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Jazzzeitung

2013/02  ::: seite 23

farewell

 

Inhalt 2013/02

Inhaltsverzeichnis

Sternlein STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene /Jazz-ABC: Charlie Ventura no chaser: Europa und der Jazz standards: Giant Steps farewell: Günther KlattLeo von Knobelsdorff

Sternlein TITELSTORY: <Mit Swing in die Zukunft
Das Parov Stelar-Projekt belebt die Clubszene

Sternlein GESCHICHTE -
New York – Kopenhagen – New York
Dextivity: Gedanken zum 90. Geburtstag des Saxophonisten Dexter Gordon (2)

Sternlein DOSSIER: It’s a man’s world
Instrumentalistinnen im frühen Jazz · Von Hans-Jürgen Schaal

Sternlein Berichte
Nachwort zur Ausstellung „ECM – Eine kulturelle Archäologie“ //50. Jazz it!-Konzert in Germering // Max von Mosch Orchestra im Leeren Beutel Regensburg // 8. Festival Women in Jazz // Billy Martin’s Wicked Knee & Mostly Other People Do The Killing beim Salzburger Jazzit

Sternlein Portraits / Jubilee
Efrat Alony// German Jazz Trophy 2013 für Lee Konitz //Youn Sun Nah // Fotograf Guy Le Querrec

Sternlein Jazz heute und Education
Abgehört: Ein singender Trompeter
Chet Bakers Scat-Solo über „Dancing On The Ceiling ...

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

Mr. Strangehorn

Zum Tode des Saxophonisten Günther Klatt · Von Marcus A. Woelfle

Wer war Günther Klatt, der am 8. Dezember 2012 für immer sein Saxophon aus der Hand gelegt hat? Sein Jugendfreund, der Jazzgeiger Mic Oechsner, hat es so auf den Punkt gebracht: „Ein Angry Young Man, hochintelligent, Allrounder, Bastler, Sturschädel, Genießer, Einzelgänger, Anarchist. Ein Musiker, aber nicht nur. Auch Maler, Bühnenbildner. Ein von jeder Form des Ausdrucks faszinierter und ein faszinierender Mensch, ein Eigenbrödler und später auch ein Grantler.“

Foto: Petra Recht

Foto: Petra Recht

Wie nahtlos Klatts verschiedene Fähigkeiten Hand in Hand gingen, zeigt ein Zitat aus der JazzZeitung vom April 1998: „Balladen spielen ist das, was ich am liebsten tue und am besten kann… Ein Saxophonsolo spielen oder ein Bild malen: Das sind zwar ganz verschiedene Medien, aber eigentlich ist das genau dasselbe. Musikalisch denke ich in Formen und Farben. Für mich haben Balladen mehr mit Frauen und Malerei zu tun als mit irgendwas anderem. Manche sind impressionistische Collagen, andere sparsam und intim, wieder andere die pure Attacke.“

„Strangehorn“ heißt eine Ballade aus der Feder von Günther – oder wie es auf gut amerikanisch auf seinen Alben steht – Gunther Klatt. Eine Version findet sich auf seinem bekanntesten Album, „Gunther Klatt & Aki Takase Play Duke Ellington“ (1990). „Strangehorn“, das war freilich eine Verbeugung vor Billy Strayhorn, Duke Ellingtons Alter Ego. Da gibt es Passagen, in denen Klatt sich unmissverständlich als Blutsbruder von Ellington-Saxophonisten wie Ben Webster und Paul Gonsalves erweist. Doch in der Art, wie dieses ebenso sensible wie unangepasste Original so altehrwürdige Songs entstaubte, war Klatt selbst ein Mr. Strangehorn. Seine Angriffe auf verkrustete Hörgewohnheiten verdankten sich nicht irgendeinem ausgeklügelten System mathematisch-musikalischer Hirnakrobatik, sie waren schlicht die Folge unverhohlen dargereichter Emotionalität und sinnlicher Klanglust. Wenn Klatt spielte, klang es oft so, als risse er sich das Herz aus dem Leib, um es für alle sicht- und hörbar zu machen: Der Aufschrei der Wut, das Wehklagen des Schmerzes waren ebenso ehrlich wie Freudentaumel oder Zärtlichkeit, nur drückten sie sich bei diesem weitgehend autodidaktischen Künstler nicht so formelhaft und vorhersehbar aus, wie wir es in Zeiten einer zunehmenden Akademisierung im Jazz gewohnt sind. Da mag es, „jazzpolizeilich“ betrachtet, falsche Töne gegeben haben, aber nie einen falschen Ton.

