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Ein paar Monate später ging es dann los: Die „Enhance“-Tour des Werner Steinmälzl Quartetts umfasste insgesamt acht Konzerte im Zeitraum von zwei Monaten. In der Tat konnte man aber nicht wirklich von einer Tour sprechen, weil die vier jungen Jazzmusiker eigentlich nach jedem Gig wieder heimfuhren. Aber die meisten Konzerte auf der „Enhance“-Tour liefen toll. Werner konnte insgesamt 23 CDs losschlagen und bekam beim Auftritt bei den Musikfreunden Unterbiberg sogar einmal eine eindeutige Offerte der 48-jährigen und 189 Pfund schweren Kulturamtsleiterin Ursula Wellnhofer, die bei der After-Show-Party im Unterbiberger Schlosskeller einige Male bemerkte, wie sinnlich sie doch Werners Spiel fände: „Du, wenn du nich mehr heimfahre willscht, des wär kei Problem, ich hab a Gäschtezimmer, da kannsch dir ganz gemütlich mache“, hatte sie mit einem Zwinkern bemerkt, während sie ihr Knie an Werners Schenkel rieb. Werner fuhr natürlich heim. Und dachte dabei, dass es Groupie-technisch wohl doch viel cleverer gewesen wäre E-Gitarre zu studieren als Jazztrompete. Natürlich gab es auch einzelne Einbrüche wie den Gig im Kulturcafé Weidenhausen – an just jenem Dienstagabend, an dem zeitgleich das Champions-League-Spiel Arsenal London gegen Bayern München übertragen wurde. Nicht nur, dass der Laden mit nur vier Leuten, einem dauerhaft knutschenden jungen Pärchen und zwei älteren Lehrerinnen des Frauenkulturstammtisches Weidenhausen eher spärlich besetzt war, auch der Clubbesitzer Kalle Würschinger war leidenschaftlicher Bayern-Fan und mit seinem eigenen Booking für diesen Abend nicht sonderlich glücklich. Aus diesem Grund hatte Kalle während des gesamten Konzertes hinterm Tresen einen Fernseher mit der Fußballübertragung laufen. Um auch wirklich nichts vom Spiel zu verpassen und gleichzeitig das Konzert nicht zu stören (Kalle war und ist ein sehr sensibler Clubmanager), hatte er einen geschlossenen Funkkopfhörer auf. Bei „Round Midnight“, der Ballade im zweiten Set, schoss
Bayern an diesem Abend den Eins-zu-Null-Siegestreffer, und eines der
schönsten Soli, die Werner jemals über dieses legendäre
Thema geblasen hatte, ging in tosendem „Eyo eyo Eyo – Bayern
wird Meister“ eines überwältigten Kalle Würschingers
unter. Unter Vorsitz des Gymnasiallehrers für Deutsch und Geschichte, Wolfram Sittauer, und Hans Peter Fletz, Rechtsanwalt, veranstaltet „Ausblicke“ etwa alle drei Monate einen Jazzabend im Havanna, einem Café am Marktplatz. Die Konzerte werden mit jeweils 400 Euro jährlich von der Stadtsparkasse Rendelstein, dem ortsansässigen Lions-Club sowie durch eine Ausfallbürgschaft des Kulturamts Rendelstein unterstützt. Nach dem Konzert entwickelte sich zwischen Utz Wernberger, 25, Student an der Hochschule für Musik Nürnberg sowie zweiter Tenorist beim Tuesday Night Orchestra Nürnberg, und einem Konzertbesucher, dem Rendelsteiner Gynäkologen Harald Scheim, 52, Hobby-Sommelier mit einer besonderen Affinität zur mediterranen Lebensart sowie Saxophonist beim Royal Garden Swingtett Rendelstein, folgender Dialog, als Utz Wernberger auf dem Weg zur Bar war, um sich ein Pils zu holen. Dieses Gespräch sei stellvertretend dafür erzählt, was Jazzmusiker bei der Pflege ihrer Fans, die oft genug selbst, zumindest hobby-mäßig, ein Instrument spielen, erdulden müssen: Scheim: Junger Mann, ich muss schon sagen, wunderbar … Scheim: Nein, also oft hört man das nicht so gefühlvoll und
