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Joe Lovano/US FIVE Um es gleich vorweg zu nehmen: Joe Lovano und
seiner Band US FIVE ist mit dem Album „Bird Songs“ ein großer Wurf gelungen,
ein ganz großer Wurf! Der Titel ist Programm und lässt keinen
Zweifel aufkommen, was den geneigten Hörer erwarten soll. Was dieser
dann hört, ist letztlich nur für diejenigen eine echte Überraschung,
die Joe Lovano NICHT kennen. Begriffe wie Nostalgie oder rückwärtsgerichtet
sind ihm fremd. Und so sind seine „Bird Songs“ denn auch
weniger bis kein „Tribute“, als mehr ein sehr persönlicher
Blick auf einen der wichtigsten Saxophonisten des Jazz. Dabei berücksichtigt
Lovano bei seiner Interpretation sowohl Parkers Roots (Hawkins, Young
oder Webster), als auch Einflüsse der Musiker, die nachhaltig von
ihm beeinflusst wurden wie Coltrane, Coleman oder Shorter. Das Ergebnis
sind zum Beispiel ein äußerst melancholisch gespieltes „Moose
the Mooche“ oder ein für seine Verhältnisse frei interpretiertes „Ko
Ko“. In erster Linie aber präsentiert „Bird Songs“ Joe
Lovanos Lesart des genialen Charlie Parker als Essenz aus Tradition und
Moderne in der für ihn typisch lyrischen Spielweise auf dem Tenorsaxophon.
Nur für die herrliche „Blues Collage“ setzt Lovano das
Altsaxophon ein, auf „Lover Man“ erklingt ein G-Mezzosopran
und seine kurze Verbeugung „Birdyard“ erinnert durch
sein Aulochrome genanntes Doppel-Sopran nicht unbeabsichtigt an Roland
Kirk. Letztlich funktioniert der Spirit des Werkes dank traumwandlerischem
Zusammenspiel von US FIVE und der ungeheuren Dynamik der Band. Pablo Held Pablo Helds Debut „Forest Of Oblivion“ liegt drei Jahre zurück.
2010 folgte sein Abschluss an der Hochschule für Musik in Köln
und gleichzeitig sein zweites Trio-Album „Music“. Nun ist
seine neue CD „Glow“, ebenfalls auf dem Münchner Label
Pirouet Records, erschienen. Dabei wurde sein klassisches Trio Konzept
mit Robert Landfermann und Jonas Burgwinkel erweitert um einen Bläsersatz,
unorthodoxe Instrumentierung mit Henning Sieverts und Dietmar Fuhr zusätzlich
an Bass/Cello, Kathrin Pechlof an Harfe und Hubert Nuss an Harmonium
und Celesta. So ungewöhnlich dies auf den ersten Blick anmutet,
so spannend klingen scheinbare Gegensätze und vielschichtige Klangfarben.
Pablo Held ist zur Zeit einer der wenigen jungen Pianisten, die mit klarem
Kopf und freiem Geist Bühne oder Studio betreten. Viele der Stücke
auf „Glow“ sind komponiert, aber – und gerade das zeichnet
Helds musikalisches Denken aus – größtenteils ohne feste
Arrangements. Kleine Skizzen habe er geschrieben, die „den Musikern
die größtstmögliche Freiheit geben damit anzustellen,
was sie möchten“. Kommunikation ist damit großgeschrieben
und eröffnet spannende Dialoge. So einfach nebenbei sollte man dies
nicht konsumieren, sondern sich voll und ganz auf die Musik einlassen.
