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In ihren Stücken forcieren und drosseln sie die Zeit nach Belieben, wechseln die Harmonien mit der Unaufdringlichkeit eines stillen Luftzuges und verschieben gewieft die Takte innerhalb nur einer Komposition mehrmals. Trotzdem klingt die musikalische Sprache des Quintetts Carte Blanche weder intellektuell unterkühlt, noch erinnert sie an strenge Botschaften improvisierender Egozentriker. Die Münchner Formation versteht es, aus abstrakten, rhythmisch komplexen Grooves und bizarren Themen eine faszinierende Einheit zu schmieden und dabei ein Gefühl von provozierendem Selbstverständnis und despektierlicher Ekstase zu vermitteln. Was diese Band spielt, ist keine neue Musik im wörtlichen Sinn, sondern aufgrund der Verschiedenartigkeit der genutzten Einflüsse eine neue Art des Musizierens. Gegründet wurde das Ensemble als Trio von dem Gitarristen Carsten Radtke schon im Jahr 1993, mit der Absicht, ein Klangspektrum zu kreieren, das sich im Umfeld von freier Improvisation und Neuer Musik entfaltet. Jürgen Schneider, Schlagzeuger von Carte Blanche: „Ein wichtiger Ansatz unserer Arbeit war immer, die strukturellen Elemente der Neuen Musik mit denen des Jazz zu verbinden, oder noch wichtiger, diese in die freie Improvisation zu überführen. Für die aktuelle CD waren die Grundlagen meist detaillierte rhythmisch-metrische Konzepte, die als Basis für gemeinsame Improvisationen dienen.“ Sicher erinnert manches im kompositorischen Aufbau und in der musikalischen Umsetzung entfernt an die Arbeit des New Yorker M-Base-Kollektivs um Steve Coleman und Greg Osby. Doch die Eigen- und Besonderheiten bei Carte Blanche liegen im Detail: Ihre Verfeinerungen der Rhythmen, die Differenziertheit der Arrangements und das Spielen mit stilistischen Versatzstücken, geht an vielen Stellen deutlicher in die Bereiche europäischer Musiktradtionen. Hier treffen Gegensätze aufeinander, vereinigen sich unterschiedlichste Spielweisen zu einem Manifest musikalischer Abenteuer. Schneider: „Improvisation und Komposition gehen bei Carte Blanche mehr oder weniger gemeinsame Strecken. Die Stücke dienen als Grundlage für Improvisationen, aus denen heraus dann teilweise offene, teilweise strengere Arrangements entstehen.“ Die Band ist in ihrer Einflussnahme letztendlich ein Ergebnis der unterschiedlichen Erfahrungen jedes einzelnen Instrumentalisten. Alle Mitglieder stammen aus musikalischen Grenzbereichen von Jazz, Neuer Musik und Groove-orientierter Tanzmusik, oder haben zumindest in diesen Stilsektoren reichliche Erfahrungen gesammelt. Man spürt das Wissen um theoretische Grundlagen und gleichzeitig die Freude, mit der die Musiker jede einzelne der 18 Kompositionen angehen. Gitarrist Carsten Radtke studierte in Trossingen und Paris, lebte eine Zeit in den USA, arbeitete mit dem Frankfurter Ensemble Modern, war Mitglied im Wiener Gustav Mahler Jugendorchester und hat als Rundfunkmoderator für verschiedene in- und ausländische Sender gearbeitet. Leonhard Schilde an den Keyboards studierte in München unter anderem Ethnologie und Sprachwissenschaften (!), hielt sich eine Zeit in Südindien auf und ist seit 2006 in der bayerischen Landeshauptstadt Dozent für Balkanmusik. Saxophonist Christoph Reiserer spielte in Symphonie- und Kammerorchestern, wirkte in unterschiedlichen Theaterprojekten mit und experimentierte 2005 erstmals mit Klanginstallationen. Der auf akustischem und elektrischem Bass gleichermaßen versierte Peter Hops ist in seiner Vita vielleicht am stärksten dem Jazz verbunden. Er spielte mit Evan Tate und Max Neissendorfer und ist musikalischer Leiter des „Groovekombinat“ Legacy. In Jürgen Schneider besitzt Carte Blanche einen Schlagzeuger, dessen Ethnologiestudium mit Sicherheit auch Spuren in seiner musikalischen Arbeit hinterlassen hat. Denn die Sensibilität, mit der er festgefügte rhythmische Muster sprengt, um sie anschließend mit einem Gespür für transkontinentale Musizierhaltungen und Empathie für seine Mitspieler neu zusammen zusetzen, ist eines der Geheimnisse von Carte Blanche. Schneider hatte Unterricht bei dem Komponisten Hans Werner Henze, reiste zu Studien nach Indonesien und lebte immer wieder sein starkes Faible für Bildende Kunst in verschiedenen Projekten aus. Die Musiker von Carte Blanche sind mit dem bisher Erreichten insgesamt zufrieden. Jürgen Schneider: „Unsere Zukunftspläne gehen in zwei Richtungen: Erstens wird es mehr Konzerte von uns geben und zweitens erarbeiten wir ein neues Programm, das an die bisherigen Ansätze anknüpft und diese weiterentwickelt.“ Es bleibt also spannend. Jörg Konrad
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