Asien, Europa und die USA sind die Kulturachsen, auf denen Nguyên
Lê, stilvariabler Gitarrist vietnamesischer Herkunft mit Wohnsitz
in Paris, sich bewegt. Ressourcen für sein Jazz-Vehikel findet er
unterwegs, wenn er sich en passant Repertoire widmet, das ihm wahlverwandt
erscheint. Für sein aktuelles Album hat er Pophits aus den 1970er-Jahren
für seine Band nach eigenem Gusto re-komponiert. Im Gespräch
erläutert Nguyên Lê seine Intentionen bei diesem Projekt.
JazzZeitung: Nach welchen Kriterien haben Sie die „Songs Of Freedom” ausgewählt?
Nguyên Lê: Ziemlich spät, ich war etwa zwölf Jahre
alt, als ich Interesse für Musik entwickelte. Vorher hatte ich keine
Sensibilität dafür, sondern habe gemalt und gezeichnet. Diese
Songs sind also gewissermaßen Ikonen, weil sie meine Hinwendung
zur Musik bewirkt haben. Doch sie transportieren auch generell dieses
Gefühl von Anderssein aus Hippie-Attitüden und Anti-Vietnam-Krieg-Engagement
und symbolisieren so diese Ära des Protestes.
JazzZeitung: War auch ein Kriterium, dass Sie
diese Songs für Ihr
eigenes musikästhetisches System adaptieren konnten?
Lê: Natürlich. Ich habe mir viel von diesem Repertoire angehört,
auch von Deep Purple oder The Who, deren Stil mir gefällt, aber
nicht zu meinem Konzept passte.
JazzZeitung: Warum hat die Band diese sehr
spezielle Besetzung?
Lê: Linley Marthe (Bass) und Stéphane Galland (Drums) waren
bereits bei meiner Hendrix-Retrospektive dabei, garantieren somit eine
stilistische Kontinuität. Deshalb hatte ich schon eine Ahnung, wie
sich der Groove entwickeln konnte. Was beim Hendrix-Projekt wegen einer
Priorität beim Interplay noch relativ einfach arrangiert war, wollte
ich fürs Freedom-Album komplexer durch genauer festgelegte Harmonie-Progressionen
gestalten. Darum dachte ich zunächst an ein Keyboard, aber das erschien
mir nicht optimal. So kam ich darauf, dass ein Vibraphon hervorragend
zu meinen Arrangements passen könnte. Abgesehen davon ist Illya
Amar der Sohn meiner Ehefrau, und so haben wir eine angenehme Familienangelegenheit,
weil ich ihn kenne, seit er drei Jahre alt ist, und ihn zum Musiker heranwachsen
sah.
JazzZeitung: Gab es darüber hinaus, wegen der Integration des Vibraphons
Einflüsse von Frank Zappa, etwa bei „In A Gadda Da Vida”?
Lê: Ja, „In A Gadda Da Vida” machte mir schon als Kind
viel Freude. Eine Melodie mit inhärenten orientalischen Timbres,
die ich aus dem psychedelischen Klangfilter der 70er-Jahre geholt und,
auch im Stil von Frank Zappa, rhythmisch deutlicher justiert habe.
JazzZeitung: Die Originale haben Sie offenbar
durch Dehnung oder Beschleunigung verändert.
Lê: Gerade „Pastime Paradise” von Stevie Wonder wurde
deswegen eine ziemlich lange Version. Ich begann mit der Melodie, verlangsamte
sie und habe eigene Akkordfolgen implantiert. Das ist meine bevorzugte
Methode. So wurde der Klang mystisch. Dann wird „Pastime Paradise” schneller
und wendet sich am Ende zu arabischen Idiomen aus Marokko.
JazzZeitung: Ist ein anderer Aspekt, die Musik
mit pentatonischen Elementen zu erweitern?
Lê: Seit ich Musik aus Vietnam reflektiere, versuche
ich, Pentatonik in bestimmte Arrangements zu übernehmen. Da braucht man eine gute
Balance für den Fluss pentatonischer Linien, wenn man sie re-harmonisieren
will. So eröffnen sich differenzierte Möglichkeiten, weil Pentatonik
weniger Noten braucht, sodass man mehr fremde Noten ergänzen kann.
Dadurch kann ich die Originalsongs kulturell adaptieren. JazzZeitung: Wie verstehen Sie den Freiheitsbegriff?
Lê: Die erste Bedeutung des Titels, der nicht
von mir, sondern von Bob Marley ist, bezieht sich auf die Befreiung von
Sklaverei, ein
Thema, das man vom Blues aus den USA kennt.
Das ist auch für mein Album relevant, doch zugleich hat es ein universales
Konzept, nämlich die Freiheit des Zuhörers im Vergleich zum
Künstler. Beide Blickwinkel sind verschieden. Wenn ein Kunstwerk
vollendet ist, übergibt der Künstler es dem Publikum, das die
Freiheit hat, es so zu interpretieren, wie es möchte.
JazzZeitung: Warum erfahren die „Songs Of Freedom” Ihrer
Meinung nach globale Akzeptanz?
Lê: Weil sie so bekannt sind, dass man sie als
erste Phänomene
der Weltmusik, wie man heute sagt, definiert werden können. Meine
Frage ist jetzt, wie versteht die nicht-westliche Welt diese Musik? Und
wenn sie außereuropäisch gefüllt wird, wie kann sie anderswo
angenommen werden, indem man sie in dieser Perspektive spielt?
Die Musik meines Albums ist nur eine Möglichkeit der Re-Interpretation
von einem anderen Standpunkt. Wir leben in einer Welt mit vielen Einflüssen
aus allen Kulturregionen. Wenn man daran interessiert ist, den eigenen
Horizont kreativ zu erweitern, bietet die Gegenwart ein gigantisches
Spektrum, etwas über andere Kulturen zu lernen.
JazzZeitung: Vielen Dank für das Gespräch. Hans-Dieter Grünefeld
CD-Tipp
Nguyên Lê:
Songs Of Freedom
ACT 9506-2 (Edelkultur) |