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Berlin hat ein neues Jazzfestival: „A European Jazz Jamboree“, das vom 18. bis 24. Musiker aus ganz Europa in die Hauptstadt lockte. Der Name des Festivals war den meisten bereits ein Begriff, galt doch vor der Wende die Warschauer „Jamboree“ als angesagtestes Jazz-Mekka in ganz Osteuropa. „Die Qualität der Musiker und der Enthusiasmus des Publikums waren sensationell“, erinnert sich Ulli Blobel, der in der DDR die Jazzwerkstatt Peitz gründete und heute den Förderverein jazzwerkstatt Berlin-Brandenburg leitet. „Dort spielten alle internationalen Größen, von Duke Ellington bis zu Charlie Mingus. Die Jam-Sessions dauerten die ganze Nacht. So eine Atmosphäre kannte ich aus der DDR gar nicht.“
Nach der Wende kam das Festival an seinem angestammten Ort nicht wieder auf die Beine. „Die Jamboree wird bis heute von Musikern und vom Publikum vermisst“, ist Ulli Blobel überzeugt. Deshalb entschloss er sich, mit seiner jazzwerkstatt das traditionsreiche Festival in Berlin wieder aufleben zu lassen. Im Mittelpunkt dieser ersten Ausgabe stand die Klarinette. Gebhard
Ullmanns Clarinet Trio eröffnete das Festival. Am folgenden Tag trafen sich
Deutschlands führende Jazzklarinettisten, darunter Ru- Ein weiterer Höhepunkt war das Gipfeltreffen von Michel Portal, Rolf Kühn und Gianluigi Trovesi. Keine leichte Entscheidung, unter diesen drei Klarinetten-Größen die Goldmedaille zu vergeben. An jenem Abend hätte sie jedoch Michel Portal gebührt. Der formte gemeinsam mit dem Cellisten Vincent Courtois eine jederzeit freie und spontane Musik, die Wohlklang ausstrahlte und sich dennoch jeglicher Stereotype enthielt. Beeindruckend: die weitgespannte Ausdruckspalette des Franzosen – vom ätherischen Rauschen, das entsteht, wenn er sein Instrument in den Resonanzraum eines Flügels hält bis zum perkussiv erdigen Spiel mit der Bassklarinette. Aus Anlass seines 70. Geburtstages gab Alexander von Schlippenbach einen Konzertmarathon in drei verschiedenen Besetzungen. Los ging es mit einem Soloauftritt, bei dem der Pianist die Grenzbereiche zwischen Jazz und Neuer Musik erkundete. Abseits von konventionellen Melodiefloskeln und Harmoniewendungen, aber mit einem jazztypischen Primat des Rhythmus. Da wurde der Flügel zum Schlaginstrument, von Schlippenbach mit robusten Tremoli und Clusterballungen traktiert; zuweilen erinnerte das an die motorische Energie eines Strawinsky. Beim Auftritt mit seinem langjährigen Trio wirkte der Pianist gelöster. Hier brillierte er mit virtuosen, impressionistisch angehauchten Arpeggien. Gemeinsam mit dem Saxophonisten Evan Parker und dem Schlagzeuger Paul Lovens formte er vertrackte rhythmische Verzahnungen. Parker beeindruckte über lange Minuten hinweg mit seiner Zirkularatmung, die das Spiel ohne Lufthol-Pausen ermöglicht. Paul Lovens wiederum hat ein perkussives, energiegeladenes und durch experimentelle Klänge angereichertes Schlagzeugspiel kultiviert. Nach 37 Jahren gemeinsamen Improvisierens haben die Musiker zu einer nahezu telepatischen Vertrautheit in ihrem Triospiel gefunden. Anschließend betrat das Globe Unity Orchestra die Bühne, Schlippenbachs vom Free Jazz angehauchte Bläser-Big Band, die bereits seit 1966 besteht. Die jazzwerkstatt machte sich aber auch um den lokalen Nachwuchs verdient. Auf der Jamboree präsentierte sie Hyperactive Kid, drei Berliner Musiker, die sich angesichts ihres aggressiv spannungsreichen, rhythmisch durchpulsten Klanggeflechts ganz zutreffend benannt haben. Vor allem den Schlagzeuger Christian Lillinger sollte man im Auge behalten: Dieser hat bereits eine ganz eigene, dramatische, schwindelerregend wirbelnde und federnde Spielweise entwickelt. Auch an den weiteren Tagen gab es nährreiches Ohrenfutter: Der Schweizer Drummer Lucas Niggli präsentierte die Deutschlandpremiere seines Schlagzeug-Quartetts Beat Bag Bohemia; Gebhard Ullmann spielte mit seiner Band Ta Lam 11 Musik von Charles Mingus; Uschi Brüning traf auf den britischen Jazz- und Blues-Sänger Georgie Fame. In jenen Tagen feierte übrigens auch die jazzwerkstatt Berlin-Brandenburg ihr zweijähriges Bestehen. Für Freunde anspruchsvollen Jazz in der Hauptstadtregion hat sich der Verein als Glücksfall herausgestellt. Antje Rößler |
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