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Man fragt sich: Warum eigentlich nicht? Musikalisch gesehen gehören Nordafrika und die ganze südöstliche Mittelmeerküste zu den traditionsreichsten und vielfältigsten Regionen der Welt. Trotzdem hat der Jazz diesen Kulturraum noch nicht wirklich für sich entdeckt. Sicher, Ausnahmen bestätigen die Regel. Randy Weston eröffnete in den späten Sechzigern einen Jazzclub in Tanger. Ornette Coleman zog es wenig später zu den Berbern ins Atlasgebirge, wo er sich kurzzeitig in die Gnawa-Rhythmen verliebte. Dann war da natürlich Joachim-Ernst Berendt, der gerne alles Mögliche fusionierte und 1967 mit „Noon In Tunisia“ auch Orientaleskes produzierte, oder auch Klaus Doldinger, der aus Marokko Inspirierendes mitbrachte. Unterm Strich aber blieb der arabische Einfluss auf den Jazz lange Jahre marginal. Erst mit Musikern wie Rabih Abou-Khalil und Anouar Brahem änderte sich die Situation ein wenig, allerdings auch da mit speziellen Vorzeichen. Der eine konnte als Libanese auf eine profunde Unterhaltungstradition zurückgreifen, die er europatauglich sublimierte. Denn Libanon und Ägypten waren und sind zwei Zentren des arabischen Entertainments, mit eigenen Stilformen und zumeist der klanglichen Opulenz verpflichtet. Anouar Brahem wiederum ging als Tunesier ins französisch geprägte Exil und setzte seine kulturellen Wurzeln vor allem als Farbe ein, mit der er kammerjazzige Projekte tönte. Damit wiederum war er eine Art eleganter klassischer Gegenentwurf zu weltmusikalischen Tuchfühlungen, die mit Combos wie Embryo oder den Dissidenten den exotischen Klängen ebenso nachspürten wie dem weltmännischen Reiz gewürzkrautverhangener Intellektualität. Tatsächlich aber blieb die nordafrikanisch-arabische Musik bis vor
wenigen Jahren für Jazzkollegen ein Buch mit sieben Siegeln. Gründe
dafür gibt es viele. Zum einen existiert keine einheitliche Überlieferung,
vielmehr eine Vielzahl ausgereifter, zum Teil über Jahrhunderte
gewachsener Musiken, die nicht zwingend den Jazz als großen Bruder
brauchen. Sie sind oft ähnlich schwer zu erlernen wie etwa indische
Pendants und verweigern sich der schnellen Adaption. Viele Traditionen
haben rituelle Bedeutung oder klassischen, nur scheinbar improvisierenden
Hintergrund, andere sind – etwa im Fall des Flamencos – längst
und wie selbstverständlich zum Teil der europäischen Welt geworden.
Dazu fungieren religiöse Konnotationen vor allem in der amerikanischen
Rezeption als Adaptionsbremse, schon weil es kaum eine arabische Einwanderungskultur
in den Jazz-Städten der USA gibt. Und doch verändert sich nun die Situation. Der Krisenherd Nordafrika lenkt Aufmerksamkeit auf sich. Bereits vor den konkreten Freiheitskämpfen gab es den Rai in Frankreich, der den arabischen Pop neu deutete. Festivals wie in Fez oder Essaouira öffnen das Tor sowohl nach Europa wie nach Westafrika. Musiker wie Karim Zaid, Dhafer Youssef, Toufic Farroukh oder Driss El Maloumi gehen stilistisch weiter als frühere Kollegen, europäische Künstler wie Renaud Garcia-Fons oder die WDR Big Band entdeckten ihre Liebe zum Arabischen. Es gibt sogar Festivals wie das marokkanische Jazz Aux Oudayas, inzwischen Jazz au Chellah, das sich in Rabat seit den Neunzigern den Kulturkontakt einheimischer und europäischer Musiker auf die Fahnen geschrieben hat. Manches Projekt wie etwa die Zusammenarbeit von Joachim Kühn und Majid Bekkas nahm dort ihren Anfang und zeigt das kreative, sich gegenseitig inspirierende Potential, das in dieser Region schlummert. So hat ein Prozess des Austausches auf Augenhöhe begonnen, ausgehend von mehreren Seiten. Mit dem Fall der Diktaturen auf der einen und der zunehmenden Internationalität der kulturellen Wahrnehmung auf der anderen Seite könnten sich im Anschluss an die ersten Initiativen neue, inspirierende und respektvolle Möglichkeiten des gegenseitigen musikalischen Lernens entwickeln, auf friedlichem Wege über die Brücke der Kunst. Es ist eine Zeit der Chancen. Mal sehen, ob der Jazz sie ergreift. Ralf Dombrowski
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