Der Hörer wird dafür großzügig mit einem vielschichtig
harmonischen Klangerlebnis belohnt. Schon heute ist Pablo Held nicht
nur ein fantastischer, höchst inspirierter Pianist, sondern bringt
mit seinem Schaffen die lebendige deutsche Jazzszene zum „Glühen“! Siiri Sisask Die estnische Musikern Siiri Sisask hat in enger
Zusammenarbeit mit dem Pianisten Kristjan Randalu ein Album eingespielt,
welches sofort
aus
der „Vocal-Kiste“ des Jazz hervorsticht: Intensive Songs
sind es, die tiefe Gefühle atmen und durch ihr ganz eigenes folkig-jazziges
Klangbild ungewohnt in unseren Ohren ankommen. Eine Herausforderung auch
die Wahl der Sprachen: Neben ihrer Heimatsprache, dem Estnischen, singt
Siiri Sisask auch auf Mongolisch, Koreanisch und dem Dialekt Seto. Dankenswerterweise
wurde kein Aufwand gescheut, und so können wir im Booklet alle Texte
auch in englischer und deutscher Übersetzung nachlesen. Es finden
sich auf diesem Album ebenso neuarrangierte und -interpretierte Folksongs
wie Eigenkompositionen der Künstlerin – das Arrangement übernahm überwiegend
Kristjan Randalu. Auch der Titel „Lingua Mea“ hat einen entsprechenden
Sinn, dreht sich doch Sisasks empathisch-melancholischer Gesang um kongenial
poetische und philosophische Texte – und dies in einem ihr ganz
eigenen Umgang mit Sprache, Inhalt und entsprechender Emotion. Eingespielt
wurde die CD mit Band und Streichquartett. Die herausragende, klassisch
ausgebildete Stimme von Siiri Sisask erfährt dadurch eine ausgezeichnete
Unterstützung. Fast überflüssig zu sagen, dass auch die
Produktion eine Glanzleistung ist – aufgenommen in den zu Recht
gerühmten Bauer Studios in Ludwigsburg. Auf „Lingua Mea“ gilt
es einen neuen Klangkosmos zu entdecken – und vielleicht lüftet
sich gar ein Stück „estnische Seele“?! Oliver Lake, Christian Weber, Dieter Ulrich: For a little Dancing „Reiner Jazz ist ein Widerspruch in sich“, sagt der Saxophonist
Oliver Lake. Denn eine lebendige Interaktion, die neues hervorbringt
und Intensität entfaltet, braucht den permanenten Umwandlungsprozess.
Sich beflügeln, sich reiben und inspirieren und dabei jedes sichernde
Auffangnetz zu ignorieren, ist hier alles. Solche Gedanken kommen auf
Anhieb ins Spiel, wenn der US-Saxophonist auf wesentlich jüngere
Kollegen, nämlich den Bassisten Christian Weber sowie den Schlagzeuger
Dieter Ulrich trifft. Was in zehn Stücken der vorliegenden CD passiert,
erfüllt in idealtypischer Weise den hohen Anspruch des Schweizer
Labels an die ungebremste Freigeistigkeit. Modern Jazz, Freejazz, Bebop
oder Blues – sowas haben die drei Musiker im Blut, aber sie nutzen
es assoziativ wie ein Rohmaterial. Sie schlagen die gewünschten
Partikel heraus, um diese den eigenen wilden Energieströmen
einzuverleiben. Groß und strahlend steht Oliver Lakes Sound oft
wie ein Fixstern über allem. Sein Alt-Saxophon zeichnet lange Linien,
stürzt sich in mutigem freien Fall in Klangkaskaden hinein, atmet
in lodernden Crescendi und überschlägt sich in jähen Überblas-Attacken – aber
behält immer die glasklare Phrase, das beredte Statement im Blick.