trotzdem irgendwie neu und frisch, also ganz eigen, sehr gut, wirklich … Scheim: Ja, ja, Walter, das hier ist Walter, ein alter Freund, spielt Fagott. Walter (alter Freund von Scheim, Kieferchirurg):
Hallo. Scheim: (zu beiden) Wie hab ich vorhin gesagt,
Walter, da kommt eine junge Generation an Tenoristen auf uns zu, ihr
Jungs habt
ja das gesamte
Standardrepertoire drauf und trotzdem noch so was Eigenes dabei, also
ganz außergewöhnlich, schade dass der Laden nicht richtig
voll war … Scheim: Wissen Sie, das würde mich jetzt noch wirklich interessieren,
kennen sie eigentlich den Harald Bösenbauer? Scheim: Bösenbauer, Harald, auch ein ganz glänzender Tenorist,
natürlich schon ein paar Jährchen mehr auf‘m Buckel als
Sie und ihre Kollegen, aber auch sensationell, an den haben sie mich
erinnert, so ansatzweise, haha, ansatzweise. Walter, hast du kapiert,
kleiner Saxophonistenwitz … (Walter lacht) Scheim: Aaaaahhhh (bewundernd), den sollten
sie mal hören. Spitzen-klasse!
Wissen Sie, ich spiele ja auch ein bisschen, nur so zum Hausgebrauch,
hier in Rendelstein mit ‘ner gepflegten Altherren-Combo, haha,
dem Royal Garden Jazz Orchestra. Wir spielen so alte Thad-Jones- und
Mancini-Arrangements, aber alles original – die Originalarrangements … Scheim: Vorletzten Monat haben wir hier gespielt,
da war die Bude so was von bummsvoll, da konnte sich keiner mehr umdrehen,
und eine Stimmung,
da steppte der Bär, fast wie damals zu meiner Studienzeit, hab ich
mir da so einiges dazuverdient, wissen Sie, wir waren jetzt nicht so
modern wie was ihr da so macht mit so frei und so, halt richtigen ganz
gepflegten Jazz (spricht das Wort deutsch aus wie Jatz), aber glauben
Sie mir, damit hab ich damals mein Studium verdient, nicht Walter, das
waren noch Zeiten, heute gibt’s ja Jazzschulen und Hochschulen
und was weiß ich, aber wir, wir mussten das alles noch von den
Platten runterhören, Platten kennen Sie wahrscheinlich gar nicht
mehr, haha. Scheim: Wissen Sie, früher war das ja alles einfacher, schon die
ganze Technik und so, die Sie rumschleppen, ist ja Wahnsinn, in so einem
Raum, früher Mikrofone, ha, das hätt‘s nicht gegeben,
wir sind einfach rein, das Horn zusammengeschraubt, und dann wurde gejazzt,
bis sich die Balken bogen … so mit Mikrofonen und so ist halt lautstärkemäßig
schon immer ein bisschen grenzwertig, vor allem bei den hohen Geschichten,
bei ääh, wie hieß der Titel noch, schnell, der Monk-Titel … Scheim: Genau, starke Nummer, aber da hat es
schon ganz schön gescheppert
im Gehörgang … Scheim: Jedenfalls, den Bösenbauer, den müssen Sie sich unbedingt
mal besorgen, ich sage Ihnen, ein Ton, nicht wahr, Walter, der hat, ich
glaub es war 2002, hier gespielt, war eines unserer ersten Konzerte hier
in Rendelstein, Wahnsinn, so lyrisch, aber wenn der wollte, dann konnte
