehmenden Akademisierung im Jazz gewohnt sind. Da mag es, „jazzpolizeilich“ betrachtet, falsche Töne gegeben haben, aber nie einen falschen Ton. Klatt, der in den 80er- und 90er-Jahren seine Glanzzeit als Musiker hatte, war eine Ausnahmeerscheinung unter den Tenorsaxophonisten seiner Generation, die sich ja meist an Michael Brecker orientierten und denen es um virtuose Geläufigkeit und klangliche Geschmeidigkeit zu tun war. Klatt aber ging es um Ausdruck. Er griff auf den voluminösen, vibratoreichen und klangfarblich reicher abgestuften Sound der Tenoristen der Swing-Ära zurück. Er tat dies aber keineswegs in der Art der konservativen Außenseiter seiner Generation wie etwa Scott Hamilton, die sich in ihrer Hinwendung zu den gleichen Idolen, sich stilistisch in einer glorreichen, scheinbar weniger problematischern Vergangenheit einrichteten. Am ehesten ist Klatts Ansatz mit dem des späten Archie Shepp zu vergleichen. Der Sound der Ahnen erschien ähnlich wie bei Shepp oft wie in geisterhafter Verzerrung, in exzessiver Übersteigerung. Rau und ungestüm stieß er ins Horn, verwies mit der Dinglichkeit auf den Ernst im Spiel. Marcus A. Woelfle
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