Derweil die Rhythmusgruppe alles dransetzt, um den Titel dieses Werkes
zu rechtfertigen: „For a little dancing“. Wuchtige Akzentschläge
umspielen zupackende repetitive Muster, die Christian Weber abgrundtief
aus den Saiten hervorbrechen lässt. Ostinato-Parts sind hier Treibmittel,
Widerstand ist zwecklos. Frederik Köster Quartett Besser könnte der Moment kaum sein: Nach dem Neuen Deutschen Jazzpreis
2009 und dem ECHO Jazz sowie dem WDR Jazzpreis 2010 kann die Reise um
so beflügelter weitergehen. Wobei sich der Titel der CD eigentlich
auf jenen Zeitraum im Herbst 2009 bezieht, in dem die Suite entstand,
die zwischen dem Prolog „Arabesque“ und dem Epilog „Schaltjahr“ den
Kern der Aufnahme bildet. Einflüsse der Kompositionslehre Olivier
Messiaens in „3x211“ belegen die Ernsthaftigkeit und Tiefe
der musikalischen Sorgfalt von Frederik Kösters jazziger, rockiger,
mal harter, mal zarter „Momentaufnahme“, die sich dem Leben
von vielen Seiten nähert, lyrisch, poetisch in der sanften Flügelhornballade „Liebeslied“,
geschichtsbewusst, politisch, konkret auf den Spuren des „2. Juni“,
meditativ und in sich gekehrt beim „Prayer“. Alles ist drin,
moderner Jazz wie klassische Moderne, minimal music und Heavy Metal,
Komplexität und Transparenz, Verharren und Ausbruch, Initiative,
Energie, Entschlossenheit. Köster verfügt über eine
sehr individuelle Trompetenstimme, kraftvoll, differenziert, durchdacht
und elastisch im so kommunikationsstarken wie an anderer Stelle bewusst
kantigen Zusammenspiel mit einer dicht aufeinander eingehenden Band.
Tobias Hoffmann, g, effects, Robert Landfermann, b, und Ralf Gessler,
dr, sowie in Prolog und Epilog Niels Klein, bcl, ts, reichern die Momente
an mit passgenauer Aufmerksamkeit und facettenreicher Bandbreite. Arturo Sandoval & WDR Big Band Seine exzeptionellen Fähigkeiten als Trompeter des Latin-Jazz hat
Arturo Sandoval aus Kuba, zwar 61 Jahre alt, aber noch vital und fidel,
während animierender „Mambo Nights“ mit der WDR Big
Band ausgiebig vorgestellt. Subtil gestreute Klangfarben im Arrangement
von Michael Philip Mossman zum Klassiker „Come Candela” von
Mongo Santamaria sind das ideale Prisma für Arturo Sandoval, um
das Ambiente aus Vokalchor und Flötenpassagen mit Phrasen im extrem
hohen Register zu schmücken. Aus den rhythmischen Verschachtelungen
in „Manteca” von Dizzy Gillespie strömt nach kurzem
Intro bald so viel Energie, dass Arturo Sandoval dadurch zu einem Solo äußerster
sequentieller Dichte beschleunigen kann, beim „Mambo 9/34” sogar
noch zum chromatischen Turbo-Tempo gesteigert. Die sonst eher lässigen
Frequenzen dieses Stils haben dann in springenden Riffs des „Mambo
Sandoval” von Michael Philip Mossman, eine Hommage an seinen Gaststar,
mit Humor eigenen Kick bekommen. Auch wenn der Spot bei dieser Quintessenz
eines Lebenswerks stets auf Arturo Sandoval gerichtet ist, haben andere
versierte Solisten der WDR Big Band wie insbesondere Pernell Saturnino
(Perkussion), Karolina Strassmeyer (Alto Sax) und Frank Chastenier (Klavier)
genügend Freiraum für inspirierte Episoden, sodass die „Mambo
Nights” etwas Nostalgie mit zeitgemäßer Verve enthüllen. Chinaza Wo für sich selbst „Home“ sei, also Heimat oder Zuhause,
hängt nicht (nur) von geographischen Koordinaten ab. Erinnernd kann
es der Geburtsort sein, ein Irgendwo beim Wunsch für eine Zukunft
in Frieden. Nigerianerin und Deutsche zugleich hat Chinaza für ihr
Album diesem Sujet elf poetische Jazzsongs gewidmet. Schon zu Beginn
zitiert sie über weiche Arpeggios ihres Klavier- und Kompositionspartners
Sebastian Weiss den berühmten Satz von Martin Luther King: „I
Have A Dream”, nämlich dass alle Menschen gleich geboren sind.
