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Mit den Jahren akkumulieren sich die Abschiede. Plusquam, Phondus, Melody Maker: Vielen Plattenläden habe ich tränenreich Adieu gesagt, nur wenige bleiben noch. Der Sexbranche soll es übrigens ähnlich gehen: Immer mehr Läden müssen schließen, weil sich die Kunden lieber im Internet bedienen. Beate Uhse verkauft seit einiger Zeit auch Wärmekissen und Duftschalen und organisiert Dildo-Partys nach dem Vorbild von Tupperware. Werden exklusive Plattenläden bald auch Artdeco-Designer-Hörsessel anbieten oder zum Jazz-CD-Testen in die audiophil ausgestattete Stretch-Limo einladen? Es käme wahrscheinlich zu spät. In Amerika gibt es seit 2008 schon einen jährlichen „Record Store Day“ – ein untrügliches Zeichen, dass diese bedrohte Tierart gar nicht mehr gerettet werden kann. Sogar Jazz-Edelfan Götz Alsmann nennt den Plattenladen in einem Atemzug mit den Milchgeschäften und Schusterwerkstätten – und die hat in der Großstadt schon lange keiner mehr gesehen. „Ein guter Ansprechpartner im Plattenladen war mindestens so wichtig wie ein Beichtvater“, sagt er – auch beichten war Alsmann zuletzt 1988. In den Elektromärkten schrumpfen die Tonträger-Sortimente ebenfalls täglich. Die letzten Quadratmeter „Ramsch-Rampe“ sind heiß umkämpft: Wer da mit seinen „Auslaufprodukten“ noch reinwill, muss dem Disponenten mindestens zwei Wochen Ballermann spendieren. Aber natürlich hat jeder Untergang auch immer seine romantische Seite, siehe: die Sonne. Eine stimmungsvolle Installation des Künstlers Gregor Hildebrandt verwendet als Bodenteppich schimmernd schwarze Kassettentonbänder, die lustig knacken, wenn man auf sie tritt, und als Raumelemente mehrere Meter hohe Säulen aus Schallplatten. „Analog zu den Atlantis-Mythen erzählen diese Arbeiten von einer untergegangenen Ära“, schreibt der Kunstkritiker. So wie Atlantis versinkt die Zeit der Plattenläden im mythischen Dunkel menschlicher Urgeschichte. Genaues weiß man nicht. Rainer Wein (rainer.wein@gmx.net) |
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