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Es geht auch einfach. Zum Beispiel mit Leonard Cohens großem Hit „Hallelujah“. Den singt das Berlin-Dresdener Vokalquartett „Niniwe“ bei Konzerten häufig als Zugabe. Die Zuhörer sind dann regelmäßig von den Socken, liegen den vier jungen Sängerinnen geradezu zu Füßen. Solch eingängige Dreiklänge mit hohem Gefühlspotential sind aber ganz und gar nicht die Regel bei Winnie Brückner, die rund 90 Prozent der Arrangements für das von ihr gegründete A Cappella-Ensemble schreibt. Eher sind es dichte Sätze, vielschichtige Strukturen, das etwas Vertracktere. „Das fällt uns nicht schwer“, erzählt Brückner gut gelaunt beim Morgenkaffee, „damit sind wir groß geworden“.
Musikalisch-sängerisch groß geworden sind Brückner (Sopran), Lena Sundermeyer (Sopran), Caroline Krohn (Alt) und Hanne Schellmann (Alt) in Leipzig, Dresden, Weimar und Luzern, wo sie studierten und sich auch kennenlernten. Drei von ihnen leben und arbeiten heute in Berlin. Sundermeyer in Dresden, wo die Songwriterin und Gesangspädagogin noch im Duo mit dem Pianisten Jochen Aldinger und mit dem Vokalquintett „Wortart Ensemble“ singt. Mit der Brasilband „Agua de Coco“ ist zudem Krohn auch noch unterwegs, Schellmann mit dem abwechslungsreichen Duo „Nude, zwei Sitztänzer“ und die Chefin mit dem wilden Sextett „Shoot The Moon“ und mit Gitarrenmaster Frank Möbus, auch nicht gerade ein musikalisches Leichtgewicht. Ende März erscheint, nach einer Liveaufnahme (2006), „The Box“ (2004) und einer CD mit Weihnachtliedern – mit dem für eine (Quasi-)Ostband ungewöhnlichen Titel „Es wird scho glei dumpa“ – ihr viertes Album, das nach einem Gedicht der amerikanischen Autorin Elizabeth Chase Akers benannt ist. Schellmann hat es vertont und mit Brückner zu einer ungemein klangschönen, aber melancholisch-verhangenen Ballade voller Klarheit und Intensität arrangiert. Mit ihrer neuen CD beweisen die Sängerinnen einmal mehr, dass sie sich jeder allzu schnellen Ein- oder Zuordnung mit Lust und vokalem Übermut entziehen. Limitation ist einfach nicht ihr Ding. Voller Hingabe, glockenrein und mit einer selten gehörten stimmlichen Perfektion interpretieren sie Volkslieder aus Bulgarien, der Bretagne und Deutschland, Songs von Tori Amos, der großen Nina Simone bis hin zum Rockklassiker „Spinning Wheel“ des „Blood, Sweat & Tears“-Sängers David Clayton-Thomas. Dabei bildet die von Brückner sehr bewusst als künstlerisches Markenzeichen der Band gepflegte Klangästhetik die Klammer für die stilistisch wie formal extrem heterogenen Lieder. Einzig das mitreißend in einem lateinamerikanischen Groove pulsierende „Yatra ta“ der brasilianischen Pianistin Tania Maria sprengt mit ausgeprägter Rhythmik und sprudelndem Temperament das Raster. Niniwe gefallen sich als selbstbewusstes Crossover-Ensemble, das sich wie die berühmten Fische im Wasser zwischen Jazz und Klassik, Folksong und purem, schnörkellosen Klang tummeln. Dabei legen sie eine enorme Wandlungsfähigkeit an den Tag, die vom schlanken, zerbrechlichen Sopran bis zur rauchig-vollen Soulstimme erstaunlich viele Nuancen umfasst. So kunstvoll die Arrangements auch jeweils einherkommen: Niniwe gelingt es spielerisch, selbst einfache, in der Volkskultur verwurzelte Lieder, wie das spätmittelalterliche Abschiedslied „Es geht ein’ dunkle Wolk herein“ in schlichter Schönheit erstrahlen zu lassen. Seit seiner Gründung 2002 beschreitet das Quartett eigene Wege in der Vokalmusik. Konzertreisen führten es durch ganz Deutschland, nach Taiwan, Spanien, Italien, Frankreich, Dänemark, Finnland und in die Schweiz. Auftritte in Jazzclubs bilden eher die Ausnahme, auch die inzwischen recht zahlreichen Vokalfestivals tun sich mit den anspruchsvollen Sängerinnen, die so gar nicht zu den eingängig groovenden, showerfahrenen A Capella-Stars – meist Männerensembles – passen wollen. Da fragt schon mal ein Veranstalter, ob sie nicht einen „frischen Groove drunter legen können, damit das Publikum besser mitgehen kann“ – können sie nicht, wollen sie nicht. „Wir werden wohl nie der ganz große Abräumer“, sinniert Brückner, „aber Niniwe behauptet sich dennoch und findet sein Publikum vorrangig im Umfeld von aufgeschlossenen klassischen Festivals.“ Am ehesten lassen sie sich noch mit Gruppen wie den gemischten „Singer Pur“ vergleichen, die ebenfalls durch eine große Verschiedenartigkeit, Vielfalt und puren Schönklang bestechen. Wie dieses hat auch Niniwe – übrigens ein Anagramm des Vornamens der Gründerin – inzwischen eine Reihe von Preisen gewonnen: Vergangenes Jahr den ersten Preis beim „Seoul International A Cappella Competition“ (Korea); 2005 den Spezialpreis beim Internationalen Wettbewerb für Vokalgruppen in Tampere (Finnland); im gleichen Jahr den ersten Preis beim internationalen A-cappella-Wettbewerb in Taipeh (Taiwan) und zwei Jahre später den ersten Preis beim Creole Mitteldeutschland. Da kommen sicher noch einige dazu – und viele Hörer, die das faszinierende Erlebnis von vier ausgewogenen Stimmen in einem transparenten und dennoch dichten Gesamtklang zu schätzen wissen. Michael Scheiner CD-Tipp „The Beautiful Long Ago“ |
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