Klatt, der in den 80er- und 90er-Jahren seine Glanzzeit als Musiker hatte, war eine Ausnahmeerscheinung unter den Tenorsaxophonisten seiner Generation, die sich ja meist an Michael Brecker orientierten und denen es um virtuose Geläufigkeit und klangliche Geschmeidigkeit zu tun war. Klatt aber ging es um Ausdruck. Er griff auf den voluminösen, vibratoreichen und klangfarblich reicher abgestuften Sound der Tenoristen der Swing-Ära zurück. Er tat dies aber keineswegs in der Art der konservativen Außenseiter seiner Generation wie etwa Scott Hamilton, die sich in ihrer Hinwendung zu den gleichen Idolen, sich stilistisch in einer glorreichen, scheinbar weniger problematischern Vergangenheit einrichteten. Am ehesten ist Klatts Ansatz mit dem des späten Archie Shepp zu vergleichen. Der Sound der Ahnen erschien ähnlich wie bei Shepp oft wie in geisterhafter Verzerrung, in exzessiver Übersteigerung. Rau und ungestüm stieß er ins Horn, verwies mit der Dinglichkeit auf den Ernst im Spiel.
Der am 2. Mai 1957 in München geborene Klatt studierte Grafik und war neben seiner Tätigkeit als Musiker auch Bühnenbildner und vor allem in den letzten Jahren Maler und Bildhauer. Um 1976 begann er autodidaktisch Saxophon zu spielen, weitere Leidenschaften waren das von ihm so oft gemalte Venedig und das Motorradfahren. Er hatte 1979 seine ersten Auftritte und machte sich in den frühen 80er-Jahren an der Seite von Größen wie Dusko Goykovich, Sam Rivers, Joe Nay und dem am 2. September 2012 verstorbenen Lala Kovacev, der auch seiner eigenen Gruppe angehörte, einen Namen. 1982 legte er sein erstes eigenes Album vor und erhielt den Kulturpreis der Stadt München. In New York City 1984 bekam er in der „First European Jazz Competition“ den Ersten Preis der „International Jazz Federation“. Aus New York holte er den Posaunisten Marty Cook nach München. Zu den Formationen, die wir seither mit Klatt verbinden, gehören unter anderem ein Trio mit Jürgen Wuchner und Andreas Krieger, die Gruppe New York Razzmatazz, die Konferenz und ein Duo mit dem Pianisten Tizian Jost, mit dem er von 1986 bis 1998 spielte. Der Pianist Christian Ludwig Mayer musizierte in den letzten Jahren viel mit Klatt. Als ich ihn um einige Zeilen der Erinnerung bat, schrieb er sie mir überraschenderweise in Gedicht-Form.

Marcus A. Woelfle

Song für Klatt
(Christian Ludwig Mayer)

So fast aus dem Nichts kommt selten was.
Erst recht nicht jemand wie dieser.
Sich selbst geformt, sich selbst verformt im Eigenexperiment.
Nichts von „Habe ach…bla, bla“ sondern selber gesucht, gefunden, zusammengebastelt. Aber nicht irgendwie! Immer wieder zurück zum schöpferischen Grundprinzip! Anlass geschaffen! Auf Stärke und Aussage und Schönheit geprüft. Liegen gelassen. Dazwischen gekartelt auf dem Bollerofen. Nachgemeisselt. Liegen gelassen – genauso gekocht.

Fäct
Komplette Wohnung durchkomponiert,
Musik an die Wände genagelt.
Dreidimensionales in Notenzeilen gepresst. Jeder Gegenstand muss zum Objekt gemacht werden.
Leere Lufträume über den Opfern der Gravitation müssen ausgefüllt werden. Und? Funktioniert! Prost!

Fäct
Welt angeschaut, Adonis gewesen, geblüht, von Klippen gesprungen, ins Horn gestoßen, Schiffe versenken gespielt, allein. Vom Seeboden mit Gewalt wieder abgestoßen, vermutlich durchgeschwommen nach Venedig. Zauberhaft! Fantastic! Schönste Stadt der Welt! Kapitäns-patent?
Spencer und Rüschenbluse beim Palazzokonzert. Licht am Horizont. Schwarzer Krauser und Baccalau.

Fäct
Geschenke verpacken wird zur Teezeremonie.
Wieder nix von „Habe ach…bla, bla“ sondern selber gesucht, gefunden, zusammengebastelt. Jeder Tesastreifen ein Hauptdarsteller. Neubewertung sämtlicher Alltagsgegenstände als Ritualbesteck. Auf Stärke und Aussage und Schönheit geprüft. Liegen gelassen. Prost!
Auf die Straße unter die Leute, oder andersrum? Zurückgefunden
– nachgeschnitzt und gehustet.

Fäct
So fast aus dem Nichts kommt selten was.
Erst recht nicht jemand wie dieser.
Nichts von „Habe ach…bla, bla“ sondern selber gesucht, gefunden, zusammengebastelt. Aber nicht irgendwie! Immer wieder zurück zum schöpferischen Grundprinzip! Anlass geschaffen! Auf Stärke und Aussage und Schönheit geprüft. Liegen gelassen. Dazwischen gekartelt auf dem Bollerofen. Nachgemeißelt. Liegen gelassen – gelebt.

 

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