Nicht wie ein Prediger, sondern wie eine Troubadoura, deklamierend. Und
dann blüht aus diesem lyrischen Keim durch Wechsel zum pochenden
Groove eine Hymne. Mit Emphase singt sie über die Zugehörigkeit
von „Four Women” und freut sich „Every Moment” über
vertraute Körperkontakte der Liebe. Doch diese zarten Gefühle
trüben sich sukzessive ein, denn es folgen kontemplative Balladen, über
Flüchtlinge: „They Stood Up For Love” und die bedrängende
Frage des einzigen deutschsprachigen Songs „Wohin?” im geschmeidigen
Jazz-Bossa-Stil. Eindeutig ist „Home” für Chinaza nicht,
zu erkennen eher in vielen Facetten historischer oder persönlicher
Situationen, die ausweglos oder erwartungsvoll waren. Seelenverwandt
erzählt sie davon, aufgehoben in dezenten Afro-Rhythmen und Melodien
ohne Schnörkel mit ihrer swingenden Band und eigener sensiblen Vokalkunst. Steffi Denk & Flexible Friends Schon lange kein Geheimtipp mehr sind die
Flexible Friends um Everybody’s
Darling Steffi Denk. Die eindrucksvolle Stimme Denks gepaart mit dem
virtuosen Spiel der vier Musiker Martin Jungmayer (sax), Norbert Ziegler
(p, fl-h), Michael Gottwald (dr) und Markus Fritsch (b) verschafft dem
Zuhörer einen Gänsehautmoment nach dem anderen. Mal frech,
mal humorvoll, mal ruhig, aber immer mit überaus viel Gefühl
nähern sich die Fünf dem großen Thema Liebe. Dabei geht
es aber nicht nur um große Gefühle, sondern auch mal um die
Schwächen von Männern und das Können-wir-nicht-Freunde-sein-Problem.
Zwischenzeitlich fühlt sich der Hörer an einen Abschlussball
zu vorgerückter Stunde erinnert, an Pärchen, die sich auf der
Tanzfläche eng umschlungen langsam zur Musik drehen. Oder beim Hören
der Chansons an zwei Frischverliebte, die händchenhaltend durch
Paris schlendern. Trotzdem driftet das Album nicht in Richtung Kitsch
ab. Sehr gelungen ist zweifelsohne eine frische Version von „I
can see clearly now“. „Can’t we be friends“,
ein lässiges Duett von Denk und Charlie Meimer, klingt dagegen unverkennbar
nach 60er-Jahre-Swing. Bei „When I fall in love“ durften
sich die vier Musiker auch mal solistisch austoben. Herausgekommen ist
dabei ein wunderbar weiches Instrumentalstück, bei dem vor allem
das Saxophon und das Klavier bestechen. Perfekt also zum Entspannen,
Tanzen, Träumen ... Erika Stucky Bewegte Bilder erübrigen sich, so eindringlich und imaginativ ist
die Stimme von Erika Stucky, der ironisch rebellischen Schweizer Antwort
auf jedwede gutbürgerliche Gemütlichkeit. Das 25-jährige
Bühnenjubiläum ist Anlass genug, 16 bisher nicht zu habende
Live-Tracks dem Ohr der Öffentlichkeit anheim zu geben. Das geht
ziemlich fetzig los mit dem 70er-Jahre Sweets-Kracher „Ballroom
Blitz“ und dem starken Blech von Bubbles+Bones alias Ray Anderson,
tb, Art Baron, tb, und Matt Perrine, sousaphone, kühlt auf Lavatemperatur
ab mit Annie Lennox’ „Why“, begleitet von Art Baron,
tb und Earl McIntyre, tuba, gibt dem „Afro Blue“ vokale Farbe
mit „the sophisticrats”, Eva Enderlin, Vonne Geraedts und
Clara Buntin, zelebriert gemeinsam mit der WDR Big Band Köln & George
Gruntz im großen Stil und mit Schweizer Kolorit „You Are
My Sunshine“ und und und. Led Zeppelin, Frank Zappa und die Rolling
Stones kommen zu Ehren im unvergleichlichen, bodenständigen, internationalen
musikalischen Terrarium Erika Stuckys, die mit den Begriffen Jodel-Punk
oder Anti-Heidi so gar nicht einzufangen oder zu beschreiben ist, Screamin
Jay Hawkins und Eminem, Britney Spears, Patsy Cline und Doris Day. Dabei
dienen bekannte Songs Erika Stucky als Sprungbrett puren gesanglichen
Ausdrucks, unmittelbarer Emotion und distanziert subversiver Intelligenz,
deren Stärke nicht zuletzt ihre lustvolle Unberechenbarkeit ist. The Classic Columbia and Okeh Joe Venuti and Eddie Lang Sessions
(8 CDs) Stephane Grappelli und Django Reinhardt,
die ihr berühmtes Quintette
du Hot Club de France 1934 gründeten, hatten zwei Vorgänger:
Joe Venuti und Eddie Lang, jene alles in allem noch übertrafen.