der loslegen und alles akustisch, kein Mikrofon weit und breit … Scheim: Also der ist schon wirklich unglaublich,
nicht von dieser Welt, wie schon gesagt, ziemlich ähnlich wie Ihr Ton, nur ein bisschen
weicher noch in den unteren Lagen, beim Beck am Marienplatz, wenn Sie
mal sind, der hat ja ‘ne riesen Jazzabteilung, in München
den Beck, kennen Sie doch sicher … Scheim: … und Sie schauen bei B wie Bösenbauer, könnte
sein, dass Sie da noch was finden. Den müssen sie auschecken, wie
ihr Youngsters so sagt, ha ha … Der spielte damals mit, pah, wie
hieß der, mein Namensgedächtnis, Walter, wie hieß dieser
Pianist, du erinnerst dich schon, diese wahnsinnigen Blockakkorde … Scheim: Ahhh, verflixt, es liegt mir auf der
Zunge Scheim: Kurz noch, eine Frage noch, ich weiß schon, an der Bar
ist es interessanter als bei uns alten Säcken, ha ha, aber ich hätt‘ bloß noch
gern gewusst, dieses Mundstück, dass sie spielen, das ist doch ein
Selmer, richtig? Scheim: Na, das überrascht mich jetzt, ich hätte definitiv
auf ein Selmer getippt. Aber vielleicht ist das auch mit dem Sound bei
Ihnen deshalb ein bisschen anders als bei Bösenbauer, hast du gehört,
Walter, kein Selmer-Mundstück, also Bösenbauer hat damals mal
gesagt, die Hälfte des Sounds ist das Mundstück. Ich selbst
hab ein Selmer-Mundstück von 1954. Wie Bösenbauer. Ein Traum,
kann ich Ihnen sagen. Scheim: Nur eine Frage noch, im B-Teil der
letzten Nummer vor der Zugabe, also eigentlich im letzten Lied, da haben
sie so eine
Skala gespielt … Scheim: Na ja gut, alles Gute noch für Ihren musikalischen Werdegang
und vergessen Sie nicht B wie Bösenbauer, nicht unter M wie haha,
nicht schlecht Walter oder, haha … Scheim: (hinterherrufend) Und denken Sie mal
nach wegen ‘nem Selmer-Mundstück,
ich glaube… Aber, wie bereits erwähnt, ansonsten lief alles wunderbar. Inzwischen ist ein Jahr ins Land gegangen. Werner hat von „Edition Fromage“ seine erste Tantiemenabrechnung bekommen und die 88 Euro 20 Cent gleich am selben Abend mit Maria im Rosetta, einem edlen italienischen Restaurant in Forchheim durchgelassen. Hans-Peter hatte noch gesagt: „Momentan ist der Markt allgemein schwierig, aber wir haben hier ein wirklich hochklassiges Produkt, das vielleicht noch ein bisschen braucht, ähnlich wie ein alter Bordeaux, also für mich ist das Thema nach wie vor nicht vom Tisch.“ Nach wie vor unterrichtet er seine Trompetenschüler und den Kurs Musikalische Früherziehung an der Kreismusikschule Forchheim, hat jedoch jetzt eine unbefristete Festanstellung. Er spielt als „Stargast“ am heiligen Abend mit den „Herzogenauracher
Turmbläsern“ „Stille Nacht“ in der Christmette
seines Heimatortes, hat nach wie vor etwa 15 Jazzgigs im Jahr, den Löwenanteil
seines Einkommens bestreitet Werner jedoch immer noch durch Bierzeltauftritte
mit „Hau Rock!“. Dies ist ihm inzwischen auch ganz wichtig,
zumal sich Nachwuchs im Hause Steinmälzl angekündigt und er
gehört hat, dass es jetzt heißt „Kohle ranschaffen“.
Er bemüht sich auch nach wie vor, jedes Mal sein Solo bei „Round
Midnight“ ein bisschen schöner zu spielen. Gerwin Eisenhauer |
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