Schon bei deren ersten Aufnahmen 1926 zeigt sich das: Sie spielten noch
frecher und harmonisch ausgefuchster; dazu gibt es immer wieder arrangierte
Passagen und überraschende Kabinettstückchen. Später,
in „Joe Venuti‘s Blue Four“ kam noch ein Bass-Saxophon
dazu, vor allem von Adrian Rollini hinreißend gespielt. Die vorliegende
Kassette, wieder eine Meisterleistung von MOSAIC RECORDS, enthält
eine Vielzahl von Besetzungen mit Venuti und Lang, oder auch nur mit
einem von beiden, die auch Entdeckungen bieten: Eddie Lang als feinfühliger
Bluesgitarrist im Duo mit Lonnie Johnson und als Begleiter von Bessie
Smith, Tommy Dorsey als Armstrong-inspirierter Trompeter (!), Bix Beiderbecke
als Pianist (nein, ich meine nicht „In a Mist“), Harold Arlen – später
Komponist von Standards wie „Come Rain or Come Shine“ und „Get
Happy“ – als Sänger … Manche der größeren
Bands klingen zickig – bis Venuti oder Lang (oder beide) mit einem
Solo sagen: „Freunde, nicht so schlimm, wir sind ja auch noch da!“ Die
194 Aufnahmen wurden von Toningenieur Doug Pomeroy hervorragend restauriert.
Und das 44-seitige Booklet im Großformat zu lesen macht Spaß:
kein Herumphilosophieren, kein Wortgeklingel, sondern Wissen, aus jahrzehntelanger
Erfahrung gespeist. Vivat MOSAIC! Luftmentschn Die Luftmentschn haben sich auf ihrem neuen
Album „Grosses Kino“ nun
rundum der Instrumentalmusik verschrieben, man kann es programmatische
Weltmusik nennen. Seit 2003 gibt es die exzentrische Combo, die unter
anderem Träger des Yehudi Menuhin-Förderpreises 2005, des Fraunhofer-Preises
2009 sowie Gewinner der Bucharest International Jazz Competition 2008
und des Wettbewerbs „Jocurile delfice“ (Russland) ist. Cassandra Wilson Live-Aufnahmen der Sängerin Cassandra Wilson waren seit 1991 nicht
mehr auf Tonträgern zu hören. Und so verspricht ihr aktuelles
Album Ausnahmen von der Regel im Studio, andere Nuancen von Instrumentals
und Gesang im Konzert. Jasper van’t Hof’s Pili
Pili Sechs Jahre nach seiner „PS“, Post-Scriptum, betitelten Doppel-CD
ist der holländische Keyboarder und Komponist Jasper van’t
Hof rückfällig geworden. Eine Neuauflage seines langjährigen
Bandkonzepts „Pili Pili“ mit Ethno-Worldjazz also. Diesmal
mit einer Sängerin, Smangele Khumalo, aus einem südafrikanischen
Township in KwaZulu-Natal – und mit musikalisch eindeutig europäischer
Orientierung. Das macht erst mal stutzig. „Pili Pili“ lebte
immer aus dem faszinierenden Konglomerat moderner afrikanischer und europäischer
Grooves und afrikanischer Musiker. „Das wollte ich jetzt einmal
umdrehen“, sagt van’t Hof, „und von einem europäischen
musikalischen Gedanken ausgehen“. Mit dem Perkussionisten Dra Diarra
aus früheren Tagen ist immer noch ein Afrikaner dabei. Die übrige
Besetzung mit der großartigen holländischen Saxophonistin
Tineke Postma, dem rumänischen Geiger Vasile Darnea, dem Cellisten
Anton Peisakhov und Bassist Erik von der Westen – ohne Schlagzeug – präsentiert
als Saitenfraktion eindeutig europäisches Erbe. Gegenüber der
früheren Rasanz und dem afrikanischen Groove-Feuerwerk ist zwar
das neue „Sein oder Nichtsein“-Album – so die Übersetzung
des Zulu-Titels „Ukuba Noma Unkungabi“ – deutlich europäischer,
ein wenig beschaulicher, erhabener – der Groove aber stimmt immer
noch. Wenn van’t Hofs Finger behende über die Tastatur seiner
Keyboards oder dem Flügel zu flitzen beginnen, kommt unweigerlich
ein mitreißendes Gefühl voller Rhythmus, Spannung und Tempo
heraus. Günter Baby Sommer percussion & strings:
Whispering Eurasia Schlagzeuger Baby Sommer zu Xu Fengxia,
die vergnügt lachend auf
ihrer überdimensionalen chinesischen Zither, der Guzheng, zupft. Über
ihre Geige hinweg schaut Klangforscherin Gunda Gottschalk konzentriert
auf Akira Ando, den japanischen Bassisten von „percussion & strings“,
der in sich versunken sein Instrument streicht. Beziehungen und Austausch,
wie sie sich augenfällig im Foto der gelungenen Covergrafik zeigen,
spiegeln sich auch musikalisch auf dem Album wider, welches Schlagwerker
und Perkussionist Günter Baby Sommer mit den drei Saiteninstrumentalisten
unter der verschmitzten Bezeichnung „Whispering Eurasia“ aufgenommen
hat. Es wird aber nicht nur interkulturell, also „eurasisch“,
geflüstert, gezischelt und poetisch zart gestrichelt auf dem außerordentlich
spannenden und abwechslungsreichen Album. Wobei tatsächlich das
ruhige und konzentrierte Pingpong-Spiel mit klanglichen Figuren, Glockenklängen,
zartem Wispern, schattenrissartigen Streichermotiven und sanglichen Bildern
Xu Fengxias den Kern dieser reizvollen, zweitägigen Studiobegegnung
ausmacht. Es wird auch schon mal kräftig gefeuert, beherzt gefiedelt
und gestrichen und wild über die Guzheng gefegt, die an Hackbrett
und Harfe erinnert. In der „Rumba Saxonia“ gar, lustvoll
glossolalisch besungen von Fengxia, gerät das intensive Beziehungsgeflecht
der Vier in einen sinnlich-lüsternen Freudentaumel verrenkter Glieder
und tänzerischer Lust. Ein echter Hör- und Erlebnisgewinn. |
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